Laboure-Parteitag in Blackpool

A Piece of Peace

Der britische Premierminister Tony Blair konnte auf dem Labour-Parteitag eine knappe Mehrheit für seine Irakpolitik gewinnen - gegen Proteste in der Bevölkerung und den Widerstand in der eigenen Partei.

Alle hatte den großen Knall erwartet. Vor seiner Rede auf dem Labour-Parteitag wurden Tony Blair in zahlreichen Zeitungskommentaren die »schwierigsten Stunden seiner Amtszeit« vorausgesagt. Selbst seine Parteifreunde waren nicht ganz sicher, wie der Kongress, der in der vergangenen Woche in der westenglischen Küstenstadt Blackpool stattfand, ausgehen würde.

Schließlich sollte es nicht nur um die in der Partei heftig umstrittene Frage eines möglichen Krieges gegen den Irak gehen, sondern auch noch um zwei andere heikle Punkte: die weitere Beteiligung privater Unternehmen an den öffentlichen Diensten sowie die Teilnahme Großbritanniens am Euro.

Zu dem erwarteten Duell zwischen der Parteispitze und der Basis kam es jedoch nicht, auch wenn die Auseinandersetzungen über Blairs Irakpolitik die anderen Themen des Parteitags verdrängten. Obwohl in den letzten Wochen die Zahl der erklärten Kriegsgegner in der Partei stark angestiegen war, konnte sich Blair knapp durchsetzen. Am Ende der dreieinhalbstündigen Debatte sprachen sich 40 Prozent der Delegierten gegen militärische Aktionen gegen Saddam Hussein aus. Die Mehrheit entschied sich für eine mögliche Intervention, solange sie »im Kontext der UN-Autorität« stattfindet.

Mit dieser Formulierung kann auch Außenminister Jack Straw gut leben, selbst wenn sich die USA für einen Einsatz ohne UN-Mandat entscheiden sollten. Denn ein neues Mandat sei zwar »erstrebenswert, aber nicht notwendig«, wie Straw nach der Abstimmung betonte.

Zuvor hatte sich Blair klar für die weitere Unterstützung der USA ausgesprochen. »Es ist einfach, antiamerikanisch zu sein«, sagte der britische Premier, der in den vergangenen Wochen vor allem wegen seiner bedingungslosen Solidarität mit US-Präsident George W. Bush heftig angegriffen worden war. »Meine Vision von Großbritannien ist nicht die eines 51. Bundesstaates von irgendwo«, wies er die Kritik an seiner Nähe zu Washington zurück. »Aber ich glaube«, fügte er mit einigem Pathos hinzu, »an diese Allianz und werde für sie kämpfen.«

Schließlich seien »Freiheit, Toleranz und Gerechtigkeit« nicht nur amerikanische, sondern ebenso britische und europäische Werte, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus geschmiedet worden seien. Wer einen Konflikt mit dem Irak unter allen Umständen vermeiden möchte, würde nicht nur die Autorität Großbritanniens und der USA untergraben, sondern auch der Vereinten Nationen.

Zumindest in dem letzten Teil seiner Rede machte Blair deutlich, dass er trotz der zahlreichen Proteste gar nicht daran denkt, von seiner Unterstützung möglicher Aktionen der USA abzurücken. Notfalls werde Großbritannien auch nur mit den USA in den Krieg ziehen. Im Umgang mit Diktatoren sei die Bereitschaft zum Krieg eben manchmal die einzige Möglichkeit, den Frieden zu bewahren, meinte er. Die Delegierten antworteten mit höflichem Applaus und bescherten ihm in der anschließenden Abstimmung ein Ergebnis, das ihn vor einer internationalen Blamage bewahrte.

Zuspruch erhielt Blair auf dem Parteitag vom ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton, den er den Delegierten als besonderen Freund der Labour Partei vorstellte. Clinton bedankte sich für den herzlichen Empfang und sparte anschließend auch nicht mit freundlichen Worten für seinen Gastgeber. Der britische Premierminister sei der Einzige, der zwischen der isolationistischen Politik von US-Präsident Bush und dem Rest der Welt vermitteln könne, meinte er. Er stimme zwar grundsätzlich mit der harten Haltung gegenüber Saddam Hussein überein. Doch unterstütze er vor allem das Anliegen Blairs, das weitere Vorgehen mit der UN abzustimmen. Und Clinton erinnerte daran, dass die USA den Irak in den Achtzigern mit B-Waffen ausgerüstet hätten und »nicht schuldlos« am Leiden der irakischen Bevölkerung seien.

Vielleicht trug auch Clintons moderate Rede dazu bei, dass die Proteste auf dem Parteitag nur sehr verhalten ausfielen und sich im Wesentlichen auf die mit Antikriegsslogans bedruckten Plastiktüten der Friedensinitiative CND (Campaign for Nuclear Disarmament) beschränkten, die überall zu sehen waren.

Weitaus heftiger als in Blackpool wurde der Widerspruch hingegen in London artikuliert, wo zum Auftakt des Parteitages am vergangenen Sonntag Hunderttausende unter den Parolen »Keinen Angriff auf den Irak« und »Freiheit für Palästina« demonstrierten. 150 000 Teilnehmer zählte Scotland Yard, das Organisationsbündnis aus der Friedensinitiative Stop the War Coalition, der Muslim Association of Britain und Vertretern der palästinensischen Gemeinde will sogar 400 000 Kriegsgegner gesehen haben.

Die Absicht von Bush und Blair sei es, nach einem Krieg die Ölquellen des Irak zu beherrschen, erklärte Andrew Burgin, einer der Veranstalter der Demonstration. »Wir glauben nicht, dass es einen Beweis gibt, dass Irak über Massenvernichtungswaffen verfügt. Und ebenso denken wir nicht, dass dies der wirkliche Grund für einen Angriff ist«, rief er den Teilnehmern zu.

Eine Ansicht, die auch der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone teilt. Unter tosendem Beifall erklärte er, dass es im Irak nicht um »die Verteidigung des britischen Volkes«, sondern um »imperiale Interessen der USA« gehe, denen die britische Regierung kritiklos folge.

Auch das Dossier der britischen Regierung, das vor zwei Wochen veröffentlicht wurde und vor Massenvernichtungswaffen in den Händen des irakischen Diktators warnte, beeindruckte die Kriegsgegner in London wenig. »Bis 1998 ist Irak grundlegend entwaffnet worden«, meinte dazu der ehemalige UN-Waffeninspekteur Scott Ritter.

Nur vereinzelt waren auch andere Stimmen zu hören. Die Union of Jewish Students kritisierte den Aufruf, in dem eine direkte Verbindung zwischen dem möglichen Krieg gegen den Irak und dem Nahostkonflikt gezogen wurde. So würden die Teilnehmer »gegen Israelis, Zionisten und letzten Endes Juden« aufgehetzt, sagte ein Sprecher der Gruppe.

Der Führer der muslimischen Gruppe Friends of Al-Aqsa, Ismael Adam Patel, wies den Vorwurf auf der Abschlusskundgebung prompt zurück. »Bis wir die Palästinafrage gelöst haben, werden wir keinen Frieden in Nahost bekommen«, sagte er, um gleich noch anzudeuten, was viele der Demonstranten offensichtlich wirklich wollten: »Warum gehen wir gegen den Irak vor, wo Israel doch über viel mehr Massenvernichtungswaffen verfügt?«

Auf der Demonstration schienen diese beiden Themen tatsächlich unzertrennlich verbunden zu sein. Unter die Antikriegsschilder mischten sich zahlreiche palästinensische Flaggen und Boykottaufrufe gegen Israel; Kinder sangen Lieder, in denen Sharon und Hitler verglichen wurden. An der Rednerbühne im Hyde Park stand die Forderung »Freiheit für Palästina«, die auf dem Demoaufruf noch Untertitel gewesen war, plötzlich über der Antikriegsparole. Die prominenten Redner, etwa der linke Labourveteran Tony Benn und der Regisseur Ken Loach, schienen sich daran nicht zu stören.

Für gewissen Unmut sorgte nur eine Gruppe junger Männer, die sich Sprengstoffattrappen um den Bauch gebunden hatten. Die Ordner forderten sie dazu auf, an das Ende der Demonstration zu gehen, oder doch zumindest das offizielle Demo-T-Shirt auszuziehen. Nach längeren Verhandlungen einigten sie sich auf den zweiten Vorschlag.