Verarmte Soldaten beginnen einen Bürgerkrieg

Revoltieren, aber richtig

In Côte d'Ivoire weitet sich eine Meuterei von Soldaten zum Bürgerkrieg aus.

Manch sinnvolle Investition sollte nicht unnötig hinausgezögert werden, dachte sich wohl Pascal Affi N'Guessan, Premierminister der Côte d'Ivoire, als er am Mittwoch vergangener Woche der Armee für ihren Einsatz während des seit drei Wochen anhaltenden Rebellenaufstandes dankte. Außer patriotischen Worten und einem warmen Händedruck gab es für den obersten Militär des Landes, General Mathias Doué, braune Briefumschläge mit Geld, berichtete der Korrespondent der Nachrichtenagentur Allafrica. Minister und hohe Beamte hatten gespendet, was sie von ihren Gehältern entbehren konnten.

Was am 19. September anscheinend als Meuterei unterbezahlter Armeeangehöriger mit Angriffen auf strategische Einrichtungen im kommerziellen Zentrum Abidjan begann, weitete sich inzwischen zur größten militärischen Konfrontation in der 40jährigen Geschichte des westafrikanischen Staates aus. Hunderte Menschen kamen ums Leben, darunter der Innenminister. Loyale Truppen konnten Abidjan innerhalb weniger Stunden wieder unter ihre Kontrolle bringen, jedoch nicht verhindern, dass die Rebellen etwa 20 Städte im Norden des Landes besetzten. US-amerikanische und französische Truppen evakuierten daraufhin ausreisewillige Landsleute. Allein Sicherheitsmaßnahmen der französischen Armee - derzeit mit etwa 1 000 Soldaten vor Ort - konnte die Einnahme der offiziellen Hauptstadt Yamoussoukro, 120 Kilometer südlich von Bouaké gelegen, verhindern.

Am Sonntag scheiterte ein dritter Versuch eines Waffenstillstands, vermittelt durch eine Delegation der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (Ecowas). Die Ecowas, die die Entsendung einer 4000 Mann starken Eingreiftruppe in Aussicht gestellt hatte, beschuldigt die Regierung, nicht zu einem Waffenstillstand bereit zu sein. Das Interesse der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich an einer ausgedehnten militärischen Konfrontation ist ebenfalls gering. Doch das nationalistische Regime unter Präsident Laurent Gbagbo scheint auf eine militärische Lösung zu setzen. Am Sonntag gingen regierungstreue Truppen zum Angriff auf die von den Rebellen gehaltene Statd Bouaké über.

Gbagbo und sein Front Populaire Ivoirien (FPI) regieren die Côte d'Ivoire seit Oktober 2000. Sie lösten die Militärjunta unter General Robert Guei ab, der im Dezember 1999 durch einen Staatsstreich die Macht übernommen hatte. Der ehemalige Geschichtsprofessor und Gewerkschafter Gbagbo trat als einziger aussichtsreicher Kandidat gegen General Guei an. Andere Bewerber waren von der Wahl ausgeschlossen.

Zum Ausgleich insbesondere mit dem Rassemblement des Républicains (RDR) und seinem Vorsitzenden Allasane Ouattara, der als Interessenvertreter des strukturell benachteiligten Nordens gilt, war der FPI nach seinem fragwürdigen Sieg nicht bereit. Die Bevölkerung im Norden boykottierte die Parlamentswahlen vom Dezember 2000, da Ouattara die Teilnahme unter fadenscheinigen Gründen abermals versagt wurde. Im Parlament teilen der FPI, gegründet von Kämpfern gegen die Einparteienherrschaft vor 1990 wie Gbagbo, und die ehemalige Staatspartei Parti démocratique de Côte d'Ivoire fast alle Sitze unter sich auf.

Beweise für die Behauptung, Guei hätte die Meuterer angeführt, wurden bisher nicht vorgelegt. Loyale Truppen erschossen ihn nach eigenen Angaben an einem Checkpoint, angeblich auf dem Weg zu einem Rundfunksender. Aus dem Umkreis von Guei verlautete hingegen, er und enge Familienangehörige seien in ihrem Hause von Militärs überfallen und regelrecht hingerichtet worden.

Unangenehmer Besuch kehrte auch bei Ouattara ein, der sich zunächst in die benachbarte Residenz des deutschen Botschafters, später in die Botschaft Frankreichs flüchten konnte. Einer Presseerklärung des RDR zufolge verhafteten Armeeangehörige zahlreiche Funktionäre der Partei und ermordeten einen engen Mitarbeiter Ouattaras, als er sich weigerte, ein Papier zu unterschreiben, das Ouattara für den Putschversuch verantwortlich machte.

In den Slums von Abidjan gingen Angehörige der Gendarmerie während der letzten drei Wochen immer wieder gegen Einwanderer aus Burkina Faso und anderen Nachbarländern sowie gegen Binnenmigranten aus dem Norden der Côte d'Ivoire vor. Sie brandschatzten, plünderten und vernichteten die Pässe der Einwohner. 6 000 Menschen sollen nach Informationen des UNHCR allein dort vertrieben worden sein. Der Gouverneur des Distrikts kündigte am Freitag den Abriss aller quartiers précaires, angeblicher Stützpunkte der Rebellen, innerhalb eines Monats an. »Diese Maßnahmen sind bereits seit Beginn des Jahres geplant, werden jetzt allerdings beschleunigt vorangetrieben«, erklärte eine UN-Mitarbeiterin. 20 bis 30 Prozent der Einwohner leben in diesen Armenvierteln.

Viele der etwa vier Millionen Einwanderer aus den ärmeren Nachbarländern wurden während des wirtschaftlichen Booms der siebziger Jahre ins Land geholt und arbeiteten vor allem auf den Kakaoplantagen. Andere sind Nachfahren der Einwanderer, die die französische Kolonialverwaltung und die einheimische Kakao-Bourgeoisie bereits in den dreißiger Jahren anwarben, oder Binnenmigranten. Seit mit dem Einbruch der Kakaopreise Anfang der achtziger Jahre das staatskapitalistische Wirtschaftswunder der Côte d'Ivoire in einen Fall permanenten Krisenmanagements umschlug, wird systematisch deren Ausgrenzung betrieben.

Am deutlichsten wird das in den Auseinandersetzungen um das immer knapper werdende fruchtbare Ackerland. Während der letzten zehn Jahre strebten die wechselnden Regierungen in Zusammenarbeit mit der Weltbank eine juristische Fixierung des informellen Bodenrechts an. Nach diesen Vorstellungen würden in einem Kataster verzeichnete Landtitel es den Besitzern erleichtern, private Bankkredite zu erhalten. Ein entsprechendes Gesetz von 1998 behält allerdings Landbesitz denjenigen vor, die eine ivorische Staatsbürgerschaft nachweisen können. Die Nationalität ist so zu einer Grundlage für ökonomischen Erfolg. Im Konzept der Ivorité, mit dem die Diskriminierung von Zuwanderern gerechtfertigt wird, findet sie ihre ideologische Begründung (Jungle World, 45/00).

So verwundert es nicht, dass viele Menschen im besetzten Norden den Aufständischen große Sympathie entgegenbringen, zumal von Plünderungen oder Vertreibungen bisher nicht berichtet wurde. Auf Demonstrationen in Bouaké und Korhogo bekundeten vor allem Jugendliche ihre Unterstützung für die Rebellen. In Korhogo haben sich Dozo und Jugendliche den Kämpfern angeschlossen. Die Dozo sind traditionelle Jäger und bilden eine Miliz, die in den vergangenen Jahren des Öfteren von Privatleuten und RDR-Funktionären für Sicherheitsdienste angeheuert wurde.

Ging es den Rebellen anfangs um das nicht erfüllte Versprechen einer Soldangleichung, rücken nun »die Fremdenfeindlichkeit und der Tribalismus von Präsident Gbagbo« ins Visier, erklärte ein Milizionär. »Wir wollen nicht mehr diskriminiert werden, nur weil wir einen Namen mit nördlichem Klang haben. Unsere Offiziere sollen aufhören zu stehlen, es soll Gerechtigkeit in der Côte d'Ivoire herrschen.«

Einige der heutigen Rebellen, unter ihnen ihr Sprecher Toha Fozié, waren bereits am Putsch vom Dezember 1999 beteiligt, der Guei an die Macht brachte. Sie fühlten sich aber von ihm verraten, als er die Diskriminierung des Nordens fortsetzte, und wandten sich von ihm ab. Nach tatsächlichen oder vermeintlichen Putschversuchen flüchteten sie vor den anschließenden Verfolgungen in Nachbarländer wie Burkina Faso.

Über die Beteiligung von Söldnern aus Sierra Leone und Burkina Faso oder der Regierung des ehemaligen Warlords Charles Taylor in Liberia wird in diesen Tagen viel spekuliert. Vor allem die gute Ausstattung der Rebellen mit militärischem Gerät und mit Geld seien Belege dafür. Was sich davon auch bewahrheiten sollte - die Rebellion steht und fällt mit dem Rückhalt in der Bevölkerung des Nordens.