Norman Finkelstein auf der Frankfurter Buchmesse

Die Finkelstein-Therapie

In seinem neuen Buch legt der Autor der »Holocaust-Industrie« seinen eigenwilligen Friedensplan für den Nahen Osten vor. Den Deutschen kommt darin eine tragende Rolle zu. Auf der Buchmesse wurde er vorgestellt.

Wie Sie ja wissen, ist die Spaßgesellschaft vorbei.« Mit diesen Worten begrüßt die Pressesprecherin von Hugendubel ihr Publikum. Eher unfreiwillig komisch verläuft das Messefrühstück des Verlags auf der Frankfurter Buchmesse. Nachdem pflichtgemäß das Verlagsprogramm vorgestellt wurde, geht es zur Sache. Der zu Hugendubel gehörende Diederichs Verlag wird neu ausgerichtet und soll in Zukunft »sehr spezielle und provokative Bücher« auf den Markt bringen. Für die Provokation sind bei dieser Veranstaltung der aus Pakistan stammende, in London lebende 68er Tariq Ali und der linke US-Politologe Norman G. Finkelstein zuständig.

Hans Mommsen hatte Finkelstein bereits vor vier Jahren als einen der »pointiertesten Kritiker des Zionismus« dem deutschen Leser anempfohlen. In seinem Bestseller über die »Holocaust-Industrie« erregte sich der Autor dann über die angebliche Instrumentalisierung der Shoah durch jüdische Organisationen und fand mit seinen Thesen vor allem in Deutschland große Resonanz.

Nun meldet sich Finkelstein mit seinem Buch »Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern« zurück, worin er die zentralen Paradigmen des Zionismus angreift und die Israelis als Nazis beschimpft. Die Schmähschrift entstand bereits 1995; dem Verlag erschien sie aber so aktuell, dass er sie jetzt, lediglich mit einem Vorwort ergänzt, als Nachfolgebuch des Bestsellers »Die Holocaust-Industrie« auf den Markt wirft. Ein roter Streifen auf dem Umschlag wirbt mit den Worten: »Vom Autor der 'Holocaust-Industrie'«.

Der Verlag, so betont es die Pressesprecherin, sei sich der Gefahr durchaus bewusst gewesen, »dass wir in die Antisemitismusdiskussion hineingezogen werden«. Trotzdem müsse in Deutschland die »heikle Debatte« geführt werden, ob, wie Außenminister Fischer meint, der Vergleich Israels mit dem Nationalsozialismus nur der Entlastung deutscher Schuldgefühle diene, oder, ob die Deutschen gerade wegen des Holocaust eine besondere Pflicht zur Kritik an der Politik Israels hätten.

Doch irgendwie zieht Finkelstein diesmal nicht so richtig. Der Großteil der 70 Anwesenden kommt aus der Buchhandelsbranche oder dem Hugendubelclan. Nur ein Kamerateam der ARD und eine Handvoll Journalisten haben es in den kleinen Saal des Hotels Maritim geschafft. Kein Vergleich zu Finkelsteins Auftritt im Februar des vergangenen Jahres in der Berliner Urania, als er »Die Holocaust-Industrie« vorstellte. Eine Polemik gegen das neue Buch von Daniel Goldhagen, »Die katholische Kirche und der Holocaust«, hätte es diesmal vielleicht wieder gebracht. Mit der vermeintlichen Überführung Goldhagens als »Quellentrickser« (Spiegel) hatte Finkelstein, der gar keine deutschen Quellen lesen kann, 1997 seinen ersten großen Auftritt als jüdischer Kronzeuge der Deutschen.

Tariq Ali und Norman Finkelstein spielen sich in ihrem Gespräch gegenseitig die Bälle zu und spulen die antiimperialistischen und antizionistischen Standards ab. Beide setzen auf den deutschen Widerstand gegen den US-Imperialismus. Finkelstein hält eine beschwörende Ansprache an »das deutsche Volk«; nicht etwa an die Regierung, denn als Linker misstraue er jeder Regierung. Die Deutschen müssten es wagen, das Israel-Tabu zu brechen, und »die außer Kontrolle geratene Bande von Gangstern in Washington« stoppen.

Als am Ende der Ansprache das anwesende Volk nichts fragen will, spielt er den Nationaltherapeuten: »Sprechen Sie über Ihre Probleme, diese Tabus zu brechen. Seien Sie nicht 'politisch korrekt'.« Doch niemand will so richtig die Sau rauslassen. Es folgen noch ein paar vorsichtige Nachfragen aus dem Publikum, Finkelstein bekennt seine Solidarität mit der Hizbollah, und dann endet die Veranstaltung. Eine Korrespondentin von Al Ahram bittet um eine Kopie meiner Aufnahme dieses »wichtigen Gesprächs«. Zum Glück weiß niemand, was die Luftpost nach Kairo kostet, ich gehe.

Der Hugendubel-Stand auf der Buchmesse steht ganz im Zeichen Finkelsteins. Auf mehreren Quadratmetern wurde sein Buch aufgebaut, das zum Publikumsmagneten aber nicht taugen will. Auch die Nachfrage nach Interviews mit dem Autor dürfte sich in Grenzen gehalten haben. Die Pressesprecherin beantwortete eine Woche zuvor meine Bitte nach einem Rezensionsexemplar prompt mit einem Interview-Angebot. »Warum nicht«, dachte ich, wohl wissend, dass die Situation absurd sein würde.

In einem Interview der linksradikalen US-Zeitung Counter Punch machte Finkelstein bereits klar, was er von der »so genannten 'Linken'« und deren vermeintlich »professionellem Anti-Antisemitismus« hierzulande hält. Sie arbeite mit dem »rechten jüdischen Establishment in den USA zusammen«, dessen Repräsentanten er hasst: »Wenn sie alle hinter Gitter gesteckt würden, wäre das meiner Meinung nach noch keine gerechte Strafe.«

In einem kleinen Kabuff mitten im Messerummel erzählt Finkelstein anfangs bereitwillig, warum er keine Probleme hat, zusammen mit dem CDU-Rechtsaußen Martin Hohmann gegen die Zwangsarbeiterentschädigung zu arbeiten. Ihm gehe es einzig um die Wahrheit, und die ist nach Lenin revolutionär an sich. Doch bald kippt das Gespräch. Ich interessiere mich nicht genug für das Leiden der Palästinenser, sondern nur für die Rezeption seiner Bücher in Deutschland, und will wissen, ob es sich nicht eindeutig um einen Übersetzungsfehler handelt, wenn in seinem Buch von Sharons geplanter »Vernichtung« der Palästinenser die Rede ist. Finkelstein beginnt, mit starrem Blick zu predigen. Auf Widersprüche in seinem Buch »Die Holocaust-Industrie« angesprochen - wobei er einen Detailfehler bei der Wiedergabe von Peter Novick zugeben muss -, fängt er an zu brüllen. Eine Verlagsmitarbeiterin erscheint in der Tür, und Finkelstein, der plötzlich wieder ruhig ist, bedeutet ihr, dass er weitermachen will. Er fühlt sich herausgefordert und will Belege für weitere Fehler im Buch.

Schließlich beschuldigt er mich, die von der Claims Conference in den Entschädigungsverhandlungen genannte Zahl von 700 000 überlebenden jüdischen ZwangsarbeiterInnen zu vertreten; diese Zahl sei zu hoch, was an die Leugnung des Holocaust grenze und allein der Profitgier des »jüdischen Establishments« geschuldet sei. Das lasse er sich als Sohn von Überlebenden des Holocaust nicht bieten. Linke in Deutschland seien die eigentlichen Nazis. Ich habe schon seit einiger Zeit nichts mehr gesagt, packe meine Sachen und verabschiede mich bestimmt, aber höflich. »No, thank you«, ist seine Antwort, und er untersagt, die Aufnahme des Gesprächs zu verwenden.

In der deutschen Debatte um die »Holocaust-Industrie« wurde Finkelstein von seinen wenigen Kritikern zuweilen als Psychopath abgetan. Einer kritischen Analyse seines Werks wird man damit ebenso wenig gerecht wie der Person des Autors. Finkelstein ist auch ein Produkt einer gesellschaftlichen Erfahrung, die das jüdisch-kommunistische New Yorker Milieu machen musste, dem sich seine Eltern anschlossen, nachdem sie der Vernichtung entronnen waren.

In der US-amerikanischen Gesellschaft formierte sich Ende der vierziger Jahre ein militanter Antikommunismus, der sich des antisemitisch aufgeladenen Bildes vom jüdischen Kommunisten bediente. Die Situation der amerikanischen Juden spitzte sich zu, und die jüdischen Organisationen in den USA waren nahezu panisch darauf bedacht, sich von allem auch nur potenziell Kommunistischen zu distanzieren und jegliche Forderungen, die als jüdische Separatinteressen erscheinen könnten, in der Öffentlichkeit zu unterlassen.

So versuchten die maßgeblichen Organisationen 1949, trotz großem eigenen Unmut, Proteste gegen eine von der amerikanischen Militärregierung ausgerichtete deutsche Industriemesse in New York zu verhindern, sie lobten sogar öffentlich den Wiederaufbau der BRD. Vor allem Kommunisten, darunter viele Juden, protestierten schließlich gegen die Messe. Keiner sprach öffentlich so viel vom Holocaust wie die beiden wegen Spionage für die Sowjetunion angeklagten und zum Tode verurteilten jüdischen Kommunisten Julius und Ethel Rosenberg, während jüdische Organisationen durch Anpassung an die antikommunistische Rhetorik die Lage der amerikanischen Juden zu stabilisieren suchten.

Finkelstein, der Moral mit Politik verwechselt, ist absolut blind für die erzwungene Anpassung amerikanisch-jüdischer Organisationen an die von der Mehrheitsgesellschaft definierten Prioritäten. Er trägt den einsamen Kampf der universalistisch-jüdischen Kommunisten weiter, ohne wahrhaben zu wollen, dass Auschwitz diesen Universalismus zerstört hat und dass auch die fünfziger Jahre vorbei sind.

Rasend macht ihn, dass der Zionismus und der Staat Israel sich auf die Singularität der Vernichtung der europäischen Juden berufen können und dass heute in den USA dem Gedenken an den Holocaust zentrale Bedeutung zukommt. Die Israelis sind aus seiner Sicht unter der Führung der US-Amerikaner zu Nazis geworden; die geläuterten Deutschen dagegen sollen nun eine neue antifaschistische Koalition anführen.

Die Repräsentanten der amerikanischen Juden dagegen gehören mindestens in den Knast, denn, so drückte Finkelstein es im Gespräch mit Tariq Ali aus, wenn die USA Israel einst der Vernichtung preisgeben sollten, werden nicht sie, sondern er und sein Lehrer Noam Chomsky für Israel eintreten. Alle anderen sind schließlich Konformisten.