Der Preis der IG-Noble

Wie der Fussel wandert

Die IG-Noblepreise der Universitäten Harvard und Radcliffe würdigen Leistungen, mit denen man was anfangen kann.

Es gibt Fragen, die beantwortet nicht einmal das normalerweise äußerst kompetente TV-Fachmagazin »Die Sendung mit der Maus«. Zum Beispiel die, wie Fusseln in den Bauchnabel kommen, woraus sie bestehen und welche Personengruppen sich vor den Angriffen der gemeinen Nabelfluse besonders stark in Acht nehmen müssen.

Seit Mitte des Jahres darf diese Frage als hinreichend beantwortet gelten. Fusseln setzen sich hauptsächlich aus menschlichen Hautpartikeln und Wollflusen zusammen und wandern am liebsten, Haarwuchs am Bauch vorausgesetzt, in die Nabel dicker Männer.

Diese wichtige Erkennis ist Karl Kruszelnicki von der University of Sydney zu verdanken, der sich in zahlreichen Versuchsreihen um die Auflösung des großen Fusselgeheimnisses verdient gemacht hat. Dafür wurde er in der vergangenen Woche geehrt, Kruszelnicki wurde in der Rubrik »interdisziplinäre Forschung« mit dem IG Noble Price der Bostoner Universitäten Harvard und Radcliffe ausgezeichnet.

Das Komitee vergibt seit 1991 jährlich zehn Preise während einer feierlichen Zeremonie im Sanders-Theater in Harvard. Auch wenn die Bezeichnung IG Noble anderes vermuten lässt - ignoble heißt so viel wie »schändlich« oder »niedrig« -, will der Preis seine Träger nicht dissen. »Jeder IG Noble-Preisträger hat etwas getan, das die Menschen erst zum Lachen und anschließend zum Nachdenken brachte«, erklärt das aus den Journalisten der US-Fachzeitschrift Annals of Improbable Research bestehende Komitee. »Oder anders ausgedrückt: Die Auszeichnung ehrt Personen, deren Taten entweder nicht wiederholt werden können oder besser nicht wiederholt werden sollten.«

Das sei ausdrücklich nicht als Wertung gemeint, betonen die Preisverleiher, Pioniertaten seien zum Beispiel einfach nicht wiederholbar, wieder andere Handlungen seien nur während eines bestimmten Zeitabschnitts möglich.

Zudem handele es sich bei den exklusiven Feiern der etwas anderen Nobelpreise nicht um Veranstaltungen, bei denen es darum gehe, die Ausgezeichneten lächerlich zu machen, schließlich würden die Ehrungen grundsätzlich von echten Nobelpreisträgern vorgenommen, Vorträge bekannter Forschergrößen rundeten das Ganze ab. Und eigentlich komme fast jeder Geehrte zur Verleihung, die ergreifenden Dankesreden seien in vielen Fällen unvergesslich.

Lediglich einmal habe es einen nicht angereisten »schlechten Gewinner« gegeben, der sich nicht einmal beim Komitee gemeldet habe. Im Jahr 1996 ging der Preis für »Wissenschaftliche Erziehung« an die Erziehungsministerien der US-Bundesstaaten Kansas und Colorado, die in einem Akt christlich-fundamentalistischer Ignoranz das Lehren der Erkenntnisse von Charles Darwin, Isaac Newton, Louis Pasteur und Michael Faraday an ihren Schulen verboten. Dass diese Entscheidung ziemlich schnell zurückgenommen wurde und ihre Urheber heute fast vollzählig aus ihren öffentlichen Ämtern gewählt wurden, ist wohl auch dem IG Noble Price zu verdanken, der dem Zensurfall zu internationalen und äußerst kritischen Schlagzeilen verhalf.

Denn die internationalen Fans der Preisverleiher mögen zwar seltsame Experimente, unglaubliche Untersuchungen und eigenartige Einrichtungen, aber fortschrittlich sollten sie schon sein. Das Komitee möchte zudem »das Unübliche, die Phantasie feiern«, grundsätzlich soll der Preis das Interesse des Publikums auf Wissenschaft, Medizin und Technik lenken.

Am besten geht das wohl mit Erfindungen, die eigentlich längst überfällig sind. Im Bereich der Chemie räumte ein dreidimensionales Modell des Periodensystems der Elemente die Ehrung ab. Theo Gray von der US-Firma Wolfram Research montierte eine Art Tisch, auf dem während Stehempfängen Bierflaschen und Cocktailhäppchen abgestellt werden können.

Ein wenig alkoholisch inspiriert war wohl auch das Experiment, das seinem Urheber Arnd Leike von der Universität München den diesjährigen Noble Price für Physik eintrug. Der Wissenschaftler hatte im Fachmagazin European Journal of Physics das Thema »exponenzieller Zerfall« für jedermann höchst anschaulich und nachvollziehbar erklärt - am Beispiel von Bierschaum.

Leike hat hochkarätige Vorgänger. Im letzten Jahr ging der Physikpreis an den belgischen Professor Jean-Marc van den Broeck, der berechnete, wie eine nicht tropfende Teekannentülle aussehen muss, sowie an Len Fisher aus Australien, der herausfand, auf welche Weise ein Keks in ein Behältnis mit Flüssigkeit getunkt wird, ohne dass sie überschwappt.

Der King der IG Noble-Physiker bleibt jedoch Robert Matthews von der britischen Aston University. Ihm gelang es, erstmals etwas zu beweisen, das viele Butterbrotliebhaber schon seit langem ahnten. Wenn eine Stulle hinfällt, dann meist so, dass sie mit dem Belag auf dem Boden landet. Matthews konnte dies in ausgedehnten Experimenten bestätigen. Er entwickelte schließlich eine entsprechende Theorie, die ziemlich kompliziert klingt, aber darauf hinausläuft, dass die beschmierte oder belegte Brotseite einfach schwerer ist.

Die Welt bleibt aber voller ungelöster Rätsel. Wer hat sich vorm Dickhäutergehege im Zoo nicht schon einmal gefragt, wie groß so eine Elefantenoberfläche eigentlich ist? Das Problem der Jumboflächenberechnung besteht jedoch darin, dass das Tier keine eindeutige Form aufweist, überall sind Ausbuchtungen und lästige Teile, die die Mathematik ernsthaft behindern.

Der indische Forscher K.P. Sreekumar und der inzwischen verstorbene G. Nirmalan lösten das Dilemma in ihrem Report zum Thema »Estimation of the Total Surface Area in Indian Elephants« und gewannen souverän den Mathepreis.

Überhaupt ging es in vielen der diesjährigen Spitzenarbeiten um Tiere. Im Bereich der Hygiene siegte der Spanier Eduardo Segura, der eine schonende Waschmaschine für stark verschmutzte Hunde und Katzen erfand. In der Sparte Biologie punktete eine britische Forschergruppe, die das bisher völlig vernachlässigte Balzverhalten von Straußen gegenüber ihren Pflegern untersuchte.

Auch der diesjährige Friedenspreis hatte eindeutig animalische Bezüge. Die Forscher Keita Sato, Matsumi Suzuki und Norio Kogure wurden für die Entwicklung des »Bow Lingual«-Programms geehrt, das Hundegebell in die menschliche Sprache übersetzt. Damit hätten sie einen wichtigen Beitrag für »die Förderung der Verständigung zwischen den Arten« geleistet, hieß es in der Begründung des Komitees.

Die Forscher befanden sich in würdiger Gesellschaft. Im Jahr 2000 war die britische Kriegsmarine ausgezeichnet worden, nachdem sie ihre Soldaten angewiesen hatte, bei Manövern keine echte Munition mehr zu verwenden, sondern einfach nur laut »Bumm!« zu schreien.

Bei den diesjährigen Preisverleihungen fehlten jedoch die Geehrten im Bereich der Wirtschaft. Zum Teil waren sie allerdings entschuldigt, denn viele von ihnen sitzen immer noch in Haft. Ausgezeichnet wurden nämlich die Hauptakteure besonders spektakulärer Bilanzfälschungsskandale wie die Vorstände von Enron, Lernaut & Hauspie, Arthur Andersen, CMS Energy, Merrill Lynch, Qwest Communications und WorldCom. Es sei ihnen gelungen, hieß es in der Verleihungsbegründung, das mathematische Konzept imaginärer Zahlen erstmals in die Geschäftswelt einzuführen. Damit hätten sie eine längst überfällige neue interdisziplinäre Wissenschaft ins Leben gerufen.