Reaktion auf den Anschlag von Bali

Augen auf und durch

Bislang leugnete die indonesische Regierung die Existenz islamistischer Netzwerke. Nach dem Anschlag in Bali wurde im Eilverfahren ein Antiterrorgesetz verabschiedet.
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Für australische Touristen war Bali so etwas wie Mallorca für die Deutschen. Dass der Ballermann 6, der hier Legian Street heißt, zur Inselrepublik Indonesien gehörte, wurde manchen nur wegen des Einreisestempels in ihrem Reisepass bewusst. Bali galt immer als sicher, obgleich der Sydney Morning Herald am Donnerstag der vergangenen Woche berichtete, es habe Warnungen der Geheimdienste gegeben, in denen die Insel als mögliches Ziel von Terroristen genannt wurde. Dennoch war in den Reisehinweisen der australischen Behörden zu lesen, dass touristische Einrichtungen in Bali »normal arbeiteten«.

Der schlimmste Terroranschlag in der Geschichte des Landes, bei dem am Samstag der vorletzten Woche mindestens 183 Menschen starben, hat auch die indonesische Öffentlicheit überrascht und schockiert. Noch die Anschläge am 11. September des vergangenen Jahres hatten, wie viele Indonesier unumwunden zugeben, im ersten Moment eine klammheimliche Freude ausgelöst, die erst der Nachdenklichkeit und Bestürzung wich, als ihnen das ganze Ausmaß der Katastrophe bewusst wurde. Verschwörungstheorien, die die Täterschaft der CIA und dem Mossad zuschrieben, machten es vielen leichter, den Gedanken an das Geschehene zu ertragen. Unmöglich, dass Muslime so etwas tun würden.

Indonesien ist das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Deren überwiegender Teil praktiziert einen toleranten und weltoffenen Islam, viele haben jedoch das unterbewusste Schuldgefühl, den Glauben nicht konsequent genug zu leben. Streng Gläubigen zollt man Respekt, insbesondere wenn sie arabischer Herkunft sind. Eine Abgrenzung von extremistischen Gruppen, ihren Lehren und Praktiken, übersteigt den Mut und die Fähigkeit der meisten moderaten Muslime Indonesiens.

Warnungen der USA und anderer Staaten vor der Existenz terroristischer Netzwerke wurden als Versuche gewertet, die Nation zu demütigen und in die »Koalition gegen den Terror« zu zwingen. Demonstrativ traf sich der Vizepräsident und Parteivorsitzende der muslimischen PPP, Hamzah Haz, mit muslimischen Extremisten wie Jafar Umar Thalib, dem Führer der Laskar Jihad-Milizen, und Abu Bakar Ba'asyir, der des Kontaktes zur al-Qaida bezichtigt wird. »Hier gibt es keine Terroristen. Ich garantiere das. Wenn es sie gibt, dann sperren sie nicht muslimische Geistliche ein, sondern mich«, sagte Haz anlässlich des Treffens mit Ba'asyirs Gefolgschaft.

Die wenigen über den Anschlag bislang bekannt gewordenen Indizien erlauben noch keine Beschuldigung der Jemaah Islamiyah oder der al-Qaida. Waren es die lockeren Sitten der Touristen, die bereits am frühen Nachmittag halbnackt, mit Bierdosen und grölend durch die Straßen zogen, die Kuta als Ausgeburt »westlicher Dekadenz« zum Angriffsziel muslimischer Fanatiker machten? Besteht ein Zusammenhang mit den fast gleichzeitig gezündeten Sprengsätzen vor dem US-amerikanischen Konsulat in Denpasar und dem philippinischen Konsulat in Manado? Oder richtete sich der Anschlag gegen Australien, das seit dem Einmarsch der internationalen Truppen in Osttimor vor drei Jahren der Lieblingsfeind vieler nationalistischer Kräfte in Indonesien wurde?

Nach dem derzeitigen Kenntnisstand arbeitete bei dem Anschlag eine professionell organisierte Gruppe aus dem In- oder Ausland mit einheimischen Kräften zusammen. Indonesiern wird es wohl überlassen worden sein, möglichst unauffällig die Bombe zu deponieren, doch über die notwendigen Kenntnisse und Mittel, um größere Mengen des C 4-Sprengstoffs zum gewünschten Zeitpunkt detonieren zu lassen, verfügten sie sicher nicht. Al-Qaida ist eine der hierfür in Frage kommenden internationalen Organisationen, in Indonesien selbst dürfte lediglich das Militär über entsprechende Fähigkeiten verfügen. Das war für einige Beobachter Anlass genug, über dessen Tatbeteiligung zu spekulieren.

In der Vergangenheit bediente sich das Militär des öfteren extremistischer Organisationen, wenn sie seinen Interessen nützlich zu sein schienen. So konnten sich die Kämpfer der islamistischen Laskar Jihad zumindest seiner Duldung, wenn nicht gar aktiven Unterstützung sicher sein. Sie spielten eine maßgebliche Rolle in dem seit drei Jahren andauernden blutigen Konflikt auf den Molukken, der dem Militär auch dazu diente, die zivile Regierung zu unterminieren.

Obwohl die Laskar Jihad bislang nicht in Verbindung mit dem Attentat auf Bali gebracht wurden, verkündeten sie nur drei Tage später überraschend ihre Auflösung. Offenbar hielt man es für angebracht, angesichts der zu erwartenden Bemühungen der Regierung, die islamistischen Bewegungen nun genauer zu beobachten, die Organisation einstweilen aus dem Verkehr zu ziehen.

Neben dem westlichen Druck sind es vor allem die verheerenden Folgen des Attentats für Indonesiens Wirtschaft, und damit für seine politische Stabilität, die der Regierung zusetzen. Zu erwartende Einnahmeausfälle der Tourismusbranche führten bereits zwei Tage nach dem Anschlag zu einem drastischen Kursverfall der indonesischen Rupiah. An der Börse in Jakarta erwog man, den Handel auszusetzen, um sich vor weiteren Panikverkäufen zu schützen, und die offizielle Prognose des Wirtschaftswachstums in diesem Jahr wurde umgehend von vier auf 3,3 Prozent korrigiert.

Manche halten noch immer an den alten Losungen fest. »Die Möglichkeit, dass die Explosion Bestandteil der Aktivitäten ausländischer Geheimdienste war, die den Beweis für ihre Anschuldigungen liefern wollten, ist nicht ausgeschlossen«, schrieb die muslimische Tageszeitung Republika. Und auch Vizepräsident Haz vermutete eine »Konspiration«, ohne näher zu erläutern, wer konspiriere. Mehrere Minister und andere prominente Persönlichkeiten erklärten jedoch, es sei sinnlos, noch länger zu leugnen, dass es auch in Indonesien Terrorismus gäbe. Im Eilverfahren wurde am Freitag vergangener Woche per Dekret ein neues Antiterrorgesetz eingeführt.

Ein entsprechender Entwurf lag seit längerem vor. Menschenrechtsgruppen kritisierten jedoch die unklare Definition, wer oder was ein Terrorist sei; sie gebe den Sicherheitskräften freie Hand, nach eigenem Gutdünken von diesem Gesetz Gebrauch zu machen. Es wird befürchtet, dass das berüchtigte Antisubversionsgesetz der Diktatur Suhartos, dessen Abschaffung einer der Erfolge der Reformbewegung war, unter anderem Namen wieder belebt wird. Das neue Gesetz erlaubt unter anderem, Verdächtige sechs Monate ohne Anklage zu inhaftieren; schon für unerlaubten Waffenbesitz kann die Todesstrafe verhängt werden. Ein Zusatzdekret verfügt, dass die neuen Regeln auch rückwirkend für die Ermittlungen in Bali gelten.

Wer dagegen erwartete, dass eine erste Konsequenz die deutliche Erhöhung von Sicherheitsmaßnahmen sein würde, sah sich getäuscht. In Jakartas Bars und Amüsiervierteln war am Tag nach dem Anschlag keinerlei Polizeipräsenz festzustellen, und auch auf den Flughäfen gab es keine über das normale Maß hinaus gehenden Kontrollen.

Die Präsidentin Sukarnoputri Megawati, die wenige Stunden nach dem Anschlag den Tatort besuchte, versucht in der ihr eigenen wortkargen Art und Weise, zwischen den verschiedenen Interessen auszugleichen. »Die Bombenanschläge sind einmal mehr eine Warnung an uns alle, dass der Terrorismus eine reale Gefahr und eine potenzielle Bedrohung der nationalen Sicherheit darstellt«, erklärte sie. Wie mag wohl der Ernstfall aussehen, wenn dies erst eine Warnung war?