Euro-Stabilitätspakt

Dumm gelaufen

Wer vor nicht allzu langer Zeit erklärt hätte, der europäische Stabilitätspakt sei »dumm« und »zu starr«, dem wäre vermutlich sofort die Zurechnungsfähigkeit abgesprochen worden. Der Pakt galt allgemein als sakrosankt, allen voran den Deutschen. Vor seiner Einführung hatte die Bundesregierung fast hysterisch vor der laxen Haushaltspolitik in Südeuropa gewarnt. Der Euro müsse so hart werden wie die D-Mark und nicht so haltlos wie die Lira.

Ein paar Jahre später sieht plötzlich alles ganz anders aus. Als der Kommissionspräsident der EU, Romano Prodi, in der vergangenen Woche sein vernichtendes Urteil sprach, reagierte die Europäische Zentralbank (EZB) zwar entsetzt. Doch viele Politiker zeigten sich geradezu begeistert über die deutlichen Worte. Und ausgerechnet in Berlin war die Zustimmung für Prodi besonders groß.

So überraschte der deutsche Außenminister Joseph Fischer mit neuen ökonomischen Erkenntnissen. Wenn die deutsche Verschuldung auf 3,5 Prozent steige, wie es Finanzminister Hans Eichel kleinlaut zugegeben hatte, sei das nicht so schlimm. »Wenn die Konjunktur schlecht ist, müssen wir uns höher verschulden können, wenn sie gut ist, werden wir das entsprechend ausgleichen«, erklärte er im Spiegel. Selbst wenn das erst »im übernächsten Jahr« geschehe. Als der Pakt geschlossen wurde, sei die düstere Entwicklung der Weltwirtschaft noch nicht absehbar gewesen. Deshalb müsse man ihn nun korrigieren.

Im obersten Stockwerk der Europäischen Zentralbank in Frankfurt sieht man das natürlich anders. In immer schärferen Formulierungen verlangte die EZB in den vergangenen Wochen von Deutschland, Frankreich, Italien und Portugal, ihre Staatshaushalte zu stabilisieren. Das alte keynesianische Argument, angesichts der schwierigen Konjunkturlage seien höhere Staatsausgaben und -schulden nötig, lässt die Bank nicht gelten.

Eine höhere Verschuldung hätte ihrer Ansicht nach nur einen schwachen Euro zur Folge. Damit steige aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Einfuhren verteuern und die Preisstabilität im Euroland gefährdet wird. Um einer solchen importierten Inflation zu begegnen, könnte sich die EZB wiederum dazu entschließen, die Leitzinsen zu erhöhen. Damit wäre aber die Absicht einer »flexiblen Haushaltspolitik«, mit einer höheren Verschuldung die Konjunktur zu verbessern, so gut wie aufgehoben.

Dass zwischen der Zentralbank und der Politik ein gespanntes Verhältnis herrscht, ist in Deutschland keine Neuigkeit. In den neunziger Jahren betrieb die Bundesbank ebenfalls eine Hochzinspolitik, als die damalige konservative Regierung unter Helmut Kohl die so genannte Wiedervereinigung durch Schulden finanzierte.

Das Ergebnis ist bekannt. Das damalige Europäische Währungssystem (EWS) zerbrach, unter anderem weil sich die europäischen Staaten nicht auf eine gemeinsame Geld- und Finanzpolitik einigen konnten. Insbesondere die südlichen EU-Staaten reagierten mit einer Abwertung ihrer Währung auf die Hochzinspolitik aus dem Norden. Als wenig später in Maastricht über die Voraussetzungen für eine gemeinsame europäische Währung verhandelt wurde, pochte Deutschland auf harte Stabilitätskriterien, um ein erneutes Scheitern auszuschließen. Man darf gespannt sein, welche Folgen die neue Berliner Finanzpolitik diesmal haben wird.