Mitte-Rechts-Regierung gescheitert

Ohne Pim kein Fortuyn

Nach nur 87 Tagen ist die niederländische Regierung gescheitert. Möglich, dass die rechtspopulistische Lijst Pim Fortuyn bald abtritt. Ihre Ideen aber dürften bleiben.

An politischem Spektakel mangelte es in den letzten Monaten in den Niederlanden nicht. Streitereien und Machtkämpfe innerhalb der rechtspopulistischen Lijst Pim Fortuyn (LPF) bestimmten die Tagesordnung. Verfolgte früher nur eine kleine Schar treuer Journalisten das politische Alltagsgeschäft in Den Haag, so ist sie seit dem Antritt der neuen Regierung aus Christdemokraten (CDA), der rechtsliberalen Volkspartei (VVD) und der LPF im Juli zu einer lauten, wild gestikulierenden Menge angewachsen, die mit Absperrgittern auf Distanz gehalten werden muss.

Am Mittwoch der vergangenen Woche war in dem Pulk aus Kameraleuten, Journalisten und Zuschauern vor dem Binnenhof in Den Haag kein Durchkommen mehr, als der Ministerpräsident Jan Peter Balkenende (CDA) den Rücktritt seiner Regierung verkündete. »In den vergangenen Tagen musste ich feststellen, dass es zwischen einigen Ministern der LPF zu einer Vertrauenskrise gekommen ist und sie sich nicht im Stande sahen, weiter zusammenzuarbeiten.« Zu verdanken ist der Bruch vor allem den Streithähnen der LPF, dem Wirtschaftsminister Herman Heinsbroek und dem Gesundheitsminister Eduard Bomhoff. Zwar wurden sie wenige Stunden vor der Erklärung Balkenendes von ihrer eigenen Partei zum Rücktritt gezwungen, das Ende der Koalition war jedoch besiegelt.

Inzwischen hat das Parlament für den Januar des kommenden Jahres Neuwahlen angesetzt. Bis dahin bleibt das zurückgetretene Kabinett geschäftsführend im Amt, und mit ihm bleibt wohl auch der Streit. So ist in der VVD und der LPF die Ost-Erweiterung der EU heftig umstritten. Der Fraktionsvorsitzende der VVD, Gerrit Zalm, meinte, die Niederlande hätten härtere Bedingungen für die Beitrittskandidaten fordern müssen. Die größte Parlamentsfraktion hingegen, die CDA, befürwortet die Ausdehnung der EU. Wenn die Niederlande sie blockierten, drohe die Isolierung innerhalb der EU, warnte ein CDA-Minister.

Nach der österreichischen ist also eine weitere Regierung vorzeitig zu Fall gekommen, an der Rechtspopulisten beteiligt waren. Noch im Sommer schien es, als habe der Rechtspopulismus einen unaufhaltsamen Triumphmarsch auf dem Kontinent begonnen. Nun endet der kurze Sommer der LPF in persönlichen Zerwürfnissen. Ähnlich wie die FPÖ oder möglicherweise bald auch die Schill-Partei ist sie daran gescheitert, ihren Parolen Taten folgen zu lassen.

Die erst Mitte des vergangenen Jahres gegründete Partei errang bei den Parlamentswahlen am 15. Mai auf Anhieb 26 Sitze. Ihr Abstieg ging ebenso rasant. Nur drei Monate benötigte die LPF, das Kabinett regierungsunfähig zu machen; es ist die kürzeste Regierungszeit, die das Land seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat.

Kurz vor der Wahl wurde der Parteigründer und Namensgeber Pim Fortuyn ermordet. Sein Ableben war der ungeplante Höhepunkt einer Medienshow, die mit der Präsentation des Wahlkampfprogramms begonnen hatte. In den darauf folgenden Monaten wetterte Fortuyn gegen Migranten und Muslime (»Der Islam ist eine rückständige Kultur«) und suchte sich Mitstreiter für seine Partei. Deren politische Qualität blieb jedoch, wie er selbst einräumte, auf der Strecke. »Uns eint der Unfriede«, so formulierte ein Mitglied der LPF nach dem Tod Fortuyns den politischen Konsens der Partei.

Ohne ihren politischen Ziehvater gebärdeten sich die Minister und Abgeordneten wie ein Haufen unartiger Kinder während einer Vertretungsstunde in der Grundschule. Wechselnde Fraktionsvorsitzende versuchten Ruhe in die rechtspopulistische Riege von Egozentrikern zu bringen. Ohne Fortune.

So wurden die 87 Tage zu einer Reality Soap. Eine Staatssekretärin der LPF trat nach sieben Stunden Amtszeit zurück, weil sie falsche Angaben zu ihrem Lebenslauf gemacht hatte. Die Parteibasis verdächtigte mehrere Abgeordnete, sie hätten sich ihre Listenplätze erkauft. Anfang Oktober mussten zwei Abgeordnete die Fraktion verlassen. Hinzu kamen die regelmäßigen Streitereien zwischen den Ministern Bomhoff und Heinsbroek. Die Auseinandersetzungen um den Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten, den Heinsbroek seinem Parteikollegen Bomhoff streitig machte, brachte letztlich die Regierung zu Fall.

Die Kontrahenten kommunizierten in den letzten Tagen nur noch mithilfe Dritter, keiner bemühte sich um einen Ausgleich. Schon ihre Herkunft war wohl zu unterschiedlich. Heinsbroek, reich geworden in der Musikindustrie, pflegt einen aufwändigen Lebensstil in seiner Villa im Grünen mit Designerkleidung und Luxuslimousinen. Bomhoff hingegen, ein Universitätsprofessor wie Fortuyn, graut es vor dem Leben des Neureichen. Er lebt beinahe asketisch ohne Alkohol, Zigaretten und Fernsehen in einem Reihenhaus. Heinsbroek und Bomhoff seien »die beiden Seelen in der Brust Fortuyns«, schrieb die Tageszeitung Trouw. Der eine verkörpere Fortuyns intellektuelle Seite, der andere den Prototyp des unabhängigen Reichen. Gemeinsam hätten sie allein ihren Glauben an die eigenen Fähigkeiten, der sich mit der Neigung paare, lieber zu dozieren als zuzuhören.

Den charismatischen Parteigründer ersetzen konnte jedoch keiner von beiden. Dessen großer Erfolg resultierte, so der Soziologe Jaques van Doorn, aus seinen charakteristischen Verhaltensweisen. »Fortuyn liebte Flexibilität und Mobilität und verachtete hierarchische und dauerhafte Bindungen. Im Privatfernsehen, das sich viele LPF-Wähler anschauen, ist dieses Verhalten täglich an den Menschen zu beobachten, die das Motto des ermordeten Politikers in die Praxis umsetzen: Sagen, was du denkst, und machen, was du sagst.«

Bomhoff und Heinsbroek fielen vor allem durch Neid und Streit auf. Viele Wähler der LPF haben deshalb das Theater innerhalb ihrer Partei satt. Joop Zwebe aus Tuindorp-Oostzaan, einem Vorort von Amsterdam, wo die Partei ein beachtliches Ergebnis erzielte, klagt, »die LPF-Minister bekommen viel Geld, aber das Einzige, was ihnen einfällt, ist, wie sie sich gegenseitig die Posten abnehmen können«. Ein Nachbar pflichtet ihm bei und ruft: »Ich wähle in Zukunft nur noch Scheiße!«

14 Prozent der LPF-Wähler wollen bei den kommenden Wahlen zu Hause bleiben, während 41 Prozent beabsichtigen, für eine andere Partei zu stimmen. Der LPF werden bei Neuwahlen nur drei Sitze prognostiziert.

Gestärkt hingegen gehen die beiden anderen Koalitionspartner aus der Krise hervor. Würde jetzt gewählt, könnten die CDA und die VVD allein eine Regierungsmehrheit erlangen. Beide Koalitionspartner bekennen sich zu den bisher geltenden Koalitionsvereinbarungen. So soll der Zustrom von Migranten weiter erschwert werden, was unzufriedene Wähler der LPF anlocken dürfte.

Ungewiss ist die Zukunft der LPF. Bomhoff hat sich ins Privatleben zurückgezogen, Heinsbroek überlegt eine neue Lijst Pim Fortuyn zu gründen. Auf dem Parteikongress am Samstag der vergangenen Woche in Utrecht konnte eine völlige Zersplitterung der Partei vorerst verhindert werden. Der neue Vorsitzende heißt Ed Maas, dem der Bruder des toten Parteigründers, Marten Fortuyn, als Berater zur Seite gestellt wurde. »Nun ist Ruhe in der Fraktion und der Parteileitung«, versicherte ein Mitglied. Dasselbe sagten Bomhoff und Heinsbroek vor zwei Wochen.