Novelle des Verfassungsschutzgesetzes in Hamburg

Sicher verdächtig

Der Hamburger Senat plant eine Novelle des Verfassungsschutzgesetzes. Der Entwurf geht deutlich über das von der Bundesregierung beschlossene zweite Sicherheitspaket hinaus.

Man stelle sich die folgende Situation vor. Man hat Hunger und geht in Hamburg zur nächsten Dönerbude. Der Besitzer ist ein gläubiger Muslim und besucht gelegentlich den islamischen Buchladen in St. Georg, der mehrere Monate lang wegen Terrorverdachts geschlossen war. Das religiöse Bekenntnis seines Besitzers und dessen bevorzugte Buchhandlung sind bereits zwei hinreichende Gründe für die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, den Dönerstand zu observieren. Doch nach der vom Hamburger Senat geplanten Änderung des Verfassungsschutzgesetzes könnte auch der ahnungslose Besucher der Imbissbude zum Objekt der Ermittlungen werden.

Die Diskussion um die Erweiterung der Geheimdienstbefugnisse ist in Hamburg nicht neu. Bereits seit Monaten diskutiert der von der CDU, der Schill-Partei und der FDP gebildete Senat darüber, die Möglichkeiten des Verfassungsschutzes zu erweitern. Damit liegt er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA im Trend. Die Sicherheit sei bedroht, Deutschland nicht genug vorm Terror geschützt, so lautet der Tenor in der Bundesrepublik. Schnell wurden Maßnahmen in Gesetzesform gebracht und verabschiedet, die schließlich in die Neufassung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10-Gesetz) eingingen. (Jungle World, 16/02)

Das so genannte zweite Sicherheitspaket von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ermöglicht bei einem begründeten Verdacht die Öffnung von Briefen, das Abhören von Telefonen und Wohnungen. Allerdings muss eine eigens dafür gegründete G 10-Kommission über jeden Antrag des Amtes für Verfassungsschutz entscheiden, die wiederum vom Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) berufen und kontrolliert wird.

Der Maßnahmenkatalog sei die Rückführung der Verfassungsschutzarbeit auf den Boden der Verfassung, sagte sogar Hans-Christian Ströbele von den Grünen. Und der Verfassungsschutz erklärte, eine übertriebene Angst vor dem »großen Lauschangriff« nicht teilen zu können, ein Blick auf die nüchternen Fakten zeige, dass es »weit weniger Anlass für Befürchtungen gibt, als gemeinhin angenommen«, wie es auf der Webseite des Verfassungsschutzes heißt.

Diese Maßnahmen sollen nun in Hamburg am 30. Oktober in der Bürgerschaft in Form des neuen Verfassungsschutzgesetzes beschlossen werden. Doch der Entwurf des Senats geht weit über das Bundesgesetz hinaus. Denn hier soll der Verfassungsschutz künftig nicht nur verdächtige Personen belauschen und ausspähen dürfen, sondern auch unverdächtige Dritte, die Kontakt mit »verdächtigen Personen« haben. Neben Privatpersonen können Journalisten, Rechtsanwälte, Ärzte und Geistliche bespitzelt werden, Gruppen also, die von ihrem Recht auf Zeugnisverweigerung Gebrauch machen müssen, um ihrer beruflichen Aufgabe gerecht werden zu können.

Viele Hamburger Journalisten zeigten sich empört. Der stern schrieb in der vorigen Woche vom »dreistesten Anschlag auf die Pressefreiheit seit der Spiegel-Affäre 1962«. »Das geplante Verfassungsschutzgesetz ist ein schwer wiegender Eingriff in die Grundrechte«, sagte Wilm Herlyn, der Chefredakteur der Deutschen Presse Agentur (dpa). Menso Heyl, der Chefredakteur des Hamburger Abendblattes, ging in seiner Kritik noch weiter: »Falls es durchkommt, (...) wäre das der Tod der unabhängigen Recherche.«

Kritik kam auch von der Opposition in der Hamburger Bürgerschaft. Der medienpolitische Sprecher der Fraktion der Grün-Alternativen Liste (Gal) sprach von einem »direkten Angriff auf die Pressefreiheit in Hamburg«. Die Hamburger SPD drohte mit einer Verfassungsklage, sollte das umstrittene Gesetz verabschiedet werden. »Der Gesetzentwurf ist rechtswidrig«, sagte ihr Innenexperte Michael Neumann, »das machen wir nicht mit!«

Besonders heikel sind für Neumann die im Gesetzestext vorgesehenen Kontrollmöglichkeiten der Bürgerschaft. Die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes soll nämlich nach dem Wunsch der Regierungskoalition ebenfalls deutlich eingeschränkt werden. So braucht die entsprechend dem Bundesmodell zu gründende G 10-Kommission der Bürgerschaft in Hamburg den Überwachungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes, anders als im Bund, nicht in allen Fällen vorher zuzustimmen. »Wir stehen uneingeschränkt zum 'Otto-Katalog'«, erklärte Neumann, »aber hier soll durch die Hintertür der Rechtsstaat ausgehebelt werden.«

Die Koalitionäre der CDU und der Schill-Partei wollen die Kritik nicht so recht verstehen. Der Innenexperte der Schill-Partei, Michael Bauer, sagte dem Hamburger Abendblatt: »Mit dem Gesetz wird die Sicherheit maßvoll und verfassungskonform verbessert.« Auch der Rechtsexperte der CDU, Carsten Lüdemann, beschwichtigte: »Es wird keine willkürlichen Überwachungen geben.«

Dennoch behält sich die SPD eine Verfassungsklage vor. Der Pressesprecher der Schill-Partei, Marc März, hält das für Unsinn. Die Opposition drohe mit einer Verfassungsklage, »ohne den Gesetzestext zu kennen«. Er erklärte, dass »das Bundesgesetz nicht eins zu eins auf Hamburg heruntergebrochen werden kann«. Doch eine solche Umsetzung fordern die Gal und die SPD.

Offen ist noch die Haltung der FDP in dieser Frage. Die Partei drückt sich vor einer eindeutigen Stellungnahme. Zwar signalisierten die Liberalen zunächst ihre Zustimmung, in der vorigen Woche rückten sie dann aber mehr und mehr davon ab. Der Bildungssenator Rudolf Lange sieht »Bedarf für Nachbesserungen«, und der Bürgerschaftsabgeordnete Wieland Schinnenburg betonte, die FDP werde eine Verschlechterung des Schutzes der Berufsgeheimnisträger nicht hinnehmen.

Am vergangenen Dienstag waren der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Eckhart Werthebach, der frühere Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) und weitere Experten zu einer Anhörung im Rechtsausschuss geladen. Am 30. Oktober wird die Bürgerschaft über das neue Verfassungsschutzgesetz abstimmen. Sollte das Gesetz so beschlossen werden, wie es momentan vorliegt, dürfte es für die Hamburger ratsam sein, zukünftig wieder häufiger zu Hause zu essen.