Der rot-rote Solidarpakt und die Gewerkschaften

Verdi nahm uns alles

Der vom rot-roten Senat vorgeschlagene Solidarpakt hätte den geltenden Flächentarifvertrag gebrochen. Dennoch werden die Gewerkschaften für ihre Sturheit kritisiert.

Es sei ja gar nicht viel gewesen, was der Senat von den Angestellten des Öffentlichen Dienstes verlangt habe. So wenig, dass in einer Umfrage am vergangenen Donnerstag, unmittelbar nach dem Scheitern des so genannten Solidarpakts, 49 Prozent der BerlinerInnen sagten, sie hätten das Angebot angenommen. Und überhaupt wäre das Verhandlungsergebnis für die Angestellten jedes maroden Privatunternehmens äußerst attraktiv. Die jährliche Lohnerhöhung um zwei Prozent sollte ausgesetzt, dafür die Arbeitszeit in entsprechendem Maß verringert werden, das Ganze wäre bis zum Jahr 2006 zeitlich begrenzt worden und betriebsbedingte Kündigungen wären ausgeblieben.

Das unter anderem von der Berliner Zeitung in Auftrag gegebene Meinungsbild ergab zudem, dass vor allem die Beamten auf ihren regelmäßigen Gehaltserhöhungen beharrten. Aha, denkt sich die Leserin, die Beamten mal wieder. Sitzen sowieso nur faul in ihren Sesseln und genießen ihre Privilegien; von Solidarität keine Spur. Kein Wunder, dass eine zum Solidarpakt befragte 43jährige Landesbedienstete jetzt vor allem mit dem Neid und der Missgunst aus dem Bekanntenkreis rechnet. Ihre ältere Kollegin fürchtet dagegen den vorzeitigen Ruhestand und möchte lieber weniger Geld verdienen als gar keins.

Und wer ist schuld an allem? Die Gewerkschaften. »Verdi lässt Solidarpakt scheitern«, titelte die Süddeutsche Zeitung und traf damit den allgemeinen Tenor der Berichterstattung. Die taz warf der Dienstleistungsgewerkschaft vor, »die Interessen ihrer Mitglieder nach Schema X« zu vertreten, was heißen soll, dass sie sich unflexibel gezeigt und die besonderen Umstände nicht erkannt, ja den guten Zweck des Solidarpakts missachtet habe. Immerhin, unterstellte die Zeitung doch noch wenige Tage zuvor GewerkschafterInnen wie der Verdi-Vorsitzenden Susanne Stumpenhusen schlicht die Absicht, mit ihrer zur Schau getragenen Sturheit Mitglieder werben zu wollen.

Dabei ist nichts gescheitert, das den Namen »Solidarpakt« verdient hätte, sondern nur einer von unzähligen Versuchen, Rechte, Sozialleistungen und Löhne zu beschneiden, jeweils in verträglichen Portionen, nach dem Salamiprinzip. Doch es ist die Aufgabe der Gewerkschaften, auf die Einhaltung der Standards bei den Löhnen und Gehältern zu achten. Genau das ist in Berlin passiert.

Die Stadt Berlin ist hoch verschuldet, aus Gründen, die bekannt sind. Doch immer wieder wurde angeführt, dass die Personalausgaben der Hauptstadt ihre gesamten Steuereinnahmen verschlängen, als wären die Löhne die Ursache der leeren Kassen. Dabei sagt die Zahl von 7,2 Milliarden Euro Personalkosten ohne Vergleichswerte und ohne weitere Angaben zum Landeshaushalt gar nichts aus.

Und dennoch schien völlig klar zu sein, dass genau hier die Lösung der Probleme gesucht werden muss. Um 500 Millionen Euro sollten die Ausgaben bis zum Jahr 2006 dank des Solidarpakts sinken. Seit Mai wurde darüber diskutiert, wie Personalkosten reduziert werden können, weil sich offensichtlich doch nicht alle Geldprobleme der Stadt mit der Erhöhung der Schwimmbadpreise lösen lassen.

Bereits am Dienstag der vorigen Woche hatten einige hundert Personalräte und Gewerkschafter des öffentlichen Dienstes den Vorschlag des Senats abgelehnt. Seit dem Donnerstag der vergangenen Woche gelten die Verhandlungen endgültig als gescheitert. Denn das Angebot des Senats hätte die Öffnung des Systems einheitlicher Flächentarifverträge im öffentlichen Dienst bedeutet.

Wie schon in der ostdeutschen Metallbranche wäre mit dem Solidarpakt ein neues Exempel für Eingriffe in geltende Flächentarifverträge statuiert worden. In jener Branche ist es bereits möglich, dass Betriebe mit Angestellten und ArbeiterInnen untertarifliche Bezahlungen aushandeln, natürlich nur, um Arbeitsplätze zu erhalten. Für einen gesicherten Arbeitsplatz mit angemessenem Lohn würden die meisten Menschen heutzutage viel tun. Aber diese Praxis könnte in anderen Bundesländern Schule machen und früher oder später zum Normalfall werden, schließlich stecken alle in der Krise.

Deshalb mussten die GewerkschaftsvertreterInnen in Berlin den Solidarpakt ablehnen, wohl wissend, dass nichts Besseres zu haben sein wird. Der Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hatte bereits zu Beginn der entscheidenden Verhandlungen »einseitige Maßnahmen« im Falle ihres Scheiterns angekündigt. Dabei ist die ungewohnte Entschiedenheit der Gewerkschaften auch im Zusammenhang mit den im öffentlichen Dienst anstehenden Tarifverhandlungen auf Bundesebene zu sehen. Hätten sie in Berlin nachgegeben, hätten die Gewerkschafter ihre Position deutlich geschwächt.

Dafür geht es jetzt in Berlin rund. Es drohen die Kündigung der Tarifverträge für die Landesangestellten spätestens zum Ende nächsten Jahres, das Einfrieren der Löhne und Gehälter ab 2004, eine Entscheidungsautonomie über Gehaltserhöhungen für den Senat, die Erhöhung der Wochenarbeitsstunden für BeamtInnen von 40 auf 42 (ab 2003) und dazu betriebsbedingte Kündigungen »in erheblicher Größenordnung« ab 2005. Die »Verweigerungshaltung« der Gewerkschaften, »sich an der Beschäftigungssicherung und am Einstellungskorridor zu beteiligen«, habe diese Schritte erzwungen, erklärte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD).

Wowereit ist offensichtlich im Begriff, seinen Ruf als Partybär zu ruinieren. Die Welt orakelte, für ihn »hört der Spaß nun endgültig auf«. VertreterInnen der CDU und der FDP konnten ihre Häme nicht verbergen. Der nicht gerade für seine großen Erfolge bekannte Fraktionsvorsitzende der CDU, Frank Steffel, höhnte: »Rot-Rot kann es nicht.« Und die Generalsekretärin der Berliner CDU, Verena Butalikakis, nannte das Vorgehen des Senats einen »autistischen Versuch« der Effekthascherei. Martin Lindner, Steffels Amtskollege bei der FDP, zeigte sich literarisch gebildet und sprach von der »Chronik eines angekündigten Todes« des rot-roten Senats.

Allein Sibyll Klotz von den Grünen blieb sachlich und forderte, die Lasten der Haushaltsnotlage gleichmäßig zu verteilen. Auch die Fondsanleger sollten für die Verluste der Bankgesellschaft aufkommen und Berlin solle sich an der Bundesratsinitiative zur Einführung der Vermögenssteuer beteiligen. Aber Wowereit will lieber eine Bundesratsinitiative für eine Öffnungsklausel im Beamtenbesoldungsrecht erwirken. Schon in dieser Woche soll sie den Ministerpräsidenten der Länder nahe gebracht werden.

Einen entscheidenden Einfluss auf Berlins Haushalt wird der Ausgang einer Verfassungsklage des Landes auf Bundeshilfe haben. Aber bis zur Verkündigung des Richterspruchs wird der Senat deutlich machen, was die Konsequenzen des gescheiterten »Solidarpakts« sind. Zuerst ist ein »unverzüglicher Einstellungsstopp« für Lehrer und Polizisten vorgesehen. Das heißt, die Kinder werden vernachlässigt und die innere Sicherheit ist in Gefahr. Und die Gewerkschaften sind schuld daran.