Reaktionen auf die Koalitionsvereinbarungen

Wie viel Keynes soll's denn sein?

»Wahlbetrug«, fauchten Edmund Stoiber und Angela Merkel nicht ganz zu Unrecht, als die steuer- und finanzpolitischen Ziele bekannt wurden, auf die sich die Sozialdemokraten und die Grünen in ihren Koalitionsverhandlungen geeinigt hatten.

Zwar ist keine grundlegende Revision der Steuerreform aus der vergangenen Legislaturperiode zu erwarten. So wird die Körperschaftssteuer nicht geändert. Ihre Neuregelung in der vergangenen Legislaturperiode war eine Maßnahme, die Links- und Rechtspopulisten gleichermaßen als Inbegriff sozialer Ungerechtigkeit und Hauptursache für die Misere der öffentlichen Haushalte galt. Unerwartet kamen sie aber doch, die nun vorgesehene Besteuerung von Spekulationsgeschäften, die Lockerung des Bankgeheimnisses, soweit es Kapitalerträge betrifft, die Mindestbesteuerung von Unternehmen, die Erhöhung der Rentenbeiträge Besserverdienender oder auch die Reduzierung staatlicher Zuschüsse für Häuslebauer. Während die Vertreter der Wirtschafts- und Unternehmerverbände ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt sehen, zeigt sich insbesondere Michael Sommer, der Vorsitzende des DGB, erfreut und spricht von einem »Kurs der sozial gerechten Modernisierung«.

Diese steuerpolitischen Signale, aber auch die Ankündigung Schröders, den europäischen Stabilitätspakt künftig »wachstumsorientiert« auszulegen, scheinen einen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel anzuzeigen. Tatsächlich sieht die FAZ bereits »alte keynesianistische Rezepte wieder aufleben«, was dazu führen könnte, das auch die Gewerkschaften sich von der »Verpflichtung« lösen, »in den Tarifverhandlungen Rücksicht auf die miserable Konjunktur zu nehmen«.

Dagegen sind aus den Reihen der Neokeynesianer euphorische Stimmen zu vernehmen, die in der Abkehr vom finanzpolitischen Ziel, die staatliche Neuverschuldung unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu halten, das Ende des »konjunkturbremsenden« Sparzwanges sehen. Zwar gibt sich Sven Giegold von Attac betont skeptisch und spricht von halbherzigen »Teilreförmchen«. Aber ein halbes Herz ist eben auch ein Herz, scheint doch zumindest die gewünschte Richtung zu stimmen, obwohl Attac am liebsten eine höhere Besteuerung aller »arbeitslosen« Einkünfte, beispielsweise von Zins- und Mieteinnahmen, sähe.

Nun, weltfremd mutet das Szenario einer Rückkehr des Keynesianismus allemal an, egal ob er als Schreckgespenst oder als Glücksfee erscheint. Denn der vom Nachkriegsboom bedingte Erfolg dieses Wirtschaftsmodells wird sich nicht einfach wiederholen lassen. So naiv wie die Vorstellung, die Wachstums- und Beschäftigungskrise sei hauptsächlich die Folge einer neoliberalen Steuer- und Finanzpolitik, ist auch die Hoffnung, Rot-Grün könne mit den von Keynes vorgeschlagenen Mitteln die Massenkaufkraft erhöhen.

Die Erregung über die steuer- und finanzpolitischen Elemente der Koalitionsvereinbarungen ist aber nicht nur stereotypen Reflexen geschuldet, sie ist vor allem unnötig, müssen doch die meisten Steuererhöhungen den Bundesrat passieren. Dessen politische Kräfteverhältnisse in Rechnung gestellt, ist anzunehmen, dass lediglich die Einsparungen bei der Arbeitslosenhilfe und den Zuschüssen für die Bundesagentur für Arbeit gesichert sind.