»Der Atomausstieg ist noch keiner«

Ab 11. November soll wieder ein Castortransport ins Zwischenlager im niedersächsischen Gorleben stattfinden. Die Anti-Atomkraft-Bewegung plant bereits Proteste und Blockaden. Auch die Kampagne X-tausendmal quer will wieder gewaltfreie Sitzblockaden entlang der Transportstrecke durchführen. Sören Janssen ist Mitglied im Bundesvorstand des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Pressesprecher von X-tausendmal quer.

Wie bereitet ihr euch auf den offensichtlich bevorstehenden Transport vor?

Wir organisieren zunächst ein Camp für die Zeit, in der der Transport vermutlich stattfinden wird. Dann mobilisieren wir, damit über den kleinen Kreis von Leuten hinaus, die den Termin kennen, alle davon erfahren.

Der letzte Transport am 14. November 2001 war ein Desaster für die Bewegung. Der Widerstand ist schwächer geworden, es beteiligten sich weniger Leute an den Aktionen, und die Behinderungen waren auch nicht mehr so wirksam. Wie wollt ihr das ändern?

Sicherlich ist es richtig, dass beim letzten Mal ein immenses Polizeiaufgebot vor Ort war und von Anfang an Versammlungen von mehr als zehn Leuten unmöglich gemacht hat. Es gab überhaupt keine Möglichkeit, sich irgendwo zu versammeln, nicht einmal weitab von der Transportstrecke. Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob das aus demokratischer Sicht zu vertreten ist, wenn es gar nicht mehr möglich ist, seinen Protest kundzutun. Natürlich wird der Widerstand vor Ort schwieriger, wenn jeder Auflauf von Menschen von der Polizei behindert wird.

In diesem Punkt haben wir allerdings vor Gericht Erfolg gehabt. Die Gerichte haben entschieden, dass die Camps nicht von vornherein verboten werden dürfen und dass es auch für uns die Möglichkeit geben muss, uns vor Ort zu organisieren. Deswegen denke ich, dass beim kommenden Transport die organisatorischen Rahmenbedingungen besser sind als beim letzten Mal.

Es war immer eine Strategie der Anti-Castor-Bewegung, dass man, wenn man den Transport schon nicht verhindern könne, wenigstens seine Kosten in die Höhe treiben wolle. Nun sollen dieses Mal gleich zwölf Castoren auf einmal geliefert werden. Damit sinkt ja der Transportpreis für einen einzigen Castor enorm.

Das ist sicherlich richtig. Andererseits hilft uns das auch, denn wir können uns gezielt auf einen Transport vorbereiten. Die Anti-Atom-Bewegung wäre sicher nicht in der Lage, alle drei Monate einen Transport zu blockieren. So gesehen ist das auch eine Hilfe.

Natürlich sollen die Transporte billiger werden. Damit muss man umgehen. Für uns ist klar, dass die Anzahl der Personen, die im Wendland unterwegs ist, für die Kosten noch keine Rolle spielt. Egal ob da nun 5 000 oder 2 000 Demonstranten auf der Straße sind, das Polizeiaufgebot für die Sicherung der Strecke wird das gleiche sein. Es ist dann eher eine Frage der Einzelaktionen, die ja auch die letzten Transporte teuer gemacht haben. Etwa wenn der Transport für mehrere Stunden aufgehalten wird. Das sind Aktionen, bei denen es eher um die Qualität als um die Quantität geht.

Zur Taktik der Staatsmacht scheint es ja auch zu gehören, die Transporte in der kalten Jahreszeit durchzuführen.

Das ist sicherlich richtig. Doch für uns besteht dann der Vorteil, dass es früh dunkel wird und die Tage viel kürzer sind.

Auch juristisch setzt der Staat auf eine harte Linie. Es gab mehrfach Gerichtsverfahren gegen Blockierer der Castortransporte.

Es sind drei Mitglieder von »X-tausendmal quer« gewesen, die Verfahren anhängig hatten. Es wurde ihnen vorgeworfen, sie hätten zu einer Straftat aufgerufen. Dabei ging es um unseren Rundbrief und die Internetseite von »X-tausendmal quer«.

Doch die Straftat konnte ihnen nicht nachgewiesen werden. Alle drei sind mit einem Freispruch davongekommen und erhielten keinen Bußgeldbescheid. Das ist natürlich für uns die Bestätigung, dass wir darüber berichten können, dass Menschen sich quer stellen.

Es wird ja immer der Vorwurf erhoben, die Anti-Atom-Bewegung betreibe mit den Blockaden in Gorleben eine Art nationaler Standortpolitik. Der Müll, der aus Frankreich geliefert werde, sei unser Müll, und den müsse man zurücknehmen.

Der Widerstand im Wendland hat eine sehr lange Geschichte, und es stimmt, dass es dort viele Menschen gibt, die den Atommüll vor ihrer Haustür nicht haben wollen. Der Initiative »X-tausendmal quer« kann man diesen Vorwurf allerdings schwerlich machen, weil wir zum einen eine bundesweite Initiative sind und auch viele Menschen mitmachen, die gar nicht aus dem Wendland kommen.

Zum anderen haben wir auch schon Transporte blockiert, die ins Ausland gegangen sind, weil es uns insgesamt um den schnelleren Ausstieg aus der Nutzung der Atomkraft geht, um den Sofortausstieg. Von daher ist es uns egal, welcher Atommüll herumgefahren wird und wohin. Unsere Frage ist eher, auf welchen Transport wir unsere Energie konzentrieren.

Aber Transporte, die von Deutschland nach La Hague gehen, werden doch kaum blockiert. Da scheinen die Leute nicht so leicht zu mobilisieren zu sein.

Auch bei solchen Transporten hat es immer wieder Blockaden gegeben. Aber es spielt natürlich auch die Medienpräsenz eine Rolle, die Frage, wo der größte Widerstand erwartet wird, und das ist traditionell im Wendland. Die Unterstützung ist hier einfach wesentlich größer als anderswo.

Am vorletzten Wochenende demonstrierten etwa 5 000 Menschen in Strasbourg gegen die Atomkraft. Das sind nicht besonders viele. Befindet sich die Anti-Atom-Bewegung in einer Krise?

Ich denke, die Geschichte mit der Laufzeitverlängerung von Obrigheim und die Auseinandersetzung um den Atomausstieg haben noch einmal sehr deutlich gemacht, dass der Druck der Anti-Atomkraft-Bewegung weiterhin nötig ist, weil der beschlossene Ausstieg noch lange keiner ist. Viele sehen das so, dass es an uns liegt, ob der Atomausstieg realisiert wird.

Dabei ist es in sozialen Bewegungen ja üblich, dass es ein Auf und ein Ab gibt. In der Anti-Atom-Bewegung hat es auch immer wieder Phasen gegeben, in denen sich mal mehr, mal weniger Menschen engagiert haben. Aber auch 5 000 Menschen, die sich sehr entschlossen einem Castortransport widersetzen, zeigen, dass diese Atompolitik falsch ist.

Dennoch hat die Bewegung noch keine Antwort auf die rot-grüne Regierung gefunden. Zwar sagen viele Aktivisten, das sei noch kein richtiger Atomausstieg, man müsse weiter Widerstand leisten. Doch die Grünen scheinen auf dem Standpunkt zu stehen: Gut, der Ausstieg dauert länger, dafür kommt er überhaupt und noch dazu im Konsens mit der Industrie.

Natürlich befinden wir uns in einer anderen Situation als damals unter der Kohl-Regierung. Die zeigte keinerlei Gesprächsbereitschaft. Nun steht die Anti-Atom-Bewegung vor der Aufgabe, den Menschen zu erklären, dass der beschlossene Ausstieg daran zu messen ist, wann wie viele Atomkraftwerke wirklich abgeschaltet werden. Und ich denke, da helfen uns die jüngsten Entscheidungen zu Obrigheim.

Lässt sich der Widerstand in Gorleben auf längere Sicht aufrechterhalten, wenn es doch nicht verhindert werden kann, dass das Lager immer mehr Castoren aufnimmt, weil die Transporte einfach durchgeprügelt werden?

Den Widerstand werden wir ganz gewiss fortsetzen. Denn auf der anderen Seite muss sich auch die Regierung dafür rechtfertigen, wie viel Geld für diese Transporte ausgegeben wird. Ich habe den Eindruck, dass die Entschlossenheit in der Bewegung weiterhin groß ist.