Asylrecht in der EU

Träumer und Realisten

»Das Europäische Parlament hat eine Tür zur Festung Europa geöffnet«, freute sich am vergangenen Mittwoch Jean Lambert, eine grüne Abgeordnete im Europaparlament, über den soeben errungenen »Sieg für eine humanitäre Auslegung des europäischen Flüchtlingsstatuts und des Asylrechts«. Lamberts Bericht wurde vom Parlament mit 278 zu 242 Stimmen angenommen.

Tatsächlich finden sich darin ungewohnt fortschrittliche Forderungen. Das Europaparlament wünscht sich, dass die geschlechtsspezifische Verfolgung sowie die Diskriminierung nach sexueller Ausrichtung und ethnischer Abstammung in der EU als Asylgrund gelten sollen. Zudem soll das Asylrecht über PartnerInnen und Kinder hinaus auf enge Verwandte ausgeweitet werden. Kriegsdienstverweigerer hätten ebenso ein Recht auf Asyl wie Angehörige aller EU-Mitgliedstaaten, inklusive der Kandidatenländer.

Die Abgeordneten wandten sich auch gegen den Vorschlag der EU-Kommission, dass allein der Verdacht des Terrorismus ausreichen soll, um vom Asylrecht ausgeschlossen zu werden. Im Parlamentstext definiert wird zudem der Status des »subsidiären Schutzes«, das heißt, der Schutz, den Personen außerhalb des Asylrechts genießen können. Ein solcher Status steht den Verfolgten zu, wenn ihnen die Folter, die Todesstrafe, eine Klitorisbeschneidung oder Bürgerkriegszustände drohen.

So weit die Auszüge aus der langen Liste des Parlaments. Dass es sich dabei lediglich um eine Wunschliste handelt, erfreut vor allem die Gegner des weit gefassten Asylrechts, die Fraktion der Christdemokraten (EVP).

»Gott sei Dank hat das EU-Parlament in dieser Frage kein Mitspracherecht«, kommentierte etwa Hubert Pirker (ÖVP), ein österreichischer Abgeordneter im Europaparlament, das Ergebnis. Das Abgeordnetenhaus hat beim Thema Asylrecht nur eine beratende Funktion, die Entscheidungen fällen die Minister der 15 Staaten im Rat. Auf dieses Gremium baut jetzt die EVP. Die Forderungen seinen »so unrealistisch«, dass sie im Ministerrat sehr rasch »in den Papierkorb wandern« würden, ist sich Pirker sicher.

Als »verlogen« bezeichnete der deutsche Politiker Christian von Bötticher (CDU) die »linke Seite« des Europaparlaments. Während sich die Sozialdemokraten, die Grünen und die Linken in Strasbourg als »Verteidiger der Flüchtlinge« feiern ließen, rühmten sich die eigenen linksgerichteten Regierungen, beispielsweise in Deutschland oder Großbritannien, einer restriktiven Asylpolitik.

Tatsächlich dürfte die Gewissheit darüber, dass die aufgelisteten Forderungen niemals im europäischen Recht auftauchen werden, so manchen Parlamentarier beflügelt haben. Zumindest einer gab das unverblümt zu: der SPD-Abgeordnete Ozan Ceyhun. Im Parlament könne man sich Gedanken machen über »Visionen und Utopien«, ohne dass sie am Ende »in Form einer Richtlinie von einem Rat verabschiedet werden«. »Wenn man das Ganze so großzügig gestaltet«, könne es aber »in Deutschland zu Problemen kommen«.

Da freut sich Ceyhun, dass er nur Abgeordneter und nicht Minister ist. Immerhin müsse er sich keine Gedanken darüber machen, »wie ich meine dänischen oder niederländischen Kollegen im Rat überreden und überzeugen kann«.

Der Abgeordnete mag bei diesen Worten wohl an seinen Innenminister Otto Schily gedacht haben, der, wie er selbst früher, ein Mitglied der Grünen war. Schily überzeugt seine Kollegen in der EU-Ministerrunde bekanntlich seit Jahren vom Gegenteil der jetzt definierten Parlamentsvisionen.