USA vs. Irak

Bagdad-Berlin und zurück

Was sich ohne die Auswertung von Satellitenfotos über Saddam und seine Freunde sagen lässt.

Ich will nicht vorgeben, ich wüsste, ob in den Kellern von Saddams Palästen Rotwein oder Giftgas lagert, ob der Mann selbst gesagt hat, er sei der zweite Saladin und wolle Jerusalem befreien, oder ob es eines seiner drei Doubles war, und schon gar nicht, ob den Irakern ein Sturz des Regimes bekömmlich wäre oder nicht.

Aber ich weiß, in welchem Land ich lebe. Und immer, wenn in diesem Land so gut wie alle einer Meinung sind, kriege ich ein seltsames Jucken in der Schläfe und muss mich kratzen. Gewiss, es wäre theoretisch möglich, dass, wenn 90 Prozent der Deutschen eine Sache für gut halten, diese Sache tatsächlich eine gute ist, nur ist das, meiner Erinnerung nach, noch nie vorgekommen. Mal waren sie alle für Autobahnen und gegen moderne Kunst, dann gegen Asylbewerber und für die Einheit, und jedesmal stank ihr Credo zum Himmel. Ich bin also misstrauisch, wenn ich nun in allen Zeitungen außer der Jungle World dasselbe lese und von allen Politikern außer Wolfgang Schäuble dasselbe höre, wenn von Alt und Altvater bis Mahler und Mommsen alle gegen einen Krieg im Irak sind.

Es ist allein schon diese Zusammenballung von Dummheit und schlechtem Geschmack, die einen zur Vorsicht mahnen muss. Selbstverständlich ist das Gegenteil einer Gemeinheit ebenfalls eine Gemeinheit. Wenn der Mob der Leitkommentatoren für die Verschonung Bagdads eintritt, ist das noch lange kein Grund, die Bombardierung Bagdads zu fordern. Aber es ist doch Grund genug, in Ruhe abzuschätzen, was sich hier wieder einmal zusammenrottet. Um das zu tun, muss einer kein Irak-, sondern bloß ein Deutschland-Experte sein, und das sind wir notgedrungen.

Beugen sich die Spezialisten über die Satellitenfotos, sagen die einen, es ließen sich neue Produktionsstätten für C-Waffen auf dem Gebiet des Irak ausmachen, die andern vermuten, das könnten bloß Fischstäbchenfabriken sein. Es wäre idiotisch, sich als Laie in diesen Streit einzumischen. Aber auch ohne Satellitenauswertung lässt sich einiges festhalten. Zunächst einmal, dass es tatsächlich Leute in Deutschland gibt, die den Bau von Giftgasfabriken begrüßen. Das sind die Fabrikanten, die an ihm verdient haben und wieder verdienen wollen, und die rechten und linken Faschisten, die den Irak als »selbstbewusste Nation« rühmen. Auch wer Saddams Folterkeller noch nicht besichtigen durfte, kann doch wissen, in welche Nachbarschaft sich jeder begibt, der dieses Regime verteidigt.

Die Frage, weshalb der Irak nicht Waffen besitzen dürfe, die andere Staaten auch besitzen, ist ebenfalls zu beantworten, ohne dass wir uns auch nur aus dem Sessel erheben müssen. Das irakische Militär hat in Halabja Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt, Tausende starben, es hat Israel mit Raketen beschossen. Der bloße Anschein, der Irak besitze B- und C- oder gar Atom-Waffen, rechtfertigt die Überprüfung. Sollte aus der Vermutung Gewissheit werden, haben nur Fabrikanten und Faschisten Grund, Saddam den Waffenschein auszustellen.

Die Vermutung, Saddam tüftle an der big one, treibt übrigens nicht nur die Amerikaner um. August Hanning, Leiter des Bundesnachrichtendienstes, sagte einem Reporter, seine Behörde gehe davon aus, wenn Saddam niemand störe, werde ihm binnen drei Jahren eine Atombombe zur Verfügung stehen. Nicht einem Reporter der Frankfurter Rundschau sagte er das, sondern des New Yorker (25. März 2002). Vielleicht wollen es die deutschen Kollegen nicht hören? In ihren Blättern liest man so etwas im Allgemeinen selten, und je linker, desto seltener. Im Allgemeinen; was den Zustand des Irak betrifft, vertraue ich den Informationen von Thomas von der Osten-Sacken, was den der deutschen Linken betrifft, der Analyse von Joachim Rohloff und nicht den Nachrichten und Kommentaren der Schröderpresse, die, um nur ein Beispiel zu nennen, den Selbstmordanschlag der al-Qaida auf die Synagoge von Djerba systematisch heruntergespielt hat.

Die pazifistischen Argumente wiederum erledigen sich gleich reihenweise an den Fakten der Geschichte. Nehmen wir nur das bekannte unserer moralischen Vordenker Altvater, Jens, Wallraff usw., der »gerechte Krieg« sei einerseits ein »unglückseliger historischer Begriff, den wir nicht akzeptieren«, andererseits hätten die »Vereinigten Staaten für die Befreiung Europas vom Joch des Nationalsozialismus einen hervorragenden Beitrag geleistet«. Aber womit? Es sei fraglich, schreiben Altvater & Co., ob »ein Krieg bei Einsatz einer Waffentechnik, in der nicht Truppen bekämpft, sondern ganze Regionen, ihre Bewohner und deren Lebensgrundlagen zerstört werden, die Bezeichnung 'gerecht' überhaupt in Anspruch nehmen« könne.

Demnach haben die Amerikaner zwar einen hervorragenden Beitrag geleistet, aber gleichzeitig einen ungerechten Krieg geführt, als sie deutsche Großstädte bombardierten. Solches Gerede ist entweder nichts als Heuchelei und heiße Luft, weil es sich um die Tatsache herumdrückt, dass es Situationen gibt, in denen selbst die Sitzblockade nicht weiterhilft. Oder, und das ist wahrscheinlicher, es transportiert den Hass derer, die gar nicht befreit werden wollten, auf ihre unfreiwilligen Befreier.

Am 6. Oktober, ein Jahr nach dem Beginn des Kriegs gegen ein verbrecherisches Regime in Kabul, warnten Katja Ebstein, Günter Grass, Jürgen Habermas und mehr als 2 120 Gleichgesinnte »vor der Kriegspolitik der Bush-Administration«. Warum? Weil der »Krieg das falsche Mittel ist, um den Terrorismus aus der Welt zu schaffen«. Aber wie schafft man ihn aus der Welt? Natürlich nur mit den Vereinten Nationen - in der Hoffnung, dass wieder mal kein Beschluss gefasst wird - und mit Entwicklungshilfe. »Wer den Terrorismus wirksam bekämpfen will, muss auch seine sozialen Ursachen ins Auge fassen, vor allem die ungerechte Verteilung der Reichtümer der Erde und die Demütigung fremder Kulturen durch die Arroganz einiger Führer des Westens.«

Die ungerechte Verteilung der Reichtümer, die Ussama bin Laden und Saddam Hussein zu Millionären machte, ist tatsächlich zu beklagen, aber wenig spricht gegen die Arroganz eines Führers des Westens, der die Kultur der Taliban demütigte. Wer also gegen den Krieg ist, sollte wissen, dass er sich unweigerlich in die Gesellschaft von Trotteln begibt. Er sollte sich tunlich ein Argument wählen, das ihn von diesen unterscheidet.

Ohne Lenins Schriften studiert zu haben, behaupte ich, dass die Imperialismustheorie seiner jüngsten Jünger ebenfalls nicht viel taugt. Es heißt, die Regierung der USA handele nicht aus Nächstenliebe. Nebbich. Welcher Staat hat das je getan? Wer den ökonomischen oder geopolitischen Nutzen einer Außenpolitik nachweist, ist keineswegs klüger als der, der fest an ihre vorgeblichen moralischen Ziele glaubt. Das Gute ergibt sich, wenn schon, nebenbei. Die USA haben Saddam installiert, vermutlich um den Iran zu schwächen, jetzt deinstallieren sie ihn, vermutlich um Ölreserven zu sichern. Aber was zwingt uns, die Welt aus dem Blick ihrer Beherrscher wahrzunehmen? Wer nach den Interessen der Großmächte fragt, aber nicht nach den Interessen der Opfer, nach den Plänen Washingtons, aber nicht nach denen der Verfolgten im Irak, ist ein Sandkastenstratege, aber kein Gesprächspartner.

Wenn George W. Bush seine Entscheidung überdenkt, den Irak anzugreifen, wird die gute Laune seines Hundes mehr ins Gewicht fallen als die schlechte der deutschen Linken. Aber es gibt Juden in Berlin, die es beunruhigt, wenn auf Friedensdemonstrationen antisemitische Slogans skandiert werden. Was deutsche Linke vom Krieg halten, ist unerheblich, aber nicht, was sie von denen halten, die für Ihresgleichen gehalten werden, Antizionisten und Verschwörungstheoretiker, Pazifisten und Bereiter des Deutschen Wegs. Nicht ob einer für oder gegen den Krieg ist, sondern ob er im Zweifelsfall auf der Seite der Getreuen Saddams oder auf der seiner Opfer, auf der von Mathias Bröckers oder auf der der Jüdischen Gemeinde steht, ist am Ende von Belang. Hier scheiden sich die Geister in Deutschland und haben sie sich immer geschieden.

Träfe ich nur einmal einen Kriegsgegner, der seinen Sermon nicht mit dem amerikanischen Präsidenten, sondern mit dem Massaker an den Kurden beginnt, das er bedauert, aber, um Schlimmeres zu verhüten, auch in Zukunft nicht verhindern will! Ich wünschte, ich könnte einen von diesen Friedensfreunden respektieren, wenigstens als tragischen Fall. Aber alle beeilen sich, die schlimmsten Vorurteile zu bestätigen. Es ist übrigens auffällig, dass sie sich dabei sehr kühn vorkommen, als regierte sie nicht ein erklärter Kriegsgegner, sondern General Schwartzkopf persönlich, der aber übrigens auch gegen den Krieg ist.

Von mir aus soll jeder der Stimme seines friedliebenden Herzens folgen, aber wenn über 60 Millionen dieser Herzen im selben Takt schlagen, klingt das nach Marschtritt.