Suicide in Berlin

Das Terrorkommando

Was heute als Elektropunk gehypt wird, haben Suicide schon vor 25 Jahre gemacht. Jetzt haben sich die Väter der Bewegung zurückgemeldet.

Der eine sieht aus, wie die Typen immer aussehen, die in amerikanischen Streetcrime-Filmen zur Steigerung der Authentizität an eine vermüllte Straßenecke gestellt werden, wo sie sich an einem Feuer in einer Blechtonne aufzuwärmen haben. Er sieht fertig aus, trägt Schlabberklamotten, einen Kapuzenpulli, dazu eine Sonnenbrille. Er hat einen Bauch, ist um die 50, sein Gesicht ist verknittert, er ist der Sänger der Band, Alan Vega. Kult. Der andere ist drahtig, trägt ein eng anliegendes, schwarzes Kunstfasersweatshirt, das durch so etwas wie einen Brustansatz gewölbt wird, was äußerst kurios wirkt. Eine Frisur hat er nicht, nur lockige Haare, zumindest hinten, da, wo der Haarausfall noch nicht gewütet hat. Er ist ebenfalls um die 50 und hat sich eine Sonnenbrille aufgezogen. Martin Rev. Kult.

Diese beiden Hampelmänner geben gerade ihr einziges Konzert in Deutschland. Suicide in der Berliner Volksbühne. Sie haben sich zurückgemeldet. Nach zehn Jahren gibt es ein neues Album von ihnen, »American Supreme«. Die Platte ist ein schlechter Witz, aber das ist egal, etwas anderes hat auch niemand erwartet, darauf kommt es auch gar nicht an. Wichtig ist allein, dass diese beiden Gestalten da vorne 1977, also im Jahr des Punk, im Jahr der Sex Pistols, im Jahr des Deutschen Herbstes, eine Platte ablieferten, die die Popmusik der Achtziger, die der Neunziger und die von heute prägte wie kaum eine zweite. Die Platte hieß wie die Band: Suicide, und sie klingt auch heute noch so konsequent nach Terror und Paranoia wie die Schlagzeile: »Ussama bin Laden hat die Atombombe.«

Wegen dieser Platte ist die Volksbühne gerappelt voll. Wegen apokalyptischen Reißern wie »Rocket USA«, dem hektischen Angstgospel »Cheree« und wegen »Frankie Teardrop«, dem zehnminütigen Amoklauf über einen Vietnamheimkehrer, der zuhause erstmal seine Frau und sein Kind abknallt, um sich danach selbst die Kugel zu geben. In all diesen Schockern gibt es eigentlich nicht viel mehr zu hören als einen Drumcomputer, schockgefrostete Synthielines wie vom frühen John Carpenter und Alan Vega, der wie Elvis auf dem elektrischen Stuhl singt. Singt? Vor allem in »Frankie Teardrop« gibt er eher gehickste »Irggs« von sich, und vor allem: »Ahhhhrrrggghhh!«

Wegen Suicide ging man in die Volksbühne, doch vor und nach dem Auftritt gab es noch zwei weitere Acts, die den enormen Einfluss des Duos untermauerten. Zuerst trat die Rockband The Liars aus New York auf, wütend, fucked up, gut. Nur leider wirkte es seltsam, wie sich da vorne eine Band in ätzenden Posen übte, während das Publikum brav auf den plüschigen Theatersesseln rumlungerte, nicht anders, als ob gerade etwas Neues von Castorf geboten würde. Pack den Rock ins Theater und du kannst ihn gleich beerdigen. Nach Suicide traten Pan Sonic auf, die finnischen Störgeräuschelektroniker, die nicht nur deutlich von Vega und Rev beeinflusst wurden, sondern mit ihnen auch gemeinsam eine Platte aufgenommen haben, die allerdings floppte. Pan Sonic waren langweilig, aber an einem Ort, wo der gepflegte Theaterschlaf zu Hause ist, ist das genau richtig.

Liars und Pan Sonic, Punkrock und Elektronik. Suicide waren die ersten, die das zusamenbrachten. Später gab es Plastikpunk wie den von Sigue Sigue Sputnik, Industrialrock von Front 242, den Revolting Cocks und Ministry und heute Electroclash, den Hype um Acts wie Fischerspooner oder ARE Weapons, die eigentlich nichts anderes machen als das, was Suicide schon vor 25 Jahren machten.

Als Rev und Vega sich in den Siebzigern zusammentaten, geschah das, wie so oft in dieser Zeit, aus der Motivation heraus, Kunst zu produzieren, etwas andere Kunst. Andy Warhol und die Factory machten vor, was möglich ist. Doch anders als englischer Antipunk wie etwa von Coum Transmissions und Throbbing Gristle, machten Suicide nie wirklich ein Fass auf oder wollten den Nazischock oder fanden Charly Manson super.

Nein, so waren sie nie. Sie blieben saustumpf, legten sich den Lederjacken-Sonnenbrillen-Ramones-Look zu, stellten sich in die Tradition von Velvet Underground und Iggy & The Stooges, und das war's. Dass Martin Rev angibt, er wäre von Terry Riley und La Monte Young beeinflusst, von neutönerischer Avantgarde, spielt keine Rolle mehr, wenn man bedenkt, dass der Punkgestus, dessen Suicide sich bedienten, aus ganz anderen Gründen dasselbe wollte wie die Minimal Music: die totale Reduktion der Mittel. Stell dich hin und leg los. Und Suicide stellten sich hin und legten los! Dafür wurden sie gehasst. Und es war großartig.

Lester Bangs, der große Rockgeschichtsschreiber, sah Suicide in ihren frühen Tagen, als sie als Vorgruppe der Ramones auftraten und das Publikum spalteten: »Die Leute schrien Dinge wie 'You Suck' und 'Sucht euch einen Job'«. Die Suicide-Fans versuchten, die Ungläubigen niederzubrüllen und in dem ganzen Chaos verkündete Alan Vega: »Was buht ihr uns verdammt nochmal aus? Ihr werdet alle sterben.«

Derartig polarisieren Suicide heute nur noch mit ihren alten Stücken. Auch ihre zweite, ebenfalls ziemlich gelungene Platte von 1980 nannten sie einfach nur »Suicide«. Alles was danach kam war nicht mehr so aufregend, die Songs klangen geplant und gewollt, und das tat dem Sound nicht gut. Die rockigen Soloplatten Alan Vegas waren besser.

Und nun, na ja, »American Supreme«, ein Instantprodukt, clean, Vega versucht sich gelegentlich als Hip Hopper, schauderhaft. Auf dem Plattencover weht eine luzide amerikanische Flagge, auch Suicide mussten wie Bruce Springsteen und Neil Young ihre Erlebnisse vom 11. September verarbeiten. Ins Booklet ließen sie noch einige Situationistensprüche drucken, mit »die Berühmtheit ist die Antithese des Lebens« wird Guy Debord zitiert und ansonsten werden brav ein paar Kulturindustriezynismen und etwas Medienkritik zum Besten gegeben, Songtitel lauten »Televised Executions« oder »Dachau, Disney, Disco«. Dass Britney Spears nicht mehr mit Justin Timberlake zusammen ist, schockiert mehr.

Doch bei ihrem Auftritt ist das alles vergessen. Auch der neue Kram klingt schön brutal. Alan Vega stolpert völlig orientierungslos auf der Bühne herum, wirkt wie eine Karikatur seiner selbst, und man weiß nicht so recht, ob er nun wirklich drauf ist, oder ob er nur so tut. Martin Rev steht völlig stoisch da und drückt während des gesamten Konzertes nur mit der rechten Hand auf seinem klapprigen Synthie rum, macht dabei aber Krach für zehn. Ihr Konzert klingelt nach, noch Tage später, herrlich.

Suicide: »American Supreme« (Mute/Virgin)