»Die Großen hasst man eben«

Die Stimmung ist frostig, das Verhältnis schwer gestört. Von einer uneingeschränkten Solidarität mit den USA ist in Berlin schon lange keine Rede mehr. Stattdessen geht Bundeskanzler Gerhard Schröder auf Konfrontation zur US-Regierung. Die Entwicklung der transatlantischen Beziehungen ist einer der Schwerpunkte in den Arbeiten von Andrei S. Markovits. Er lehrt Politikwissenschaft und Soziologie an der University of Michigan, Ann Arbor.

Kommen Sie noch gerne nach Europa?

Absolut. Der Stimmungsumschwung nach dem 11. September hat mich nicht überrascht. Die antiamerikanischen Töne habe ich zwar nicht speziell von Gerhard Schröder erwartet, wohl aber von den europäischen Eliten. Die Bevölkerung hat nach den Anschlägen große Empathie für die Opfer gezeigt, während die Intellektuellen, von Le Monde über den Guardian bis zur Frankfurter Rundschau, den USA sehr distanziert gegenüber standen. Dort gab es schon in den ersten Tagen nach den Anschlägen US-kritische Kommentare.

Und diese Stimmung herrscht in allen europäischen Ländern. Den stärksten Antiamerikanismus gibt es in Frankreich, selbst die Gaullisten und die Kommunisten sind sich in diesem Punkt einig. In Europa halten viele den US-Präsidenten für eine größere Gefahr als Ussama bin Laden oder Saddam Hussein.

Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?

Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Situation in Europa grundlegend verändert. »Keep the russians out, the americans in and the germans down«, hieß lange Zeit das Motto. Die Russen hinter dem Eisernen Vorhang zu halten, war natürlich die wichtigste Aufgabe. Das hat sich ja nun erledigt. Deutschland muss seine Politik mit der EU abstimmen und wird nicht mehr unbedingt als der zentrale Machtfaktor in Europa wahrgenommen. Bleibt also die Frage, wieso die Amerikaner immer noch da sind. Sie sind die einzige Supermacht. Und die Großen hasst man eben.

Bislang gibt es kein Land, das mit den USA konkurrieren könnte.

Der Pakt war erfolgreich, der Feind ist weg, die Allianz zerbricht. Jedes Bündnis funktioniert so. Die anderen Staaten beginnen nun, gegen die einzige Supermacht zu paktieren. Es dauert nicht mehr lange, bis es wieder neue Konkurrenten gibt. Zwei Kandidaten sind schon auf dem besten Weg. Europa ist ökonomisch mit den USA fast gleichgezogen. Der andere Riese ist China. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die USA in Asien herausgefordert werden.

Die transatlantische Allianz neigt sich also dem Ende zu?

Der Antiamerikanismus war schon immer ein Bestandteil des europäischen Gedankengutes und er hat sich immer als Kritik an der Moderne artikuliert: Die US-Amerikaner seien vulgär, materialistisch und kulturlos. Doch jetzt leben wir in einer Phase, in der Europa und die USA auseinanderdriften und die kulturelle Kritik auch zu einer politischen wird.

Europa einigt sich und dafür braucht es strukturell eine einigende Ideologie. Ein Aspekt davon ist, dass man sich gegenüber einer anderen Macht abgrenzt. Ein Schotte und ein Grieche haben wenig gemeinsam, aber beide sind keine Amerikaner. Daher wundert es mich nicht, dass nach dem 11. September, wenn man so will, eine Art Schadenfreude aufkam. Endlich hat der große Bruder auch mal etwas abbekommen.

Was ist dann das Neue an den Äußerungen Schröders?

Seine Aussagen besitzen eine neue Qualität, wenn auch innerhalb einer kontinuierlichen Entwicklung. Bislang beschränkten sich die antiamerikanischen Töne auf Zeitungskommentare oder auf Stammtischreden. Schröder hat diese Stimmung mobilisiert und damit die Bundestagswahlen zumindest stark beeinflusst. Zum ersten Mal seit 1945 wurde in Europa ein Wahlkampf mit einer klaren Abgrenzung von den USA geführt und gewonnen. Das hat nicht einmal de Gaulle gemacht.

Dabei hat niemand verlangt, dass sich Deutschland an einem Krieg gegen den Irak beteiligen soll. Ausgerechnet die Deutschen, die so viel Wert auf internationale Zusammenarbeit legen, haben sich von den UN und selbst von den Positionen der anderen Europäern abgekoppelt und einen deutschen Unilateralismus formuliert, einen deutschen Sonderweg.

Wieso wurde ausgerechnet im deutschen Wahlkampf die Kritik an den USA so populär?

Die Debatte setzte lange vorher ein. Denken Sie etwa an die Auseinandersetzungen um das Klimaprotokoll von Kyoto. Oder die Kritik der Parteivorsitzenden der Grünen, Claudia Roth, wegen der Hinrichtung zweier aus Deutschland stammender Brüder in Texas. Auch die französischen Wahlen im Sommer waren nationalistisch geprägt, Jean-Marie Le Pen schnitt damals sehr erfolgreich ab. Aber es gab keinen konkreten Aufhänger, die Irakfrage war noch nicht virulent. Dass die Debatte um einen möglichen Krieg mit dem Wahlkampf in Deutschland zusammenfiel, war ein Zufall. Und für Schröder eine willkommene Gelegenheit.

Ganz so zufällig ist diese Entwicklung nicht. Schöder hatte bereits in seiner ersten Regierungserklärung von der »selbstbewussten Nation« gesprochen.

Sicher. Man braucht keine Schutzmacht mehr und will die Vergangenheit hinter sich lassen.

Warum verhält sich ausgerechnet diese Regierung so nationalistisch? Die ehemaligen 68er sind schließlich mit dem Anspruch angetreten, die Bundesrepublik »zivilisiert« zu haben.

Weil sie einen großen Bonus haben. Die 68er sind qua Generation außerhalb des Verdachts, sie verfügen über einen Freiraum, den die Konservativen nicht in Anspruch nehmen können. Die Gnade der späten Geburt besitzt nun die aktuelle Regierung - und die Gnade des politischen Lagers. Sie können sich einfach etwas mehr erlauben als etwa die Konservativen um Edmund Stoiber. Das gilt auch für die Irakfrage.

Was halten Sie von der gegenwärtigen US-Außenpolitik?

Nicht viel. Es gibt einige Nationen, die ich für bedenklicher halte als den Irak. Pakistan ist ein sehr instabiler Staat, der Atomwaffen besitzt. Die Islamisten haben bei den letzten Wahlen gewonnen und kontrollieren die nordwestliche Provinz. Saudi-Arabien, einer der engsten US-Verbündeten, verfügt sicherlich über engere Kontakte zur al-Qaida als der Irak. Wenn man also den islamischen Terrorismus bekämpfen will, ist der Irak nicht das richtige Ziel.

Die einzige Erwägung, die für eine Intervention sprechen könnte, ist folgende: Wenn nach einem möglichen Sturz des gegenwärtigen Regimes im Irak ein nation buildung erfolgen würde, wenn es also gelänge, einen säkularen, aufgeklärten Staat zu schaffen, der eine demokratische Ausstrahlung auf den gesamten Nahen Osten haben könnte.

Ein nicht gerade realistisches Szenario angesichts der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Probleme.

Die Entwicklung in einem Teil der Welt, wie etwa in Lateinamerika, bedeutet nicht zwangsläufig, dass ein Neuanfang im Nahen Osten deshalb unmöglich ist. Vorausgesetzt, die USA und Europa verpflichten sich, dem Irak ökonomisch so beizustehen, wie es die USA zum Beispiel nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland und Japan gemacht haben.

Und wenn die US-Regierung keine Verbündeten für ihre Pläne findet?

Es wäre ein furchtbarer Fehler, wenn die USA allein handeln würden. Sie sind zwar militärisch auf niemanden angewiesen. Die Frage ist aber, wie hoch der Preis dafür ist und wie lange sie durchhalten können. Eine unilaterale Aktion wird sich auf Dauer nicht auszahlen. Die Republikaner um George Bush sehen das natürlich anders. Sie glauben, dass die Liliputaner den großen Gulliver fesseln wollen. Und das will Gulliver eben nicht.