Untersuchungskommission bei Daimler-Chrysler

Unter Verdacht

Die Firma Daimler-Chrysler lässt die Morde an 14 Gewerkschaftern in Argentinien untersuchen. Mitarbeiter des Konzerns sollen während der Diktatur dem Militär zugearbeitet haben.

Mit Ignoranz reagierte der Vorstand des Konzerns Daimler-Chrysler, als vor drei Jahren Vorwürfe laut wurden, führende Mitarbeiter seien in den siebziger Jahren in Argentinien an der Ermordung von über einem Dutzend unbequemer Betriebsräte beteiligt gewesen. Erste Presseveröffentlichungen der Journalistin Gaby Weber, die den Fall dort recherchierte, stießen in Stuttgart auf Schweigen. Selbst als der Spiegel die Geschichte aufgriff, blieb es merkwürdig still.

Das änderte sich auch nicht, als der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der Vorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsvereins, gegen führende Mitarbeiter Daimlers eine Anzeige wegen Beihilfe zum Mord erstattete und die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleitete. Der Konzern ließ nur ein ums andere Mal verlauten, man wisse von nichts. Menschenrechtsgruppen und Journalisten gewannen den Eindruck, dass die Konzernführung vor allem nichts wissen wollte. Denn sie wurden von Pressesprecherinnen stets nur abgewimmelt.

Aber die Geduld scheint nun doch Auswirkungen zu haben. Vor einigen Tagen bestätigte der Konzern offiziell, dass »auf Initiative der Unternehmensführung und der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat« eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt worden sei. Zwar hätten interne Untersuchungen ergeben, dass eine »Verwicklung« in die Morde an den Gewerkschaftern »nicht festgestellt« werden konnte. Doch um den »Verdachtsmomenten weiter nachzugehen«, solle die Kommission nun ihre Arbeit aufnehmen und bis zum Ende des Jahres 2003 Klarheit schaffen. Den Vorsitz übernimmt der Berliner Völkerrechtsprofessor Christian Tomuschat, der sich bereits als Leiter der UN-Wahrheitskommission bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen in Guatemala einen Namen gemacht hat.

Zwar gibt es keinen Grund anzunehmen, Daimler habe plötzlich eingesehen, dass die Vorwürfe stimmen könnten. Kaleck warnt davor, die Kommission könne zu einer »Alibiveranstaltung« werden, die keine konkreten Folgen habe. Aber immerhin könnte doch mehr Licht ins Dunkel kommen.

Zu untersuchen gibt es eine ganze Menge. Im Daimler-Werk in Gonzalez Catan, einem Industrievorort der Hauptstadt Buenos Aires, tobte Mitte der siebziger Jahre der Klassenkampf. Militante Gewerkschafter riefen die Beschäftigten zum Streik für bessere Arbeitsbedingungen auf. Linke Guerilleros versuchten mit der Entführung des Werkleiters auf den betrieblichen Kampf Einfluss zu nehmen. Das alles spielte sich im aufgeheizten politischen Klima eines Landes ab, das nach der Machtergreifung der Generäle im benachbarten Chile zwischen einer drohenden Militärdiktatur und einer stärker werdenden revolutionären Bewegung stand.

Schließlich putschte im März 1976 das Militär. Gewerkschafter galten nun offiziell als Terroristen. 14 Betriebsräte der Daimler-Niederlassung wurden in den folgenden Monaten von Soldaten im Betrieb oder zu Hause abgeholt. Bis heute gelten die Betriebsräte als »verschwunden«. Sie teilen das Schicksal von 30 000 Oppositionellen, die in Argentinien bis zum Jahr 1983 ermordet wurden. Überlebende Gewerkschafter beschuldigten den damaligen Produktionsleiter Juan Tasselkraut, die Adressen ihrer Kollegen ans Militär weitergegeben zu haben. Dieser bestreitet jedoch jede Verantwortung.

Das wird allerdings immer schwerer. Ein Mitarbeiter der Informationsstelle Lateinamerika (Ila) aus Bonn fand kürzlich in einem Archiv der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung einen Hinweis auf eine direkte Verbindung zwischen dem blutigen Geschehen in den Folterkellern argentinischer Militärs und der Spitze des Weltkonzerns. Es handelt sich um einen Briefwechsel zwischen dem damaligen Vorsitzenden der IG Metall und Präsidenten des Internationalen Metallarbeiterbundes (IMB), Eugen Loderer, und dem damaligen Daimler-Chef und Präsidenten des deutschen Arbeitgeberverbandes, Hanns Martin Schleyer.

Am 19. Mai 1976, wenige Wochen nach dem Putsch, als in Buenos Aires Todesschwadronen Jagd auf Oppositionelle machten, rechtfertigte Schleyer die Entlassung von 115 Arbeitern, denen wegen der Teilnahme an einem Streik zwei Jahre zuvor gekündigt worden war. Es sei schließlich darum gegangen, »subversive Elemente aus den Fabriken auszuschalten«, schrieb er.

Nun heißt »ausschalten« nicht unbedingt »umbringen«, und Schleyer gebrauchte das Wort nicht im Kontext der Morde an den Gewerkschaftern, die erst einige Monate später begangen wurden. Dennoch stellt sich die Frage, welche Methoden das »Ausschalten« von »subversiven Elementen« für einen ehemaligen SS-Hauptsturmführer wie Schleyer umfasste. Zumindest zeigt der Briefwechsel, dass sich die Führungsspitze des Konzerns in Stuttgart mit den Ereignissen in Argentinien befasste. Sie dürfte später auch von den Morden erfahren haben.

Der Briefwechsel belastet auch die Führung der IG Metall. Denn Schleyer konnte durchaus auf die Zustimmung Loderers hoffen. Dessen Stellvertreter im IMB war zum fraglichen Zeitpunkt kein anderer als José Rodríguez, der Leiter der unternehmenstreuen Smata, einer »gelben« Gewerkschaft, die gemeinsam mit der Unternehmensleitung gegen die klassenkämpferischen unabhängigen Betriebsräte in Gonzalez Catan vorging.

Rodríguez, der seinen Posten im IMB noch immer bekleidet, muss sich erst jetzt unbequemen Fragen stellen. Kürzlich wurde er vor einem Wahrheitstribunal in Buenos Aires vernommen, und der österreichische Metallerverband forderte das Sekretariat der IMB zu einer Untersuchung der Vorwürfe auf. Die deutsche IG Metall dagegen muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie erst vor einem Jahr eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge im Daimler-Werk forderte. Augenscheinlich waren die Vorgänge bekannt.

Christian Tomuschat hat viel zu tun, wenn er in einem Jahr einen umfassenden Bericht über die Umstände der Morde und die Verantwortung dafür abgeben möchte. Aufschlussreich könnte auch ein Blick in die Archive des Auswärtigen Amtes sein. Denn die von Helmut Schmidt geführte sozialliberale Koalition arbeitete so eng mit den Generälen zusammen, dass der argentinische Schriftsteller Osvaldo Bayer 1982 bilanzierte: »Unter den westlichen Ländern war und ist die Bundesrepublik Deutschland der beste Freund und Helfer der Militärdiktatur.«