Die Filme der jüdischen Kulturtage

Klischees auf Zelluloid

In der vorigen Woche fanden die Jüdischen Kulturtage statt.

Zum ersten Mal trauten sich die Organisatoren der Jüdischen Kulturtage in diesem Jahr, jüdische Kultur aus Berlin und nur aus Berlin zu zeigen. In den Vorjahren wurden die Künstler noch aus aller Welt zusammengerufen. Diesmal fragte die künstlerische Leiterin der Kulturtage, Adriana Altares, rethorisch und selbstbewusst: »Gibt es jüdische Kunst auch in Berlin oder nur in Israel, London, New York und Russland?«

Vom 10. bis zum 19. November sollte die Frage beantwortet werden. Unter dem Motto »Berlin Open« gab es Filme zu sehen, Konzerte und Autorenlesungen zu hören, Theater und Vorträge fanden sich im Angebot, und als Höhepunkt gab es zum ersten Mal auch eine »lange Nacht der Synagogen«. Sechs jüdische Gotteshäuser der Hauptstadt öffneten am vergangenen Samstag ihre Türen für Besucher.

Im Kino Arsenal waren am 12. und 13. November fünf Filme zu sehen, die von der Jüdischen Volkshochschule in Auftrag gegeben worden waren. Das Programm lief unter dem Titel »JEWels«. Sechs Wochen lang hatten die jüdischen Regisseure und Regisseurinnen Zeit, ihren Blick auf die jüdische Kultur in Berlin in einem Kurzfilm darzubieten.

In dem Film »Juden im Museum« von Arielle Artsztein und Esther Slevogt begegnen wir im Berliner Jüdischen Museum mehreren Museumsführern, die sich Guides nennen, weil das deutsche Wort aus nahe liegenden Gründen nicht zu gebrauchen ist. Die hauptsächlich nicht jüdischen deutschen Besucher werden als interessiert und betroffen dargestellt und vor allem als ziemlich ahnungslos, was das jüdische Leben angeht. Die Berührungsängste sind so groß, dass die Besucher ihre Neugier gegenüber den Guides nicht ausdrücken können: »Sind sie eigentlich auch ... na... na sie wissen schon?«

Das Wort Jude geht im Jahr 2002 immer noch nicht so leicht über die Lippen. Die Politiker und Politikerinnen, die im Wahlkampf noch nicht auf den Antisemitismus setzen, haben elegante Sprachregelungen gefunden: »Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens«. Der Film zeigt, dass man sich heute als Nichtjude wenigstens ins Jüdische Museum wagt, wenn wohl auch insgeheim erleichtert darüber, dass die Vitrinengläser vor unmittelbaren Kontakten schützen.

Dem distanzierten Blick, den die nicht jüdischen Deutschen auf ihre jüdischen Mitbürger werfen, geht auch die Schauspielerin und Sängerin Sharon Brauner nach. In der Jüdischen Allgemeinen Zeitung sagte sie: »Wenn ich mich selbst definieren sollte, dann würde ich vor allem sagen, ich bin eine Berlinerin. Das kommt für mich vor all den anderen Identitäten wie zum Beispiel 'Frau' oder 'Jüdin'.«

In ihrem Film »Leben und leben lassen« geht es ganz unmuseal zu. Sie interviewt Passanten »in freier Wildbahn«, mitten in Berlin, und die Antworten sind schon etwas direkter als im Jüdischen Museum. Da hört man schon einmal: »Die sind meistens reich«, wenn man fragt, was einem denn so zum Judentum einfällt.

Der Film bietet Antworten auf grundsätzliche Fragen wie »Woran glauben sie?«, »Was ist ihr Lebensmotto?«, sie sind in ironischer Leichtigkeit hintereinander montiert. Die Reportage behandelt das Verhältnis von jüdischen und nicht jüdischen Berlinern zu der Stadt, in der sie leben, und zueinander. Die Aussagen reichen von »Ich find's cool, Jüdin zu sein« bis »An Gott glauben ist kindisch, Gott leugnen ist Wahnsinn, Gott suchen ist alles«. Doch so verschieden die Statements der Interviewten sind, sie fügen sich doch zu einem sehr vertraut wirkenden Bild der Hauptstadt zusammen.

Dani Levy geht phantasievoller, aber auch etwas chaotischer ans Werk. »Hannah und ihr Vater« heißt sein Kurzfilm. Beim Kochen mit dem Kumpel wird von den guten jüdischen Männern erzählt, von denen man weiß, wo sie stecken: Der Mythologie nach zu Hause, und die »besten Loser« zu sein, rühmen sie sich außerdem.

Aber der Film führt nicht nur zu Danis sympathischen Freunden, sondern auch in den Kiez. Mit einem angeklebten Bart, einem schwarzen halblangen Mantel, mit schwarzem Hut und Hornbrille, im Kostüm des ultraorthodoxen Juden also, zieht Dani als sein eigener Großvater Fischl Fisch los. Seine kleine Tochter, die ihren Vater ansonsten im Griff hat, schockiert der fremde Typ ziemlich, als er sie aus dem Kindergarten abholen will. Aber ihr »neuer Fischl-Opa-Papa« hat die Kleine bald davon überzeugt, dass sein Bart doch eigentlich klasse ist. »Sieht fein aus, nicht wahr? Hat die Mama mir angeklebt.«

Er nimmt seine Tochter mit auf einen Spaziergang durch die Stadt, in der er jetzt schon 22 Jahre lang wohnt. Und zum ersten Mal geht er zu der Adresse, wo seine Familie bis zum Hereinbruch der Katastrophe lebte. Er sucht nach dem Wohnhaus und findet ein Mahnmal in der Nähe. Seiner Tochter erklärt er - oder erklärt er es sich selbst? - : »Ich geh' jetzt mal hier so lang, als ob ich mein Großvater wär.« Und dem Zuschauer wird es genau so unheimlich wie Dani.

Der Berliner, den er auf der Straße anspricht, spricht mit Berliner Schnauze. »Ich bin nämlich Jude«, erklärt der verkleidete Dani seine Fragen nach dem Mahnmal, darauf sagt der Angesprochene: »Na, so sehen Sie auch aus.« Dani alias Fischl bringt ein kreatives Chaos in den Berliner Alltag, verwirrt und verwundert die Personen im Film, den Zuschauer und sich selbst, und aus dieser Verwunderung entstehen neue liebevolle Beziehungen.

Die »schönsten Bilderbuchjuden« kann man jedoch in Ulrike Ottingers Film »Ester - ein Purimspiel in Berlin« begutachten. Allerdings ermüden nach 20 Minuten die Darsteller in Turbanen und mit orientalischem Gardinenschleierbehang ein wenig. Wer sich als Liebhaberin des Werks Ottingers auf wunderbare Stadtlandschaften gefreut hat, dem fällt es schwer, diese ohne jegliche filmische Idee sehr lieblos aufgenommene Theateraufführung mit endlosen Darbietungen von Mädchen in Laientanzgruppen ohne einen bösen Kommentar zu quittieren.

Den Abschluss des Filmabends bildete November Wanderins Film »Berlin Beshert«. »Beshert ist das jiddische Wort für 'the one-and-only'«, erklärt die Filmpostkarte, und nach dem Traumprinzen wird hier intensiv gesucht. Alle gängigen Klischees werden wiederholt. Die jiddische Mamme, die für ihre 30jährige Töchter eine Heiratsvermittlerin anheuert, löst die kabarettistische Parade aus Philo- und Antisemiten aus.

Sorgfältig werden alle Stereotype nachgezeichnet: die hübsche lesbische Tochter aus gutem Hause, die beim Blinddate ausgerechnet auf eine Szenelesbe mit Lederjacke und Palästinensertuch trifft; die bemühte, nicht jüdische Judaistikstudentin, die Rabbinerin werden möchte; der Journalist aus New York, der mit seiner Begeisterung nervt.

Ein Happy End bei unkoscherer Currywurst gibt es dennoch, und wer Lust hatte auf reichlich Jüdisches und die ästhetischen Ansprüche nicht zu hoch schraubte, ging nach dieser Filmreihe vergnügt nach Hause. Im Dezember soll sie im Kino Arsenal wiederholt werden.