Serie zum Hartz-Konzept, Teil II

Call a Leiharbeiter

Mithilfe der neuen Personal-Service-Agenturen (PSA) werden geregelte Beschäftigungsverhältnisse durch Leiharbeit ersetzt. Hartzschrittmacher II.

Wir werden nicht mäkeln«, kommentierte der Vorsitzende des DGB, Michael Sommer, die »größte Arbeitsmarktreform der Nachkriegsgeschichte«, wie es im rot-grünen Koalitionsvertrag heißt. Folgerichtig lud die IG Metall Anfang November den Vorsitzenden der nach ihm benannten Kommission, Peter Hartz, als Redner zum Richtfest der neuen Zentrale der IG Metall in Frankfurt am Main ein. Während draußen vor der Tür VertreterInnen von Arbeitsloseninitiativen sowie Beschäftigte von Siemens, VW und anderen Betrieben protestierten, konnte Hartz vor rund 500 Gewerkschaftsfunktionären bei Sekt, musikalischer Begleitung und gutem Essen ungestört seine Ideen einer »flexiblen Gesellschaft« präsentieren.

Das zentrale Element dieses »viel versprechenden Zukunftskonzepts« (Sommer) ist die Einrichtung von »Personal-Service-Agenturen« (PSA). Die Arbeitsämter können entweder bereits tätigen Leiharbeitsfirmen diese Funktion übertragen oder aber die Gründung von neuen unabhängigen Agenturen veranlassen. Die Hauptaufgabe dieser Firmen wird es sein, in so genannten Profilingverfahren die Stärken und Schwächen der Arbeitslosen festzustellen, ihre »Defizite« zu beseitigen und sie befristet auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Zugrunde liegt die Hoffnung, zumindest einen Teil der LeiharbeiterInnen mit einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis zu versorgen. Alle arbeitsfähigen Arbeitslosen werden gezwungen, diese Art von »Zumutung« zu akzeptieren. Ansonsten droht ihnen eine dreimonatige Leistungssperre.

Zwar gilt ab 2004 der Grundsatz, dass Leih- und Stammarbeiter gleich entlohnt werden. Doch er ist mit vielen Einschränkungen versehen. So gilt das Gleichheitsgebot nur für den Basislohn, nicht aber für die wichtigen außertariflichen Zulagen. Auch wird es vor allem für Langzeitarbeitslose untertarifliche Sonderregelungen geben.

Wie das neue Tarifvertragswesen aussehen könnte, macht das Opel-Werk in Rüsselsheim schon seit einer Weile vor. Dort arbeiten zu gleichen Arbeitsbedingungen ArbeitnehmerInnen mit unterschiedlichen Tarifverträgen. Während der Stammarbeiter 16 Euro Prämienlohn, also einen normalen Lohn plus außertarifliche Zulagen wie etwa Weihnachtsgeld und Schichtzulagen, erhält, bekommt ein Leiharbeiter zwischen sechs und acht Euro pro Stunde. Normale Arbeitsplätze verschwanden zu Gunsten von Leiharbeit, von neuen Arbeitsplätzen keine Spur.

Was die Gewerkschaften als großen Wurf feiern, nämlich die tarifvertragliche Regelung der Leiharbeit, erweist sich bei einem genaueren Blick als fatal. Mit der Leiharbeit billigen die Gewerkschaften das Prinzip der Lohn- und Gehaltsdrückerei und damit eine Entsolidarisierung der Beschäftigten innerhalb der einzelnen Betriebe. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass nur jedes dritte Leiharbeitsverhältnis länger als drei Monate dauert und nur etwa jedes fünfte sechs Monate.

Durchschnittlich verdienen Leiharbeitskräfte im Westen fast 40 Prozent weniger als ihre fest angestellten Kollegen, und zwar bei gleicher Qualifikation. Die Leiharbeit unterläuft die üblichen Tarife, es gibt keine betrieblichen Sozialleistungen. Ausfallzeiten wegen Krankheit oder Urlaub braucht der Entleihbetrieb nicht zu bezahlen, und Entlassungskosten wie zum Beispiel Abfindungen entstehen nicht.

In der Sprache der Hartz-Kommission klingt das so: »Durch die PSA haben Unternehmen die Möglichkeit, neue Arbeitnehmer ohne arbeitsrechtliche Verpflichtungen kennen zu lernen. Durch die Verringerung von Kostenrisiken bei der Personalakquisition wird die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen gefördert. Personalengpässe durch Krankheit und Urlaub bzw. Auftragsspitzen können kurzfristig durch die vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung überbrückt werden.« Konsequent spricht die Kommission deshalb von der »Neutralisierung des Kündigungsschutzes«.

Sieht so ein großer Wurf aus? Die bisher ausgehandelten Bedingungen für die PSA sehen vor, dass sich die Arbeitsentgelte der dort Beschäftigten bis zum Ende des Jahres 2003 nach den Tarifverträgen für Arbeitnehmerüberlassungen richten. Das bedeutet nichts Gutes. Erinnert sei an einzelne Haustarifverträge wie den zwischen Verdi und der Firma Randstad, der einen Stundenlohn von 5,11 Euro zulässt.

Der umfangreiche Ausbau der PSA soll die Arbeitslosigkeit deutlich verringern. Wie das angesichts nicht vorhandener die Existenz sichernder Arbeitsplätze gelingen soll, bleibt ein Rätsel. Bisherige Erfahrungen mit der Leiharbeit haben gezeigt, dass die Qualifikation und die Existenzsicherung der Beschäftigten kaum eine Rolle spielten. Nur in den wenigsten Fällen erfährt die Öffentlichkeit, welche Art von Angeboten das Arbeitsamt macht. So boten Darmstädter Leiharbeitsfirmen Hungerlöhne zwischen 5,37 und 5,50 Euro an, was nach neueren richterlichen Urteilen als »Wucherlohn« bezeichnet werden kann und entsprechend zu ahnden wäre.

Doch wo kein Kläger, ist auch kein Richter. Das vorherrschende Arbeitsethos und der gesellschaftliche Druck verhinderten bisher stärkere Proteste. Wenn sich Einzelne gegen Trainingskurse oder gegen die Vermittlung an Leiharbeitsfirmen sträuben, setzt es Sperrzeiten. »Jede Arbeit ist besser als keine«, heißt die Botschaft. Wer diese Überzeugung nicht teilt, soll auch kein Geld vom Staat bekommen. Was am Ende zählt, ist die Senkung der Anzahl der LeistungsbezieherInnen beziehungsweise die Höhe der eingesparten Budgetmittel. Mit den PSA werden vermehrt Arbeitslose aus dem Leistungsbezug gedrängt und geregelte Vollzeitarbeitsplätze durch Leiharbeit bei weniger Lohn ersetzt.

Zwischen den Jahren 1991 und 2000 ging die Zahl der ArbeiterInnen in der Industrie von 4,9 Millionen auf 3,6 Millionen zurück. Gleichzeitig stieg die Produktivität in diesem Zeitraum um über 70 Prozent. Man braucht also immer weniger ArbeiterInnen, um immer mehr Produkte herzustellen. Deshalb ist es Zeit, sich vom Gedanken zu verabschieden, dass allein Vollzeitarbeitsplätze die Existenz sichern können. Das ganze Konzept der Lohnarbeit muss überdacht werden, anstatt lediglich die Bedingungen für die Beschäftigten zu verschlechtern, wie es die Bundesregierung gerade tut.