Proteste gegen den Hamburger Senat

Die spinnen, die Römer!

Die Räumung des Bauwagenplatzes Bambule hat einen radikalen Protest gegen den Hamburger Senat ausgelöst.

Seit drei Wochen ertönen fast jede Nacht Sirenen, Blaulicht blinkt, der Polizeihubschrauber Libelle kreist über St. Paulis Straßen. Mit zahllosen Aktionen protestieren Gegner des von der CDU, der FDP und der Schill-Partei gebildeten Hamburger Senats gegen die Räumung des Bauwagenplatzes Bambule und die Law-and-order-Politik in der Stadt. Es gab einen Laternenumzug in der vorweihnachtlichen City, nächtliche Demonstrationen nach Spielen des FC St. Pauli, kurze Besetzungen leer stehender Häuser, einen Bettlermarsch zum Rathaus, einen Besuch im Restaurant »Wollenberg« und die Tuntenwinterspiele. Der vorläufige Höhepunkt war die Demonstration unter dem Motto »Gegen Rechtspopulismus, Ausgrenzung und Vertreibung« am 16. November mit über 4 000 Teilnehmern und einem Großaufgebot der Polizei mehrerer Bundesländer. Dabei schlugen Polizisten nicht nur zwei Zivilbeamte aus Schleswig-Holstein krankenhausreif, sondern verletzten auch viele Demonstranten und Unbeteiligte mit ihren Schlagstöcken.

Die Bild-Zeitung begleitet den Konflikt in gewohnter Manier. Bereits im März, am Tag vor der entscheidenden Abstimmung in der Bezirksversammlung Mitte über die Räumung des Bauwagenplatzes, veröffentlichte sie ein Foto des Platzes mit mehreren vermummten Gestalten. Es handelte sich um eine Fotomontage. Zudem präsentierte sie Bilder einer renovierten Altbauwohnung unter dem Titel: »Hier sollen sie hin«.

Deutschlands größte Tageszeitung wurde dafür vom Bundespresserat gerügt. Das hindert sie aber nicht, weiter zu hetzen. Die Journalisten aus dem Hause Springer fotografierten heimlich Aktivisten in der Roten Flora und riefen ihre Leser dazu auf, den »Bambule-Irrsinn« zu stoppen, indem sie Protestschreiben an die Verwaltungsgerichte schicken.

Doch der Auslöser des »Bambule-Irrsinns« war die Vertreibung der Bauwagenleute und die kaltschnäuzige Art und Weise, mit der die Polizei und das Bezirksamt Mitte dabei vorgingen. So erfuhren die Platzbewohner erst aus der Presse oder aus Verfügungen, die an die Wagen geklebt wurden, von der geplanten Zwangsräumung. Seit 1995 laufende Verhandlungen über ein Ersatzprojekt in der Nähe der Vorwerkstraße wurden ignoriert.

Als Grund für sein Vorgehen nennt das von der SPD geführte Bezirksamt Mitte, das den Platz »intensiv begrünen« wolle, die mangelnde Hygiene, das nächtliche Hundegebell und Partys auf dem Gelände. Das alles seien Verstöße gegen die »Sicherheit und Ordnung«, deshalb ließ der Bezirk den Platz »zum Schutze der Bevölkerung« räumen. Ein anderer Grund ist aber auch Ronald Schills Wahlversprechen, bis zum Jahr 2006 alle Bauwagenplätze in der Hansestadt aufzulösen.

In den frühen Morgenstunden des 4. November hieß es auf dem Bauwagenplatz im Karoviertel dann: »Die Römer kommen!« 1 400 Polizisten, mehrere Räumfahrzeuge und Wasserwerfer rückten an, um das Gelände an der Vorwerkstraße, auf dem seit einem Jahrzehnt eine Handvoll Leute lebt, leer zu fegen. Die Unterstützer des widerständigen »gallischen Dorfes« begleiteten die Kleinlaster und Bauwagen durch die Stadt.

Am Abend trieb die Polizei den Treck vor die Tore der Stadt, wie Geächtete im Mittelalter wurden die Bauwagenleute des Landes verwiesen. Seitdem wohnen sie bei Freunden. Die Fahrzeuge, die mittlerweile verstreut in der Stadt parken, würden von Zivilbeamten observiert, heißt es.

Der Vergleich des Bauwagenplatzes mit dem kleinen gallischen Dorf von Asterix und Obelix wird oft gezogen. Nüchtern betrachtet, geht es um 30 junge Menschen, die einen Platz für ihre Wagen haben wollen in einer Millionenstadt, die sich in der Werbung als tolerant und weltoffen bezeichnet. Die hanseatischen Gallier verfügen zwar nicht über den Zaubertrank des Druiden Miraculix, aber sie können mit großer Unterstützung rechnen.

Im Karoviertel hängen Solidaritätstransparente aus den Fenstern, Gewerbetreibende verfassten einen Aufruf, die Verkehrsinitiative forderte den Bezirk Mitte auf, »funktionierende soziale Strukturen endlich wieder zu stärken«, und die Studentenvertretungen der Universität und der Hochschule für Wirtschaft und Politik verlangten die »Beendigung der gezielten Zerstörung der Infrastruktur des Schanzen- und Karoviertels durch wirtschaftliche Umstrukturierungen«.

»Die Bambule war nur das kleine Steinchen, das jetzt einiges ins Rollen gebracht hat, was sonst noch in der Stadt schief läuft«, sagt Bernd, ein ehemaliger Bewohner. Seit der neue Hamburger Senat regiert, gab es immer wieder einzelne Protestaktionen, aber noch nie fanden sie so kontinuierlich mit mehreren hundert Menschen statt.

Der Senat verfolgt eine Law-and-order-Politik und eine des Kahlschlags. Viele soziale Projekte müssen schließen, weil das Geld gekürzt wurde, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden gestrichen, die Unterrichtsqualität an den Schulen wird weiter herabgesetzt. Anfang November sammelten 35 Sozialhilfeempfänger im Bezirk Altona für einen Euro pro Stunde Kastanienlaub auf, um die Vermehrung der Minier-Motte zu verhindern. Die CDU, die FDP und die Schill-Partei hatten in der Bezirksversammlung erreicht, dass die Sozialhilfeempfänger »zum Schutz der Kastanien« eingesetzt werden. »Es war immer unser Ansatz, Hilfsbedürftigen zu helfen. Gleichzeitig sollen diese aber auch einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten«, heißt es aus der CDU.

Doch nicht alles lässt sich allein auf Schill zurückführen. Die Parole »Schill muss weg« reicht nicht aus. Ausreisezentren für Flüchtlinge sind nicht nur in Hamburg geplant, und mit den Brechmitteleinsätzen gegen mutmaßliche Dealer begann bereits der rot-grüne Vorgängersenat. Auch ist Hamburg mit 3 015 Abgeschobenen im ersten Regierungsjahr nicht erst seit Schill die Abschiebehauptstadt Deutschlands, und den Bauwagenplatz wollte die SPD schon vor acht Jahren räumen.

Allerdings will Schill noch mehr. Auf eine traditionelle Klientel, auf die die alten Parteien noch Rücksicht nehmen mussten, pfeift der Innensenator. Die Kritik der Kirchen und der Gewerkschaften kümmert ihn nicht und auf Menschenrechtsgruppen hat er noch nie gehört. So kann seine Partei teilweise verfassungswidrige Forderungen erheben und unverhohlen »Internierungslager für Zuwanderer« verlangen und gegen »Ausländer, die den Wohlstand verfrühstücken«, hetzen. Der ehemalige Richter Schill bedauerte es kürzlich, dass die Gerichte das Versammlungsrecht höher bewerteten als den freien Fluss des Verkehrs.

Es wird also nicht nur gespart, sondern auch ein neuer inhaltlicher Maßstab gesetzt, dem alle Koalitionsparteien zustimmen. Die Politik orientiert sich an einer reaktionären Normalitätsfantasie, bei der es um Disziplinierung und Ausgrenzung geht. Am 1. Dezember sollen beispielsweise geschlossene Heime für Kinder und Jugendliche mit zunächst 25 Kinderknastplätzen eröffnet werden. Insgesamt sollen 90 Plätze eingerichtet werden, im ganzen Bundesgebiet gibt es rund 130, die aber in aller Regel nicht genutzt werden. In Hamburg sind zudem 15 Plätze für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge vorgesehen, für sie wird ein eigenes Abschiebelager geplant.

So bleibt momentan nur zu hoffen, dass es gelingt, den Protest der verschiedenen Gruppen zusammenzuführen und zu verstärken, auch wenn der Bambule-Konflikt eines Tages gelöst sein sollte. Nach drei Wochen Bambule signalisieren Teile des Senats inzwischen ihre Verhandlungsbereitschaft. »Aber auch wenn wir wieder ein ordentliches Zuhause haben, der Protest gegen den Senat wird weitergehen«, sagen die Bauwagenleute.