Nach dem 16. Parteitag der KP

Zauber der Dreieinigkeit

Auf dem 16. Parteitag verabschiedete sich die chinesische KP offiziell vom Sozialismus.

Es war ein Abschied nach Plan. Nachdem die einheimische Presse Jiang Zemin kürzlich noch mit Bildern seines Besuchs auf George W. Bushs Ranch in Texas als in der ganzen Welt akzeptierten Außenpolitiker gefeiert hatte, trat der scheidende chinesische Parteichef am 8. November zur Eröffnung des 16. Parteitages der KP Chinas mit der Gewissheit vor die Mikrofone, dass ihm auch eine große innenpolitische Bühne garantiert war. In seiner vom Fernsehen übertragenen Rede orientierte er sich im Wesentlichen an seiner Ansprache zum 80jährigen Bestehens der KP im Juli des Jahres 2001. »Die Vertretung der Entwicklung der fortschrittlichen Produktivkräfte Chinas, die Vertretung der fortschrittlichen Kultur Chinas und die Vertretung der fundamentalen Interessen der überwältigenden Mehrheit des chinesischen Volkes bilden ein einheitliches Ganzes, wirken aufeinander und ergänzen sich«, hatte Jiang damals erklärt.

Das Kernstück seiner jüngsten Rede ist die Wichtigkeit der »dreifachen Vertretung«, jenes ideologischen Zaubertricks, der alle »fortschrittlichen Elemente des Volkes« zu revolutionären Subjekten macht und aus dem entsprechend gefolgert wird, die KP müsse nicht nur die Arbeiter und Bauern, sondern auch die vaterländischen Unternehmer vertreten und sie im Dienst an der nationalen Sache unterstützen.

Das Ziel der Partei sei der Aufbau einer Gesellschaft, die gesund im strukturellen, wirtschaftlichen und ideologischen Sinne sei. Hierbei, so Jiang, sei die Hilfe der »sozialistischen Unternehmer« unentbehrlich. Für die nationale Sache müssten alle Schichten des Volkes zusammenstehen und China in eine großartige Zukunft führen. Seine Rede wurde in den chinesischen Medien überschwänglich gelobt. Doch der mit Worthülsen gespickte Vortrag kommt ebenso wie der gesamte Parteitag einer ideologischen Bankrotterklärung gleich .

Angesichts der sich vergrößernden strukturellen, wirtschaftlichen und finanziellen Probleme der Volksrepublik China warteten die Chinesen, von denen viele den erstmals in Teilen live im Fernsehen übertragenen Parteitag gespannt auf Großleinwänden verfolgten, vergeblich auf ein deutliches Zeichen der Parteiführung.

Dass die neue Führung ausgerechnet dem Markt die Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme zutraut, erfüllt viele Chinesen jedoch mit Skepsis, bedeutet ein freies Spiel der Kräfte nach der Version der KP doch auch, dass sich an Armut, Massenarbeitslosigkeit, Korruption und Vetternwirtschaft nichts ändern wird. Und die Arbeiter der von der Schließung bedrohten Staatsbetriebe, die bereits im März dieses Jahres demonstrierten, dürften diese Politik zu Recht mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze gleichsetzen.

Auch wenn der Parteitag von der in- wie ausländischen Presse als bedeutend für den chinesischen Reformkurs gepriesen wurde und der scheinbar erstmals harmonisch vollzogene Generationswechsel in der Parteiführung betont wurde, war er eine sorgfältig abgestimmte Jubelveranstaltung und ein Schaulaufen Jiang Zemins. Dabei ging es inoffiziell gar nicht so harmonisch zu. Bereits im Sommer war deutlich geworden, dass Jiang Zemin keinesfalls gewillt war, die komplette Macht aus der Hand zu geben. Sein Wille, weiterhin die chinesische Politik mitzubestimmen, zeigt sich darin, dass er entgegen allen Erwartungen den Vorsitz der Zentralen Militärkommission nicht an den neuen Parteichef Hu Jintao abgab.

Diese Institution ist traditionell das letzte Machtrefugium der starken Männer Chinas. Sowohl Mao Zedong als auch Deng Xiaoping wussten die Autorität und die faktische Macht dieses Amtes geschickt zu nutzen, um weiterhin im Hintergrund die maßgeblichen politischen Entscheidungen nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen.

Für Jiangs fortgesetzte Machtambitionen spricht auch, dass der neue ständige Ausschuss des Politbüros ganz nach seinen Vorstellungen zusammengesetzt ist. Der erklärte Gegenspieler Jiangs, Li Ruihuan, zog seine Kandidatur zurück, und mit Wu Bangguo wurde ein Vertrauter Jiangs der neue zweite Mann in der Partei. Der zunächst vorgesehene Wen Jiabao musste sich mit dem dritten Rang begnügen. Er gilt als überzeugter Reformer, während der Studentendemonstrationen im Jahr 1989 trat er an der Seite des später entmachteten Radikalreformers Zhao Ziyang auf.

Für die so genannten Hardliner unter Li Peng, der wie Jiang und Zhu Rongji nicht mehr für das ZK kandidierte, bedeutet der Parteitag nicht nur inhaltlich, sondern auch personell eine herbe Niederlage, von der sie sich kaum mehr erholen dürften. Mit dem ehemaligen Geheimdienstchef Luo Gan stellen sie nur noch einen Vertreter im neunköpfigen ständigen Ausschuss des Politbüros.

Weiterhin unklar ist die Rolle des neuen Parteichefs und designierten Präsidenten, Hu Jintao. Nominell der Nachfolger Jiangs im Staat und in der Partei, blieb er bis jetzt erstaunlich blass und ließ deutliche Aussagen vermissen. Ähnlich wie Hua Guofeng nach Maos Tod im Jahr 1976 könnte Hu Jintao ein Platzhalter sein, der verdeckt, dass die wichtigen politischen Entscheidungen weiterhin von der grauen Eminenz im Hintergund - damals Deng Xiaoping, heute Jiang Zemin - getroffen werden.

Interessant wird hier die Rolle des neuen fünften Mannes in der Führungsspitze, Zeng Qinghong, sein. Als enger Vertrauter Jiang Zemins könnte er in dem ansonsten nach Fraktionsinteressen besetzten ständigen Ausschuss des Politbüros die entscheidene Rolle spielen.

Vieles spricht dafür, dass entgegen aller Voraussagen der gerade zu Ende gegangene 16. Parteitag der KP keine grundlegenden Veränderungen bringt, weder in der Partei noch in der Volksrepublik. Die »drei Vertretungen« und die endgültige Entmachtung der Hardliner schreiben vielmehr eine Politik fort, die kapitalistische Reformen durchführt und bereits in den fünf Jahren seit dem 15. Parteitag auf der Agenda der chinesischen KP stand. Mit der Aufnahme der »drei Vertretungen« in ihre Satzung wird sie jedoch nun offiziell zu einer Partei, die auch die Interessen der Unternehmer repräsentieren will.