Natioalistische Proteste

Niemand liebt uns

Kroatien erlebt einen nationalistischen Proteststurm, weil in Den Haag der ehemalige Armeechef angeklagt wird.

Die Klage des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag gegen den ehemaligen kroatischen Armeechef Janko Bobetko hat in Kroatien einen nationalistischen Proteststurm ausgelöst. Die schlimmste Befürchtung der Nationalisten, der 83jährige General werde bald ausgeliefert, bestätigte sich zwar nicht. Nachdem Bobetko sich in seiner Villa in Zagreb verschanzt hatte, garantierte ihm Ministerpräsident Ivica Racan, im Land bleiben zu dürfen. Mitte November wurde er ins Krankenhaus eingeliefert.

Dennoch wittern die Nationalisten eine internationale Verschwörung gegen ihr Land. Den Ton gibt Bobetko selbst an. Das Gericht in Den Haag meine nicht ihn als Einzelperson, behauptet er. Vielmehr solle der »Vaterländische Krieg« beschmutzt und die nationale Unabhängigkeit angegriffen werden.

Diese Unterstellungen finden in dem von einer Wirtschaftskrise und von Korruptionsskandalen geplagten Land starken Widerhall. So begeistert zurzeit der Wanderprediger Zlatko Sudac bei seinen Messen Tausende, indem er ein Klagelied über das schwere Los anstimmt, ein Kroate zu sein. Kürzlich trat er in Vukovar auf, um den zehnten Jahrestag der Schlacht zu begehen, die in der neueren kroatischen Nationalmythologie einen hohen Wert besitzt. An den Händen und den Füßen des Priesters sollen bereits dunkle Male erschienen sein, die das Leiden Christi symbolisieren. Der Vatikan bestätigte mittlerweile ernsthaft, dass das Phänomen nicht menschlichen Ursprungs sei.

Auch der nationalistische Schlagersänger Marko Perkovic feiert ungeahnte Erfolge. Er variiert das Sujet des verfolgten Volkes mit kämpferischem Gestus. Sein Künstlername lautet »Thompson«, weil so die Gewehre hießen, mit denen zum Beginn der neunziger Jahre die kroatischen Sezessionisten im Krieg auf die jugoslawische Bundesarmee und auf serbische Freischärler schossen.

Während man sich in Zagreb einig ist, dass das Land von Feinden umzingelt sei, könnte es den Anklägern in Den Haag vor allem darum gehen, auch einmal einen Kroaten vor Gericht zu sehen. So könnte das Tribunal dem Eindruck entgegenwirken, antiserbische Ressentiments zu hegen.

Bobetko wird beschuldigt, für einen Angriff der kroatischen Armee auf eine serbische Enklave im September 1993 verantwortlich zu sein. Im Gebiet der Madacki Dzep machten die Soldaten serbische Dörfer systematisch dem Erdboden gleich und ermordeten zahlreiche Zivilisten. Er ist wegen Verbrechen an der Menschlichkeit, wegen Mord, Plünderung und mutwilliger Zerstörung angeklagt.

Das sieht Bobetko selbstverständlich anders. Zwar beschreibt der General in seinen Memoiren »Alle meine Schlachten« detailliert, wie er die Eroberung der Region anführte. Bei den Angriffen habe es sich aber lediglich um eine »begrenzte Polizeiaktion« gehandelt. Das ist im Prinzip auch die Lesart der sozialliberalen Koalitionsregierung.

Während Ministerpräsident Racan aber grundsätzlich weiter mit Den Haag kooperieren möchte, kündigten die vor knapp zwei Jahren abgewählte und inzwischen wieder erstarkte HDZ, die Partei des Staatsgründers und ersten Präsidenten, Franjo Tudjman, und einige Veteranenverbände Demonstrationen im ganzen Land an, sollte Bobetko ausgeliefert werden. Bereits im Juni des vergangenen Jahres, als die ersten kroatischen Militärs in Den Haag angeklagt wurden, fegte ein Proteststurm die sozialliberale Koalition fast aus dem Amt.

Der Zagreber Dokumentarfilmer Nenad Puchovski weist hingegen auf das eigentliche Problem der Kroaten hin. »In diesem Land gilt es als undenkbar, dass auch Kroaten Kriegsverbrechen begangen haben«, sagte er in der vergangenen Woche der Jungle World. Er spart nicht mit Kritik an der im Westen gefeierten Regierung Racans. Sie habe bisher wenig getan, um den sorgsam gepflegten Mythos vom »Vaterländischen Krieg« auch nur ansatzweise zu relativieren.

Puchovski sah sich allerlei Angriffen von Medien und Politikern ausgesetzt, als seine kleine Firma einen Dokumentarfilm über die Eroberung der mehrheitlich von Serben bevölkerten Krajina durch die kroatische Armee produzierte. In dem Film, der im vergangenen Jahr auch vom Fernsehen gezeigt wurde, wird detalliert geschildert, wie die kroatische Armee im August 1995 systematisch 250 000 Serben vertrieb, ihre Häuser zerstörte und hunderte Zivilisten tötete.

Die meisten der Vertriebenen leben heute in Serbien. An eine Rückkehr ist für sie nicht zu denken. »Serben sind in Kroatien immer noch bedroht«, erklärt in Belgrad Savo Strbac, ein Rechtsanwalt, der sich um die Flüchtlinge kümmert.

Tatsächlich scheinen die Befürchtungen wahr geworden zu sein, die viele in Kroatien lebende Serben zu Beginn der neunziger Jahre hatten, als kroatische Nationalisten die Embleme und Lieder des während der deutschen Besatzungszeit bestehenden faschistischen Ustascha-Staates begeistert wieder entdeckten. Der Führer der Ustascha, Ante Pavelic, hatte die Vernichtung von Serben, Juden und Roma in einem unabhängigen Kroatien zum Programm erhoben und mehrere hunderttausend Menschen umbringen lassen.

Zwischen den Jahren 1991 und 2001 ist der Anteil der in Kroatien lebenden Serben nach den offziellen Zahlen der letzten Volkszählung von 12,2 Prozent auf 4,5 Prozent zurückgegangen. Die meisten der insgesamt 400 000 Serben, die Kroatien verließen, wurden gewaltsam vertrieben. Andere suchten aus Angst das Weite, oder es wurden ihnen die Arbeitsstelle und die Wohnung gekündigt. »Manche wechselten auch ihren Namen oder ihre Religion«, erklärt Strbac.

Wie groß der kroatische Druck ist, zeigt auch, dass von über 100 000 Menschen, die sich noch vor elf Jahren in Kroatien als »Jugoslawen« bezeichneten, bei der letzten Erhebung nur 74 übrig blieben. Die Angst vor einer ethnischen Säuberung durch die kroatischen Nationalisten, die beim Kriegsausbruch in westlichen Medien als Schreckgespenst der Serben abgetan wurde, ist längst zur Realität geworden.

Trotzdem sind viele westliche Staaten optimistisch, dass sich Kroatien auf dem Weg zur Normalität befindet. Zwar zeigte sich die Chefanklägerin des Haager Tribunals, Carla del Ponte, in den vergangenen Tagen mehrmals enttäuscht über die mangelnde Kooperationsbereitschaft Kroatiens. Aber die ausbleibende Auslieferung Bobetkos scheint keine Folgen zu haben.

Peter Semneby, der Leiter der Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Zagreb, lobte die kroatische Regierung am Donnerstag der vergangenen Woche sogar für die Verbesserung des Justizsystems, der Medienfreiheit und der Minderheitenrechte. »Der Trend ist positiv.« Allerdings bleibe die Bereitschaft der Regierung, den serbischen Flüchtlingen bei der Rückkehr zu helfen, »ambivalent«.