Anschläge auf Israelis

Noch eine Botschaft

Die Ziele und Methoden der Anschläge in Kenia entsprechen dem Terror von al-Qaida. Das Netzwerk scheint sich erstmals direkt in den Nahostkonflikt einmischen zu wollen.

Die Bundeswehr betätigt sich im Kampf gegen den Terrorismus. Jüngst wurde um das Quartier des Marinefliegergeschwaders 3 Graf Zeppelin im Hotel Giriama eine hohe Mauer errichtet, eine Panzersperre soll verhindern, dass Selbstmordattentäter vorfahren. Vom nahe gelegenen Flughafen Mombasa starten die Seefernaufklärer des Geschwaders zu ihren Überwachungsflügen. Man fühle sich nicht bedroht, erklärte der unerschrockene Pressesprecher Michael Maas der Frankfurter Rundschau, die zu berichten weiß: »Indessen gehen die 140 deutschen Marineflieger aus Nordholz in Mombasa ungerührt ihrem Auftrag nach.«

Auch die anderen Mitglieder der »Koalition gegen den Terror« sitzen ihr Versagen gelassen aus. Deutsche, britische, französische und US-amerikanische Flottenverbände sind in der Region stationiert, zudem Flugzeuge und Hubschrauber, Spezialeinheiten und zweifellos auch zahlreiche Geheimdienstler. Sie sollten, so die offizielle Darstellung, verhindern, dass Mitglieder der al-Qaida auf dem Seeweg nach Somalia oder Jemen gelangen und eventuelle Waffenlieferungen abfangen. Fahndungserfolge oder Waffenfunde können sie auch knapp ein Jahr nach dem Beginn des Einsatzes nicht präsentieren. Dass sich eine Gruppe von Attentätern monatelang auf einen Anschlag in ihrem Einsatzgebiet vorbereitete, entging ihnen ebenfalls.

Um eine möglichst große Zahl von Israelis zu töten, hatten die Terroristen auf den Charterflug der Arkia Israeli Airlines am Donnerstag der vergangenen Woche gewartet. Während drei Männer die ankommenden Touristen zum Paradise Hotel verfolgten und sich dort in die Luft sprengten, feuerten Komplizen zwei Raketen auf das Flugzeug der Abreisenden. Glücklicherweise verfehlten beide ihr Ziel, im Paradise Hotel aber starben neun Mitglieder einer kenianischen Tanzgruppe und drei Israelis.

Zwar gibt es ein Bekennerschreiben einer bislang nicht in Erscheinung getretenen Armee Palästinas im Namen einer nicht existierenden palästinensischen Exilregierung, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass eine palästinensische Gruppe verantwortlich ist. Dafür, dass es die al-Qaida war, spricht vor allem die Zielrichtung, die dem Muster vorangegangener Attentate entspricht und den Vorgaben folgt, die Ussama bin Laden und der al-Qaida-Stratege Ayman al-Zawahiri in den Erklärungen der vergangenen Monate darlegten (Jungle World, 48/02).

Die meisten Anschläge von al-Qaida verfolgen ein ideologisches und ein strategisches Ziel. So war der Anschlag auf eine Synagoge in Djerba, bei dem im April 14 deutsche Touristen starben, nicht allein eine Tat antisemitischen Wahns. Wie Zawahiri in einem im September aufgezeichneten Interview erläuterte, habe die »Jugend der Mujaheddin« durch das Attentat Deutschland eine »Botschaft gesandt«, die wiederholt werden müsse, falls die Bundesregierung sich nicht aus dem »Krieg gegen den Terror« zurückziehe.

Wodurch Kenia sich schuldig gemacht hat, erklärt Khaled Hanafi in einem auf islamistischen Websites verbreiteten Text. Das Land sei »Israels Tor zu Afrika«, die historischen Beziehungen »halfen Israelis, alle Aktivitäten in Kenia zu infiltrieren«, sodass heute »3 000 israelische Familien wichtige Firmen besitzen und die kenianische Wirtschaft kontrollieren«.

Jenseits antisemitischer Verschwörungstheorien sprachen wahrscheinlich pragmatische Gründe für einen Anschlag in Kenia. Das Land erlebte seinen 11. September bereits am 7. August 1998, als eine vor der US-Botschaft in Nairobi gezündete Bombe mehr als 200 Menschen tötete. Doch auch nach diesem ersten spektakulären Anschlag von al-Qaida war es in Kenia kein Problem, durch Bestechung Einreisedokumente zu erhalten oder Waren unkontrolliert durch die Zollkontrollen zu bringen. Und Kenia gehört zu den wenigen afrikanischen Staaten südlich der Sahara mit einer nennenswerten islamistischen Bewegung.

Sheikh Khaled al-Balala, der Führer der Islamischen Partei Kenias, drohte 1993 der Regierung sogar mit der Ausrufung des Jihad. Bald darauf wurde er ausgebürgert. Aus seiner Partei und ihrer Umgebung sollen, wie die Wochenzeitung The EastAfrican nach den Anschlägen von 1998 berichtete, auch Kämpfer für Einsätze unter anderem in Afghanistan und auf den Philippinen rekrutiert worden sein. Häufig allerdings habe es sich um arbeitslose Jugendliche und demobilisierte somalische Soldaten gehandelt, die eher einen Broterwerb als das Märtyrertum suchten. Als mögliche Verbündete werden auch der von Ali Shii geführte Rat der Imame Kenias und die somalische Ittihaad al-Islamiya genannt. Konkrete Hinweise gibt es bislang allerdings nicht.

Al-Qaida agiert als Netzwerk, und die meisten Anschläge werden nicht vom Führungskreis um Zawahiri und bin Laden begangen, sondern von islamistischen Gruppen, die mit der Organisation verbündet sind. Die für die beiden Attentate in Kenia notwendige Logistik würde allerdings die meisten dieser Gruppen überfordern. Diese Tatsache und die neue strategische Orientierung, die dem Anschlag zugrunde liegt, sprechen dafür, dass es sich um eine Operation des harten Kerns von al-Qaida handelte.

»Bin Ladens Strategie, seine Schlachtfelder und sein Rekrutierungssystem sind überhaupt nicht im Nahen Osten verwurzelt«, erklärte der Islamismusexperte Olivier Roy noch im September. Unter den Kadern finden sich keine Palästinenser, und al-Qaida hat bislang noch nie Israelis angegriffen. Nun aber scheint sich die Organisation direkt in den israelisch-palästinensischen Konflikt einmischen zu wollen.

Am Tag der Anschläge in Kenia warfen zwei Attentäter Handgranaten und beschossen Israelis vor einem Wahllokal in Beit Shean, sechs Menschen starben. Die al-Aqsa-Märtyrerbrigaden bekannten sich zu dem Anschlag. Premierminister Ariel Sharon sah keinen Unterschied zwischen den Attentaten, die gleichermaßen darauf abzielten, Menschen zu töten, »nur weil sie Juden sind«. Die US-Regierung dagegen besteht darauf, zwischen ihrem »Krieg gegen den Terror« und dem israelischen Vorgehen gegen palästinensische Attentäter zu unterscheiden, um nicht die letzten Sympathien und Verbündeten in der arabischen Welt zu verlieren. Die Anschläge in Kenia aber verknüpfen beide Konflikte in einer kaum noch auflösbaren Weise, und die von der israelischen Regierung angekündigten Vergeltungsmaßnahmen könnten schon bald zu Differenzen mit den USA führen.

Wichtiger noch für al-Qaida ist der Sympathiegewinn in der arabischen Welt. »Israel hat die bitteren Früchte seiner fortdauernden Politik des Tötens und des Terrorismus geerntet«, kommentiert die jordanische Tageszeitung al-Dustour. Angriffe auf Zivilisten seien abzulehnen, aber Israel müsse »aus diesen schmerzhaften Lektionen lernen«. Vergleichbare Urteile über die von der Tageszeitung al-Khaleej als »neue Botschaft an die zionistische Entität« bezeichneten Anschläge finden sich in vielen anderen arabischen Medien.

Was die mit den USA verbündeten Staaten betrifft, so geht es al-Qaida vor allem darum, eine neutralistische Stimmung zu schaffen, um sie dazu zu bewegen, die »Koalition gegen den Terror« zu verlassen. Tatsächlich stellen sich viele Kenianer die von Magesha Ngwiri in der kenianischen Tageszeitung Daily Nation formulierte Frage: »Ist unsere Bevölkerung zum Kanonenfutter in einem Krieg geworden, der nicht der ihre ist?« Ngwiri kommt nicht zu den von bin Laden erhofften Schlussfolgerungen. »Wir sympathisieren mit den Palästinensern, die seit 1948 keinen Frieden gekannt haben. Aber jetzt verstehen wir, warum Israel so handelt, ein Land, das von Feinden umzingelt ist und nicht einen einzigen Tag lang ausruhen kann, weil das seine Vernichtung bedeuten würde.«