USA vs. Irak

Weg vom deutschen Weg

Mit ihren antiamerikanischen Parolen wird die deutsche Friedensbewegung zum außerparlamentarischen Arm der Bundesregierung. Eine emanzipatorische Politik gegen den Krieg und den Kapitalismus sieht anders aus.

Im Kern«, so dozierte der konservative Publizist Arnulf Baring Anfang Mai, gehe es »zwischen Tschechen und Deutschen um etwas Moralisches, um Emotionales: um das Eingeständnis, dass das, was 1945 geschah, ein großes Unrecht, ein Verbrechen war. (...) Ich wüsste auch nicht, wie man eine solche Katastrophe, ein solches Unglück wieder gutmachen könnte.«

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch und der damalige Kanzlerkandidat der CDU/CSU, Edmund Stoiber, dagegen wussten knapp zwei Wochen später beim 53. Sudetendeutschen Tag etwas genauer zu sagen, wie die Tschechen das »Unrecht« wieder gutmachen können. Die Aufhebung der Benes-Dekrete wäre aus ihrer Sicht ein Anfang. Dieser Forderung schloss sich auch Innenminister Otto Schily in etwas zurückhaltenderer Form an.

Was das mit der Friedensbewegung zu tun hat? Nach Ansicht fast aller Demonstranten bedauerlicherweise nichts. Drei Tage nachdem bedeutende deutsche Politiker die antifaschistischen Grundlagen der europäischen Nachkriegsordnung offen in Frage gestellt hatten, gingen über 50 000 Menschen auf die Straße, und die Politik der europäischen Großmacht Deutschland war kein Objekt der Kritik. Weder die aggressive Instrumentalisierung der »Verbrechen von 1945« noch deutsche Militäreinsätze in der Balkanregion waren von Interesse.

Die Proteste richteten sich ausschließlich gegen den Besuch des US-Präsidenten George W. Bush. Und während dieses dreitägigen Demonstrationsspektakels zeigten die deutschen Linken deutlich, wo ihre Sympathien liegen: Der Feind ist ein Cowboy in Washington, Kritik an Deutschland ist überflüssig oder unerwünscht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, lautete die schärftse Kritik an Schröder, dass er nicht energisch genug aus dem »Vasallenstatus« ausbricht und den Krieg gegen den Irak als Handlanger der US-Politik womöglich doch unterstützen könnte.

Am 26. Oktober wiederholte sich dieses Spektakel. Die Aufrufe des Bündnisses »Achse des Friedens« proklamierten schlicht, es gehe »um Öl und die Vorherrschaft in der Golfregion«, wobei selbstverständlich allein den USA ökonomische und machtpolitische Interessen unterstellt wurden. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Politiker der Bundesregierung sich »vor der Bundestagswahl gegen die Teilnahme Deutschlands an diesem Krieg aussprachen und vor seinen Folgen warnten - oft mit den Argumenten der Friedensbewegung«.

Statt darüber nachzudenken, was es wohl zu bedeuten hat, wenn ein Kanzler, der sich rühmt, das Tabu des Militärischen in der deutschen Politik gebrochen zu haben, mit der Friedensbewegung einer Meinung ist, wurde Schröders Ankündigung als Erfolg gefeiert. Nun gelte es, die Bundesregierung »beim Wort« zu nehmen. Weil die Friedensbewegung glaubt, mit der Wiederwahl der Bundesregierung schon viel erreicht zu haben, sollen Schröder und Fischer jetzt ihren »deutschen Weg« fortsetzen.

Ich habe an dieser Demonstration nicht teilgenommen. Wenn die Friedensbewegung den Schulterschluss mit der Bundesregierung übt, weshalb offenbar die deutschen Militäreinsätze in aller Welt keiner kritischen Erwähnung wert sind, dann hat das mit dem Kampf gegen den Krieg nichts mehr zu tun.

Wer seine Kritik auf die Irakpolitik der USA verengt, hat zudem keine Möglichkeit, das komplexe Verhältnis von Konkurrenz und Kooperation zwischen den westlichen Staaten zu analysieren und die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Wenn Deutschland sich verstärkt in Mazedonien und im Kosovo, in Afghanistan und Ostafrika engagiert, ist das eine Art Ausgleich der ablehnenden Haltung zum Irakkrieg. Die Entlastung durch die Bundeswehr erleichtert verbündeten westlichen Staaten den nächsten Einsatz im Irak. Trotz der Konkurrenz im Nahen und Mittleren Osten gibt es im Rahmen der Nato eine Arbeitsteilung in den Krisenregionen. Wenn ausgerechnet die deutsche Friedensbewegung hier die Politik der deutschen Regierung unterstützt, wird sie staatstragend. Der Antinationalismus, den bedeutende Strömungen der Linken früher vertraten, ist in der Friedensbewegung in Vergessenheit geraten.

Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik mit ihren deutschtümelnden und antiamerikanischen Parolen trägt nichts zur Verhinderung des Krieges bei, sie stützt vielmehr die Verhältnisse, die zum Krieg führen. Ihre Aktivitäten in den letzten Monaten erleichterten es der rot-grünen Regierung maßgeblich, ihren angeblich friedlichen, auf jeden Fall aber »deutschen Weg« erfolgreich zu propagieren.

Damit konnte sie im September nicht nur dringend benötigte Wählerstimmen sowohl von links als auch von rechts holen. Beide Regierunsparteien, die sich im entscheidenden Moment friedfertig gaben, schafften es auch, ihre militärischen Einsätze und Interessen der innenpolitischen Kritik zu entziehen. Geblendet von so viel Friedenswillen, fühlte sich die Friedensbewegung in ihrer Position dadurch bestärkt, dass der Bundeskanzler dem Cowboy und Kriegstreiber jenseits des Atlantik so deutlich widersprach. Und sie erwartete, dass er ihm weiterhin widerspreche.

Das führt jetzt, da die Bundesregierung in der Irakfrage den geordneten Rückzug antritt, zu kaum lösbaren Problemen. Die deutschen Interessen konnten nicht im Alleingang gegen die USA durchgesetzt werden, und es ist deutlich geworden, dass Deutschland den Krieg zumindest indirekt unterstützen wird, um an der Gestaltung der Nachkriegsordnung beteiligt zu werden. In zentralen Punkten wie der Nutzung der US-Militärbasen und der Luftwege über Deutschland zu Kriegszwecken kündigte Schröder bereits seine Zustimmung an, wobei kaum vorstellbar ist, dass eine negative Entscheidung jemals ernsthaft im Gespräch war. Weitere Zugeständisse dürften folgen. Ohnehin waren die »Vergiftung« der deutsch-amerikanischen Beziehungen und die zur Schau getragenen beleidigten Mienen der Spitzenpolitiker nicht allein ein Ausdruck realer Differenzen, sondern auch eine inszenierte Show.

Die Friedensbewegung hat auf den Kurswechsel der Regierung nur noch mit Erstaunen reagieren können. Man kann nun zusammen mit allen anderen, die sich von Schröder betrogen fühlen, beklagen, wie schnell der Kanzler von der Wahlkampfrhetorik wieder zur Tagesordnung übergeht. Eine Wende vom Bündnis mit der Bundesregierung zur Kritik an Deutschland aber wird die Friedensbewegung nicht mehr schaffen. Nicht nur weil die antiamerikanischen Ressentiments zu tief sitzen, sondern auch weil der kommende Irakkrieg von der deutschen Friedensbewegung weiterhin isoliert von allen anderen westlichen Militärinterventionen gesehen wird.

Ohne eine Thematisierung etwa der Intervention in Afghanistan, wo deutsche Spezialeinheiten seit fast einem Jahr Seite an Seite mit US-Soldaten kämpfen und die Bundeswehr die Führung der multinationalen Truppen übernehmen wird, fehlt dem Aktivismus jeder oppositionelle oder gar emanzipatorische Ansatz. Sich stattdessen über die Bedrohung durch den Cowboy in Washington und die Buletten von McDonald's zu empören und die irrsinnige Parole »kein Blut für Öl« in den Mittelpunkt zu stellen, bedeutet, auf die für jede wirklich emanzipatorische Friedenspolitik notwendige Kritik an den Gewaltverhältnissen in der deutschen Gesellschaft zu verzichten.

Allerdings mündet die Kritik an der Friedensbewegung derzeit in eine aufgeheizte Debatte unter den deutschen Linken, wo es nur noch Friedensbewegte oder Bellizisten, Antisemiten oder Antideutsche zu geben scheint. Es ist eine selbstbezogene Debatte, in der die Perspektiven emanzipatorischer Politik keine Rolle spielen. Notwendige Initiativen wie der Widerstand gegen den neuesten Vorstoß der Sudetendeutschen Landsmannschaften, die Asylpolitik der Bundesregierung und den Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft, der in erster Linie gegen die in der Bundesrepublik lebenden Juden gerichtet ist, unterbleiben. Ein nicht antiamerikanischer und nicht verdeckt oder offen antisemitischer Antikapitalismus wie auch die alltägliche antirassistische und -sexistische Politik werden derzeit nur von einer verschwindend kleinen Minderheit der deutschen Linken vertreten.

Eine Unterbrechung dieser Debatte zur Klärung theoretischer Grundfragen könnte daher nicht schaden. Kleine Gruppen machen es vor, wenn sie sich in Veranstaltungen zuerst einmal fragen, was Antisemitismus überhaupt ist. Um zu neuen politischen Ansätzen zu kommen, müsste die Linke ihre Theorien über den Krieg und den Nahen Osten kritisch überprüfen und vor allem debattieren, wie internationalistische Politik im 21. Jahrhundert aussehen kann.

Notwendig wäre auch ein internationaler Meinungsaustausch, denn die deutschen Linken verlieren sich in streng kategorisch geführten Debatten, die außerhalb der Landesgrenzen kaum jemand nachvollziehen kann. Die Debatten beispielsweise in der US-Friedensbewegung, für die der Kampf gegen den Abbau der Bürgerrechte eine Selbstverständlichkeit ist, zur Kenntnis zu nehmen, könnte helfen, eine andere zentrale Schwäche zu überwinden. Denn die deutsche Linke, die sich seit über einem Jahr fast ausschließlich mit dem Leitthema »USA vs. Irak« beschäftigt, hat darüber alle anderen wichtigen Bereiche emanzipatorischer Politik vergessen.