Rassistische Mord in Antwerpen

Blockade aufgehoben

Nach einem rassistischen Mord eskaliert in Belgien der Streit um die innere Sicherheit. Vor allem der rechtsextreme Vlaams Blok profitiert davon.

Die Auseinandersetzungen um einen rassistischen Mord in Antwerpen halten die belgische Politik in Atem. Im Mittelpunkt stehen dabei die Ereignisse in Borgerhout, einer von nordafrikanischen Migranten geprägten Vorstadt Antwerpens mit den üblichen Problemen wie Arbeitslosigkeit und sozialer Marginalisierung. Der Vlaams Blok ist hier seit Jahren aktiv. Mit 33 Prozent der Wählerstimmen stellt er im Antwerpener Stadtparlament die stärkste Fraktion, die bislang durch eine Koalition aller anderen bürgerlichen Parteien von der Regierung ausgeschlossen wurde.

Als vor zwei Wochen Constant Van Linden seinen Nachbarn Mohammed Achrak, einen Islamlehrer an einer öffentlichen Schule, nachmittags vor dessen Tür erschießt und den Vater nur knapp verfehlt, eskaliert die Stimmung im Viertel. Zehn Minuten später wird Van Linden, der wegen seines Vorstrafenregisters bereits aufgefallen ist, von der Polizei verhaftet. Am selben Abend und am folgenden Tag kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei. Ein Dutzend Fenster- und Autoscheiben geht zu Bruch, mehr als 160 Personen werden verhaftet.

Die Bürgermeisterin stattet zwar wenig später den Verwandten des Opfers einen Kondolenzbesuch ab, die Stadtverwaltung gibt aber die Parole »Null Toleranz« gegenüber den »Ausschreitungen« an die Polizei aus. Der Staatsanwalt Bart van Lijsebeth, dem die Motive des rassistischen Mordes »noch nicht bekannt sind«, lässt »mit höchstem Tempo« eventuelle Rechtsverstöße von Abou Jahjah und seiner in Borgerhout ansässigen Arabisch-Europäischen Liga (AEL) ermitteln. Die liberale Presse bezeichnet Jahjah als »Provokateur«, »Agitator« und »Manipulator der Jugendlichen«. Im Parlament kritisiert der belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt die von Jahjah organisierten Komitees zur Beobachtung der Polizei als »Milizen, die unsere Straßen übernehmen wollen«.

Zwei Stunden später wird Jahjah ohne Angabe von Gründen verhaftet, seine Wohnung und das Büro der Liga werden durchsucht. Erst am folgenden Tag werden seinen Anwälten als Gründe der Verhaftung »geplanter Aufruhr in Gruppen, Straßenblockaden und Angriffe auf Polizisten« genannt.

Jahjah, der seit mehr als zehn Jahren in Antwerpen lebt und seit acht Jahren die belgische Staatsbürgerschaft besitzt, ist in Belgien nicht unbekannt. Vor allem seine Forderung, Arabisch als vierte Amtssprache einzuführen sowie eine arabische Verwaltungseinheit neben den bestehenden französischen, niederländischen und deutschen Gemeinden anzuerkennen, ist im sprachlich geteilten Belgien brisant. Jahjah ist der Sprecher einer vernachlässigten Einwanderergeneration, junger arabischer Muslime, die die belgische Staatsbürgerschaft besitzen und sich dennoch am Rande der Gesellschaft wiederfinden.

Nach fünf Tagen wird die Verhaftung Jahjahs vom Berufungsgericht wegen Mangels an Beweisen wieder aufgehoben, nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen »finanzieller Unregelmäßigkeiten« gegen die Liga.

Was in Antwerpen passiert ist, kündigte sich schon vor Monaten an. Im Sommer wurde ein Ehepaar arabischer Herkunft in Bruxelles-Schaerbeek ermordet. In Antwerpen führte die Polizei unter dem provokanten Namen »Marrokkanerplan« regelmäßige Patrouillen in vornehmlich muslimischen Vierteln durch. Die Liga organisierte daraufhin Beobachtungsteams, die mit Videokameras eventuelle rassistische Übergriffe und Diskriminierungen der Polizei dokumentieren sollten. Die Öffentlichkeit empörte sich über den angeblichen Angriff auf die staatliche Autorität und schwieg über eine Polizei, in deren Rängen sich wohl ein guter Teil der Wähler des Vlaams Blok wiederfinden dürfte.

Verhofstadt kündigte daraufhin im Parlament an, »alles zu tun, um diese Zonen der Gesetzlosigkeit zu beseitigen«, er meint damit die Komitees. Er behauptet, »die Liga terrorisiert die Stadt, jagt die Polizei und nistet sich in den Antwerpener Vierteln ein, um Straftaten zu begehen«.

Von dem Mord und der Kampagne gegen Jahjah und die arabische Minderheit ist indes nicht viel zu hören. In einer vom Vlaams Blok beantragten Sondersitzung des Antwerpener Stadtparlaments wurde lediglich über die »Unruhen« und die öffentliche Sicherheit diskutiert.

Von der Isolationsstrategie der bürgerlichen Parteien gegen den Vlaams Blok bleibt mittlerweile nicht viel übrig, vielmehr zeichnet sich eine neue Übereinstimmung ab. Das Thema der inneren Sicherheit wird verknüpft mit den Anschuldigungen gegen Jahjah und die arabischen Migranten, die für ihre gescheiterte Integration selbst verantwortlich seien.

Während Vertreter der sozialdemokratischen Partei und der Grünen noch das »Ansteigen der Gewalt« verurteilen, und den »Extremismus« sowohl des Blok als auch der Liga anprangern, denken die konservativen flämischen Liberaldemokraten und ihr ehemaliger Vorsitzender Ward Beysen bereits über mögliche Koalitionen mit dem Vlaams Blok nach. Als Vorbild könnten dabei die Niederlande dienen, wo Christdemokraten mit der ausländerfeindlichen Liste Pim Fortuyn koalierten.

Es gibt aber auch noch einen anderen Umstand, der an das Nachbarland erinnert. Ähnlich wie Pim Fortuyn kritisiert auch der Blok die antisemitischen und antiliberalen Einstellungen vieler arabischer Migranten. Als es im vergangenen April nach einer Palästina-Solidaritätsdemonstration, zu der die Liga aufgerufen hatte, zu Ausschreitungen im jüdischen Viertel von Antwerpen kam, griff der Blok die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen der Behörden scharf an. Ausgerechnet der Vlaams Blok, in dem sich nach dem zweiten Weltkrieg die flämischen Nazikollaborateure organisierten, will sich als Beschützer der jüdischen Gemeinde aufspielen.

Während der Mord an Mohammed Achrak schon wieder verdrängt wird, bereiten sich die Rechtsextremisten nun auf den kommenden Wahlkampf vor. Gut möglich, dass ihre neue Strategie, den flämischen Nationalismus mit dem auch in der französischsprachigen Wallonie populären Rassismus zu verbinden, erfolgreich sein wird. Ein Werbeplakat des Vlaams Blok zeigt unmissverständlich, wie sie die Wahl gewinnen wollen. Aus einer Antwerpener Kathedrale wächst eine riesige Moschee empor. »Antwerpen ist besetzt«, steht darunter, »der Blok leistet Widerstand.«