"Justified" von Justin Timberlake

Wie großartig!

Auch als Charaktermaske des musikalischen Großkapitals kann man eine gute Platte machen. Justin Timberlake hat es bewiesen.

Vielleicht fing das Verhängnis ja mit Bob Dylan an. Vor Dylan, so könnte man argumentieren, und Autoren wie Nik Cohn haben mit solchen Gedanken ganze Bücher gefüllt, war Popmusik ein unschuldiges Teenie-Vergnügen mit all den Abgründen, die die Begriffe Unschuld, Teenie und Vergnügen mit sich bringen. Da gab es Girlgroups und ihre bittersüßen Teenage Sinfonies. Es gab die verrückten Rock'n' Roller und ihre obszönen Bühnenshows. Es gab die Doo-Wop-Gruppen und ihre ausgefeilten Gesangsharmonien und Tanzchoreographien. Es gab die Beatgruppen, die sich von allem etwas herauspickten und für Massenhysterien sorgten. Dann kam Bob Dylan, und auf einmal ging es um Ernstmeinerei, Ernstnehmerei, den bürgerlichen Kunstbegriff und die Protesthaltung, gegen das Establishment zu sein. Aber was tun, wenn einem die Musik Dylans trotzdem gefällt (zumindest wenn sie von den Byrds oder von Nina Simone gesungen wird)?

Vielleicht fing das Verhängnis auch damit an, Pop als Zeichensystem zu begreifen und nicht mehr als Massenkultur. Ein Konzept, das den so genannten Popdiskurs nach sich zog, der zwar viele gelehrte Traktate, aber nur wenige gute Schallplatten mit sich brachte. Ein Diskurs, der auf einem merkwürdigen Paradox beruht. Während sich in einem fort auf eine Popästhetik berufen wird, wird gleichzeitig der massenhaften Popularisierung eben jener Ästhetik nachhaltig misstraut. Was tun, wenn man sich mit diesem Paradox nicht anfreunden möchte (zumindest wenn es darauf hinausläuft, klangforschende Blubbermusik oder ultramilitanten Noiseterrorismus ernst nehmen zu müssen, das Gehampel von Boygroups jedoch nicht)?

So oder so, es ist ein Verhängnis, wenn man glaubt, um über eine Platte wie »Justified« urteilen zu können, das Debütalbum des N'Sync-Sängers Justin Timberlake, müsse man erst einmal grundsätzlich klären, was man von der Musikindustrie hält. Es mag einmal Gründe gegeben haben, die Indie-Fahne hochzuhalten, es mag Gründe gegeben haben, den Kunsthochschülern im Pop begeistert zu folgen oder sie zu verdammen, es mag Gründe gegeben haben, Rock gegen Pop zu verteidigen oder umgekehrt, Disco gegen Punk, was auch immer. Es waren keine guten Gründe. Sie haben viele Menschen davon abgehalten, viel gute Musik zu hören, und sie stattdessen dazu gebracht, viel schlechte Musik zu hören.

Wenn die Neunziger und die Ästhetik des Dancefloor-Planeten eines gelehrt haben sollten, dann doch das: Es gibt keinen Unterschied zwischen einer Platte, von der 3 000 Exemplare und einer, von der drei Millionen verkauft wurden. Man kann beide hintereinander in einem Mix spielen. Was zählt, ist die Musik. Rockt es oder rockt es nicht? All die ganzen anderen Fragen (Wie organisiere ich mich? Welchen Vertrag schließe ich als Künstler mit einer Plattenfirma ab? Schließe ich überhaupt einen Vertrag ab oder mache ich vielleicht besser mein eigenes Label auf? Welche Musik ist überhaupt politisch in Ordnung?) sind zwar wichtig, haben aber nichts mit der Musik zu tun.

Das hat einiges vereinfacht, aber gleichzeitig auch einiges verkompliziert. Man muss nämlich von Platte zu Platte, von Stück zu Stück entscheiden, was einem gefällt.

Der wirklich wichtige politische Kampf in der Populärkultur wird gegenwärtig nicht auf der Ebene der Bedeutungen ausgetragen. Es ist der Kampf um Copyrights. Und es ist ein Kampf, in dem es gleichgültig ist, ob die Musik, die da im Netz verschoben und auf CD-Rohlinge gebrannt wird, sich anhört, als sei sie für viele Millionen Dollar in einem Highend-Studio oder für ein paar Cent in der Achselhöhle eines Roadies aufgenommen worden.

Um es kurz zu machen: Justin Timberlake ist es mit »Justified« überraschenderweise gelungen, eine der besten Platten des Jahres herauszubringen. Dafür hat er sich mit Timbaland und den Neptunes die besten Produzenten eingekauft, die für Geld zu haben sind. Ist die Frage wirklich relevant, ob Timberlake ein ernst zu nehmender Künstler ist oder nur ein singender und springender Hohlkopf? Ist sie nicht. Es reicht, dass die Platte fett, sinnlich, überdreht und gewagt ist. Wer sich nun die Ohren zuhält und ruft: »Nein, nein, nein, ich will nichts hören von den Charaktermasken des musikalischen Großkapitals«, dem ist nicht zu helfen. Allen anderen seien besonders die Stücke »Like I Love You« und »(And She Said) Take Me Now« empfohlen.