Politisches buch: Neues über den Spanischen Bürgerkrieg

Das kurze bessere Leben

Ein Tagebuch aus dem Spanischen Bürgerkrieg fängt die flirrende Zeit der Anarchie und der Utopie ein.

In der Geschichte des 20. Jahrhunderts gibt es wohl nur zwei Momente, in denen der Mensch dem Traum von der »Freiheit« sehr nahe gekommen ist. Zum einen während der Revolution Machnos gegen die bolschewistische Diktatur in der Ukraine und zum anderen im Spanischen Bürgerkrieg. Es sind Versuche einer sozialen Revolution, in denen die Menschen, ohne an eine bestimmte Parteibibel zu denken, einfach das taten, was sie für richtig hielten. Von den Vorgängen in der Ukraine weiß in Deutschland bis heute kaum jemand etwas, und mit dem Spanischen Bürgerkrieg verhielt es sich auch lange so.

Es gab zwar einige Darstellungen, in denen aber Rechte wie Linke die Revolution in Spanien in überraschender Eintracht entstellten und negativ bewerteten. Eine Ausnahme bildete Augustin Souchys Buch »Nacht über Spanien«. Mit Hans Magnus Enzensbergers Dokuroman »Der kurze Sommer der Anarchie« (1972) über das Leben des Anarchisten Buenaventura Durruti gelangte endlich mehr »Realität« des Spanischen Bürgerkriegs an eine größere Öffentlichkeit. Ein weiterer Meilenstein in der populären Rezeptionsgeschichte dürfte zuletzt wohl Ken Loachs Spielfilm »Land and Freedom« (1995) gewesen sein. Die Geschichte eines jungen Engländers, der in Spanien kämpft, jedoch wenig später desillusioniert über den stalinistischen Terror auf die Insel zurückkehrt.

Die Vorlage zu Ken Loachs Film bildet das »Red Spanish Notebook« von Mary Low und Juan Bréa, das bereits 1937 in London erschienen ist. Es ist eine Art Tagebuchchronik zweier Künstler, Weltreisender und Sozialisten über ihre Erfahrungen in den ersten fünf Monaten des Spanischen Bürgerkriegs. Jetzt ist dieses spannende Büchlein zum ersten Mal unter dem Titel »Rotes Notizbuch« auf Deutsch erhältlich.

Über den surrealistischen Schriftsteller Benjamin Peret, der in der anarchistischen Kolonne Durruti kämpfte, wird notiert: »Am Abend unserer Ankunft schob ein bekannter französischer Dichter zusammen mit anderen Wache. Ihn hätte ich hier zuallerletzt vermutet. 'Es ist ganz außergewöhnlich, hier zu sein', sagte er. 'Es ist, als würde man endlich wieder leben.'«

Mary Low und Juan Bréa erfahren im Juni 1936 in Ostende vom Putsch des Militärs gegen die Republik und vom Ausbruch der spanischen Revolution. Sofort reisen sie voller Enthusiasmus nach Barcelona, wo sie sich dem Poum (Partido Obrero de Unification Marxista) anschließen, einer mit rund 30 000 Mitgliedern verhältnismäßig kleinen marxistischen Partei. Barcelona ist eine Hochburg der anarchistischen CNT (Confederation National del Trabajo), die neben der sozialistischen UGT (Union General de Trabajadores) das öffentliche Leben organisiert. Die KP spielte in der Anfangszeit mit knapp 10 000 Mitgliedern, wenn überhaupt, nur eine marginale Rolle.

Die damals 24jährige Journalistin Mary Low übersetzt, schreibt für das Informationsbulletin des Poum und gründet die englischsprachige Zeitung Spanish Revolution, von der 4 000 Exemplare verkauft werden. Der aus Kuba stammende Juan Bréa, Jahrgang 1905, schließt sich der Lenin-Kolonne an, die aus etwa 50 Kämpfern aus zehn Ländern besteht. Später wird er Korrespondent von La Batalla, dem Organ des Poum und reist an die Front nach Aragon, Toledo oder Sigueenza.

Kennen gelernt hatten sich Mary Low und Juan Bréa 1933 in Paris, als der junge Mann der in Australien geborenen Mary mit einer Flasche Wein unterm Arm vorschlug, ihr mehr über den historischen Materialismus beizubringen. Von diesem Moment an reisten sie gemeinsam nach Kuba und quer durch Europa.

Im Hotel Falcon in Barcelona, das der Poum als Hauptquartier requiriert hat, treffen sie Künstler, Aktivisten, Revolutionäre, Intellektuelle aus ganz Europa, die voller Idealismus und Euphorie nach Spanien gekommen sind, und schreiben: »Man sah überall lächelnde Gesichter. Eine Atmosphäre der Freude und der Freiheit lag in der Luft.«

Die Welt ist endlich auf die Füße gestellt, die Menschen bestimmen ihr Schicksal plötzlich selbst. Alles ist anders organisiert, oder man versucht es wenigstens mit viel Improvisationsgeschick. Niemand verlangt nach Perfektion, sondern nach einer Lösung, die für alle Beteiligten tragbar ist. Tag für Tag, oft mit wechselndem Erfolg. Es herrscht eine unbeschreibliche Euphorie, eine Bereitschaft, sich mit jedem und allem auseinanderzusetzen. Ein Muss gehört der Vergangenheit an.

»Essen gab es in Barcelona für alle«, schreiben Mary Low und Juan Bréa. »Man musste nur zu einem Parteilokal gehen. Mit Mildtätigkeit hatte dies nichts zu tun, Grundlage waren vielmehr die normalen Rechte aller, die Rechte unter Freien und Gleichen. Bei jeder Mahlzeit saßen wir mit Hunderten zu Tisch, mit allen möglichen Leuten, die keine Parteimitglieder waren und von denen wir oftmals nichts wussten.«

In Barcelona wimmelt es wie in den anderen »freien« Gebieten Spaniens, wo der Putsch des Militärs gescheitert ist, von Komitees, Initiativen und Milizen der unterschiedlichen politischen Organisationen. Häuser werden akquiriert, Zeitungen gegründet, Volksküchen eingerichtet, Milizen eingestellt, und jeder kann nach Lust und Laune seine Propaganda betreiben. So postierten eines Tages die Anarchisten ein großes Plakat mit der Aufschrift »Schluss mit der Prostitution! Was haltet ihr davon?« auf die Ramblas von Barcelona. Die Prostituierten waren entsetzt und fürchteten um ihr Auskommen. Sie warfen die Bordellbesitzer kurzerhand hinaus, teilten sich die Profite zu gleichen Teilen, gründeten eine eigene Gewerkschaft und traten der anarchistischen CNT bei. In den Bordellen hing fortan die Mitteilung: »Es wird gebeten, die Frauen wie Genossinnen zu behandeln. Das Komitee. (Auf Befehl).«

Selbst bei Demonstrationen gibt es keine Animositäten zwischen den verschiedenen Organisationen.

»Die Rote Fahne streifte alle Bäume auf den Ramblas, und wir zogen weiter, mit der FAI (Federacion Anarquista Iberica) an der Spitze, deren schwarze Fahnen wie Krähen mit ihren Flügeln flatterten. Die Sozialisten bildeten das Schlusslicht.«

Mit der Eintracht ist es jedoch bald vorbei. Stalin hält sich nicht mehr an das internationale Nichteinmischungsabkommen und schickt im Oktober 1936 Waffen in die Spanische Republik. (Die er sich mit 500 Tonnen Gold teuer bezahlen lässt.) Gleichzeitig mit den Waffen treffen auch seine Agenten des NKMD und der politischen Polizei GPU ein, die sofort damit beginnen, alle, die ihnen nicht passen, aus dem Weg zu räumen. Das größte Ärgernis ist die Poum, die als trotzkistische Partei diffamiert und mehr und mehr von allen Aufgaben ausgeschlossen wird.

Als die Entscheidung für die Umwandlung der Milizen in eine reguläre Volksarmee (auf Betreiben der UdSSR) fällt, ist es ganz aus mit den revolutionären Errungenschaften. Gegen Ende ihres Aufenthalts notieren die beiden: »Nach und nach hatten immer mehr Leute aufgehört, die Milizuniform zu tragen, die nun die Uniform der neu aufgestellten Armee war. Wir waren nicht nach Spanien gekommen, um in einer regulären, bürgerlichen Armee zu kämpfen. Die meisten Milizionäre der Internationalen Kolonnen (...) befanden sich wieder in Barcelona, wo sie politisch arbeiteten oder nichts taten, weil sie nicht die Erlaubnis hatten, das zu tun, was sie wollten.«

Die Stalinisten haben nicht das geringste Interesse an der Spanischen Revolution. Ihnen geht es nur um die Errichtung der Diktatur des Proletariats, die Eroberung des Staatsapparats, die Zerschlagung der Revolution, mit allen Mitteln. Am 3. Mai 1937 versucht die kommunistische PSUC die Macht in Barcelona zu übernehmen, wird aber von den Arbeitern zurückgeschlagen.

Zu dieser Zeit sind Mary Low und Juan Bréa schon lange nicht mehr in Spanien. Am 28. Dezember 1936 hatten sie bereits die Rückreise nach Frankreich angetreten. Juan Bréa war im Oktober 1936 zweimal verhaftet worden und nur durch seine Kontakte zur kubanischen KP wieder freigekommen. Als er dann wenig später nur knapp einem Mordanschlag entkam, entschließt sich das Paar, der Revolution den Rücken zu kehren.

Wären sie geblieben, wären sie aller Wahrscheinlichkeit nach Opfer der kommunistischen Repression geworden. Von Frankreich aus verfolgen sie voller Verzweiflung das Ende der Spanischen Revolution. In nur vier oder fünf Wochen schreiben sie ihre Erfahrungen in Spanien nieder.

Ihre oft fast distanziert wirkenden Berichte und Schilderungen über das Alltagsleben in den ersten vier Monaten der Revolution wirken noch heute so frisch und spannend, als wäre es erst gestern passiert. Ganz ohne diese langweiligen Revoluzzerklischees, die einem sonst alles vermiesen. Zugegeben, wehmütig wird man da schon etwas, bei dieser Aufbruchstimmung voller Toleranz und Entschlossenheit, die Verhältnisse so zu verändern, wie man gerne möchte. Ein Bericht aus dem Phantasieland der Utopie, in dem sich niemand mit den Gegebenheiten arrangiert.

Ich musste während der Lektüre des »Roten Notizbuches« öfter an ein Gespräch mit Augustin Souchy vor langer Zeit denken, insbesondere an sein verschmitztes Lächeln, als er sagte: Und dann wurde der Pfaffe gepackt und an den nächsten Baum geknüpft! Ho, Ho!

Mary Low/Juan Bréa: Rotes Notizbuch. Nautilus, Hamburg 2002, 256 S., 19,90 Euro
Heleno Sana: Die Libertäre Revolution. Nautilus, Hamburg 2002, 317 S., 20,80 Euro