Hamburger Queerpässe

Corny Littmann, der Präsident des FC St. Pauli, ist der erste bekennende Schwule in der Fußballbundesliga. von jan freitag

Wo beginnt die Gleichberechtigung Homosexueller? Wenn ihre sexuelle Präferenz vorbehaltlos akzeptiert wird oder wenn sie einfach keine Rolle mehr spielt? Corny Littmann tendiert zur zweiten Variante. »Mich würde mal interessieren«, raunzte der Interimspräsident des FC St. Pauli den Reporter eines Szenemagazins an, »warum ausschließlich Journalisten darauf zu sprechen kommen.« Im Verein und in dessen Umgebung sei sein Privatleben kein Thema, »und das ist mir sehr wichtig«. Littmanns Ärger ist verständlich. Seit seinem Amtsantritt kommt kaum ein Bericht ohne das Attribut »schwul« aus.

Verständlich ist aber auch das Interesse an dem 50jährigen Theaterleiter, der seit Anfang Dezember ehrenamtlich den fast unvermeidlichen Abschied vom bezahlten Fußball verhindern will. Ein Schwuler an der Spitze eines Bundesligaclubs, das ist schlicht eine Sensation.

Noch nie in den vier Jahrzehnten, in denen die höchste Spielklasse in Deutschland existiert, geschweige denn davor, bekannte sich ein Spieler oder ein Funktionär zu seiner Homosexualität. Kein Elton John weit und breit, der 1976 den englischen Watford FC übernahm und von den Fans verhöhnt wurde, kein Pélé, der seine homophilen Kindheitserfahrungen offenbarte, kein Justin Fashanu, der sich 1990 als erster englischer Profi outete und mit den anschließenden Schikanen samt Entlassung in den Selbstmord getrieben worden sein soll.

In den Kabinen der 36 Bundesligisten herrscht dagegen eine sonderbar fortpflanzungsfreudige Vorstadtidylle. »In einer Zeit, da freiwillige Outings in der Berufswelt zunehmend unproblematischer werden«, schreibt Armin Wittorf im Magazin Eurogay, »bleibt die Fußballerbranche eine scheinbar makellose Hetero-Domäne.«

Ausgerechnet in der männerbündischen Fußballwelt sollen die fünf bis zehn Prozent gleichgeschlechtlich Liebenden in der Bevölkerung nicht vorkommen? Zu hart sei das Geschäft, behaupten richtige Kerle wie Paul Steiner. Schwule, so der ehemalige Vorstopper des 1. FC Köln einst, seien »zu weich für den Fußball«. Die gibt es auf dem Rasen nicht, so seine Schlussfolgerung. Sein Düsseldorfer Kollege Michael Schütz stimmte ihm später zu: »Man würde gegen so einen auch nicht richtig rangehen, weil die gewisse Furcht vor Aids da wäre.«

Der bereits wegen seines Theaters bekannte Littmann hatte schon damals aufhorchen lassen, als er Paul Steiner entgegenhielt, er habe gerade mit einem seiner Mannschaftskameraden gepennt. Doch da war der Mann aus dem provinziellen Münster ja noch Kabarettist, Theaterchef, Glamourtunte, die mit Lilo Wanders auf der Bühne travestierte und zehn Jahre zuvor den Spiegel einer öffentlichen Toilette zerstört hatte, hinter dem die Polizei Hamburgs schwule Szene überwachte.

Jetzt aber ist Littmann der Vorgesetzte jener Männer, deren Erfahrung mit Schwulen zumeist aus der Lindenstraße und Leuchtreklamen von Gayshops auf der Reeperbahn besteht.

Schwule dürfen mittlerweile im Fernsehen Kaffeewerbung machen, Bürgermeister in Berlin werden und sich im Fernsehen küssen; in der Bundesliga werden sie höchstens als Fans geduldet. Corny Littmann dürfte die Machogilde auf eine harte Probe stellen.

Trotz einschlägiger Stadionordnungen, trotz des Verhaltenskodex des Bündnisses Aktiver Fußballfans (Baff), trotz homophiler Fanclubs wie »Hertha-Junxx« oder St. Paulis »Queer-Pass« und trotz der Fanszene von Littmanns Club, die ungeachtet ihrer linksalternativen Attitüde keineswegs frei von Schwulenfeindlichkeit ist, bleibt das Bundesligaklima homophob.

Der DFB tritt zwar in seinen Statuten »rassistischen, verfassungs- und fremdenfeindlichen Bestrebungen entschieden entgegen«, die Worte schwul, homosexuell oder sexistisch sucht man indes vergeblich auf der umfangreichen Homepage. Stattdessen sperrt sich der größte deutsche Einzelsportverband konsequent gegen jede Unterstützung schwul-lesbischer Europa- und Weltmeisterschaften. Seit der ersten EM in London im Jahr 1993 wurde lesbischen Nationalspielerinnen gar mit dem Rauswurf gedroht, sollten sie am Wettbewerb teilnehmen. Für die männlichen Spieler kam so etwas ohnehin nie in Frage.

Von den Bundesligisten und ihren Fans ist kaum Protest zu erwarten. Schiedsrichter kriegen sprechchorweise »Schwule Sau« zu hören, gefoulte Gegner werden als schwule Weicheier bezeichnet und zum Aufstehen gedrängt, »arbeitslos und homosexuell, das ist der VfL«, grölen Fans anderer Clubs über Bochum, die so Angesprochenen entgegnen gern »schwuler BVB«. Schalkes Torwart Frank Rost duscht, obwohl er die Existenz von Schwulen in der Liga verneint, »immer mit dem Arsch zur Wand« und Magdeburgs Trainer Achim Steffen gab seinem Team schon mal ein lautstarkes »ihr schwulen Säcke« mit auf Weg.

Genau diese Atmosphäre verhindert wohl bislang das erste Spielerbekenntnis. Ein abschreckendes Beispiel ist auch das Nachwuchstalent Heinz Bonn, dessen Karriere beim HSV im Jahr 1973 nach Gerüchten über seine Homosexualität so gut wie beendet war.

Die Hamburger Boulevardpresse verbreitete jedenfalls schnell ihre Sicht vom neuen Präsidenten St. Paulis. Die Morgenpost titelte mit Littmann in schriller Transenpose, die Bild-Zeitung forderte gewohnt subtil: »Pauli braucht keinen Tunten-Präsidenten.«

Kein Wunder also, dass Littmann trotz seiner 20 Jahre als Fan glaubt, nicht bei »jeder sportlichen Entscheidung kompetent mitreden zu können«. Dass er sich zudem bei aller Sympathie für die Proteste gegen den Rechtspopulisten Schill und die Räumung des Bauwagenplatzes Bambule die Vermischung von Fußball und Politik im Stadion verbittet, zeugt davon, dass er nicht als subkulturelles Maskottchen gelten will. Statt dessen betont er lieber seine Meriten als Leiter zweier subventionsfrei florierender Theater, die ihm 1999 den Titel »Hamburger Unternehmer des Jahres« einbrachten.

Und um weiteren Vorurteilen den Boden zu entziehen, gibt er sich bis zur endgültigen Wahl Mitte Februar als eiserner Besen. Den Trainer hat er entlassen, einen neuen eingesetzt, die Geschäftsführerin und seinen Stellvertreter wegen angeblich unsauberer Geschäftspraktiken gefeuert und Angestellten mit besonderen Interessen »erbitterten Widerstand« angedroht.

Ob die harte Tour dem Willen zur Anpassung entspringt, ist unklar. »Wenn jemand meint, da komme der kleine Schwule, dessen Interessen darauf fokussiert sind, Kontakte zu knüpfen, die mit seiner sexuellen Neigung zu tun haben«, so Littmann, »kann ich nur sagen: Da werden sich einige ganz schön umgucken.«

Immerhin, Sprüche wie »schwule Sau« in Richtung des Gegners glaubt er durch sein Amt künftig von den Rängen verbannen zu können. Und ein Schimpfwort will der Kaberettist schon gar nicht mehr hören: Schauspieler. Das treffe ihn ins Mark. Corny Littmann ist eben doch zuerst Kulturschaffender, dann erst Präsident und ganz nebenbei schwul.