Immer cool bleiben

Die Auslieferung des ehemaligen serbischen Präsidenten Milan Milutinovic an das UN-Kriegsverbrechertribunal ist für alle Beteiligten ein gutes Geschäft, außer für Slobodan Milosevic. von martin schwarz, wien

Solche Angeklagten wünscht man sich. Ganz ohne Schießerei, ohne Handschellen und ohne monatelange politische und juristische Konflikte will sich der ehemalige serbische Präsident Milan Milutinovic dem Haager Kriegsverbrechertribunal überantworten. Er betrachtet seine Anklage mit der Emphase eines gerade beim Schwarzfahren erwischten U-Bahn-Passagiers. »Das ist alles sehr unangenehm, aber ich werde kein Problem sein«, erklärte der 60jährige ehemalige Weggefährte Slobodan Milosevics Anfang Januar in einem Interview auf die Frage, wie er auf seine baldige Festnahme reagieren werde.

Schon seit Monaten war klar, dass Milutinovic wie fast alle mutmaßlichen serbischen Kriegsverbrecher den Weg nach Den Haag antreten muss. In einer stillschweigenden Übereinkunft hatten sich die serbische Regierung und die Den Haager Anklagebehörde darauf geeinigt, das Ende der Amtszeit Milutinovics als serbischer Präsident im Dezember 2002 abzuwarten. Erst danach sollte er ausgeliefert werden. Selbst die Sprecherin der UN-Chefanklägerin Carla del Ponte, Florence Hartmann, reagierte ungewohnt lapidar auf die Verhandlungen über die Auslieferung Milutinovics: »Es geht nur noch um logistische Details, Verhandlungen kann man das nicht mehr nennen.«

Del Ponte, vom mühsamen Prozess gegen Milosevic angeschlagen, kann sich darauf verlassen, dass zumindest ein Angeklagter ohne größere Zerwürfnisse direkt aus Belgrad ankommt. Die serbische Regierung erspart sich eine verfassungswidrige Auslieferung, eine vor allem für den Premierminister Zoran Djindjic äußerst peinliche Maßnahme.

Milutinovic profitiert ebenfalls von den Absprachen. Weil er versicherte, sich nicht gegen seine Auslieferung zu wehren, kann er auf jene Privilegien hoffen, die auch schon die ehemalige Präsidentin der Republika Srpska, Biljana Plavsic, vor dem Tribunal genießt. Sie pendelt zwischen dem Balkan und den Niederlanden hin und her und taucht nur in Den Haag auf, wenn ihre Aussagen als Angeklagte gefragt sind.

Die serbische Regierung wird wohl garantieren, dass der ehemalige Präsident, der schwerer Kriegsverbrechen angeklagt ist, ebenfalls nur zeitweise in Den Haag anwesend sein wird. Einen Teil seines Prozesses kann er vermutlich in in aller Ruhe in Belgrad abwarten.

Die seltsame Harmonie zwischen den Anklägern und dem ehemaligen serbischen Präsidenten endet aber dort, wo es um die juristische Aufarbeitung der Anklage geht. Sie ist identisch mit der gegen Milosevic.

Die Anklageschrift stammt vom 24. Mai 1999 und ist nach den Erfahrungen des bisherigen Milosevic-Prozesses alles andere als sicher. Unter dem Eindruck des damaligen Kosovo-Krieges sei sie von der ehemaligen Chefanklägerin Louise Arbour »hastig verfasst« worden, erklärte Milutinovic im serbischen Fernsehen.

Gleichzeitig bestritt er, dass er für die mutmaßlichen Massaker im Kosovo-Krieg aus dem Jahr 1999 verantwortlich gemacht werden kann. »Laut Verfassung ist der jugoslawische Präsident für die Armee verantwortlich und die serbische Regierung für die serbische Polizei«, argumentiert Milutinovic. Er selbst sei niemals an Entscheidungen über polizeiliche oder militärische Aktionen im Kosovo beteiligt gewesen. Mit dieser Aussage weist der ehemalige serbische Präsident jede Verantwortung von sich und beschuldigt indirekt Milosevic.

So eröffnet sich eine verlockende Aussicht für die Anklage. Sie kann sich nun darauf verlassen, mit Milutinovic einen Angeklagten zu haben, der sich nicht auf den politischen Heroismus Milosevics einlässt und keinesfalls vorhat, die Anklage mit dem Versuch aus dem Konzept zu bringen, die Legalität des Tribunals in Frage zu stellen.

Ganz erfolglos war Milosevic bisher nämlich nicht mit seinem Bestreben, eine Gegenklage gegen die Nato-Politik auf dem Balkan, die juristische Vergangenheitsbewältigung des Tribunals und deren zweifelhafte juristischen Grundlagen zu entwerfen. Der Zeitplan der Anklage ist durcheinander geraten, Richter kürzen die Zeugenlisten von del Ponte und noch dazu bedroht Milosevics Bluthochdruck nicht nur seine gesundheitliche Unversehrtheit, sondern auch den gesamten Prozess. »Wir werden sehen, ob wir den Zeitplan noch einhalten können«, meint Hartmann unsicher.

Das Verfahren gegen Milutinovic könnte nun der Anklage wertvolle Einsichten in den Machtapparat Belgrads bringen, auch wenn nicht zu erwarten ist, dass der ehemalige serbische Präsident tatsächlich gegen seinen ehemaligen Mentor aussagt.

Sorgen machen sich die die Berater Milosevics dennoch. Er ist mittlerweile der einzige, der es noch für wert hält, sich als Botschafter eines anderen Jugoslawien vor Gericht zu präsentieren. Entsprechend wortkarg sind die Sympathisanten Milosevics, wenn es um die Verteidigung Milutinovics geht.

Doch auch wenn die Anklagevertreter nun endlich einige Erfolge aufweisen können, steht das Tribunal nach wie vor unter großem politischen Druck. Ende Dezember forderte der serbische Justizminister Vladan Batic, der vor zwei Jahren maßgeblich an der schnellen Auslieferung Milosevics beteiligt war, sogar den Rücktritt del Pontes. »Es werden nur Serben angeklagt«, lautet sein Vorwurf.

Florence Hartmann wertet diese Forderung als ein politisches Spiel von Vertretern eines Landes, das »seinen Verpflichtungen gegenüber dem Tribunal nicht nachkommt«. Zwölf gesuchte Kriegsverbrecher hielten sich noch immer in Serbien mit stillschweigender Duldung der Behörden auf. Darunter auch die derzeit wohl meistgesuchten Männer auf dem Balkan: Radovan Karadzic und Ratko Mladic.

Der Vorwurf ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand wahrscheinlich richtig, allerdings halten sich auch mehrere mutmaßliche kosovo-albanische Kriegsverbrecher wie etwa der ehemalige UCK-Kommandeur und Leiter des Kosovo-Hilfskorps, Agim Ceku, im UN-Protektorat Kosovo auf. Gegen ihn wird nun schon seit mindestens einem Jahr in Den Haag ermittelt. Zu einer Anklage ist es aber noch immer nicht gekommen.

Im Gegensatz dazu stellte Louise Arbour 1999 ihre Anklage gegen Milosevic, Milutinovic und drei andere Serben fertig, als der Krieg im Kosovo noch im vollen Gange war. Nachdem sich die Vertreter des UN-Tribunals und der Belgrader Regierung auf eine gemeinsame Vorgehensweise im Prozess gegen Milutinovic eingelassen haben, ist zu erwarten, dass auch bald wieder die Frage auftauchen wird, was nun mit Mladic geschehen soll.

Milan Milutinovic rührt das alles nicht. Er hat bereits Anwälte mit seiner Vertretung beauftragt und arbeitet seit Monaten an seiner Verteidigung. »Alle Sachen im Leben nehmen ihren Lauf, und nicht ich, sondern der Staat bestimmt diesen Lauf«, sinnierte er im serbischen Fernsehen.