Lasst uns mal darüber reden!

30 Jahre Talkshow

Der Talk zum Talk, das hat noch gefehlt. Wo wir ja längst aus den Medien wissen, dass die Medien immer häufiger die Medien zum Inhalt haben, wurde es wirklich mal Zeit, das Talkshow-Wesen sozusagen von innen zu beleuchten. Das kann man so machen wie auf 3Sat, wo berufene Plauderer von Alfred Biolek bis Roger Willemsen eine geschlagene Stunde vor sich hin schwiegen. Um zu belegen, dass sie, um nichts zu sagen, nicht reden müssen, sondern tatsächlich auch schweigen können.

Weit weniger konzeptkunstartig gab sich zur selben Zeit der letzte Woche von Montag bis Mittwoch abgespulte Dreiteiler in der ARD »Das Ganze eine Rederei. Dreißig Jahre Talkshow im deutschen Fernsehen.« In der von Klaus Michael Heinz kompilierten Sendung saßen sich all diejenigen gegenüber, die 30 Jahre lang die Talkshows in Deutschland entscheidend prägten. Dietmar Schönherr – sozusagen der Gründervater des Genres in Deutschland –, Erich Böhme, Andreas Türck, Margarethe Schreinemakers und noch ein paar Kollegen mehr.

Interessant war, dass sich die versammelten Repräsentanten der Talkshow bereitwillig in das die Talkshow ablösende Genre der Gerichtsshow überführen ließen. Sämtliche Kandidaten mussten sich ihre erbärmlichsten Entgleisungen und andere Höhepunkte ihrer Moderatorentätigkeit nochmals antun, damit man dann gemeinsam über diese zu Gericht sitzen konnte. Die Höchststrafe war wahrscheinlich, auf ewig Gast in der eigenen Show sein zu müssen.

Und was es da alles zu sehen gab! Und wie sie alle betroffen dreinschauten und daherredeten! Man sah: Marcel Reich-Ranicki mit Theresa Orlowski auf der Couch. Edmund Stoiber, der seine Äußerung rechtfertigte, dass man anhand des Nationalsozialismus ja sehen könne, wohin der Sozialismus führe. Jörg Haider, der Erich Böhme wie einen Schuljungen aussehen ließ. Und Inge Meysel berichtete Dietmar Schönherr von ihrer Entjungferung usw.

Das Betroffenheitsniveau war teilweise ziemlich hoch. Als Christoph Schlingensief äußerte, er habe ein Problem damit, dass teilweise sogar der Holocaust talkshowmäßig aufbereitet würde, meinte die grässlich gekünstelt empörte Amelie Fried, dass der Holocaust im Vorabend-Talk ja wohl nichts gegen Andreas Türck sei. Dieser habe seinen Kandidaten mit ihren möglichst bizarren Problemen in seiner Show jede Würde genommen, indem er sie wie in einer Freakshow ausgestellt habe. Woraufhin Türck meinte, es sei ja schließlich niemand gezwungen worden, in seine Show zu kommen.

Und so ging es munter weiter. Der Talk zum Talk gerierte sich als Moralanstalt. Dabei bleibt festzustellen, dass die ganzen Talk-Highlights nur deswegen zu Highlights wurden, weil sie wenig mit Moral zu tun hatten. Der Sinn des Talks liegt ganz einfach in seiner öffentlichen Erregung, mit political correctness hätte hier eigentlich niemand kommen müssen.

Da konnten die Zündler noch so lange lamentieren, dass sie sich nur an ihren entfachten Feuern wärmen, aber nicht verbrennen wollten. Insgeheim war doch bestimmt jeder stolz darauf, gelegentlich eine gehörige Entgleisung produziert zu haben. Wegen der Quote. Und weil von 30 Jahren Talkshow nur die Entgleisungen im Gedächtnis blieben.

andreas hartmann