Markt der Möglichkeiten

Mehr Leistung für weniger Lohn, nach diesem Prinzip funktioniert die Ich-AG. Hartzschrittmacher V. von winfried rust

Neben ein bisschen Bescheidenheit fordert die Hartz-Kommission vor allem mehr Flexibilität und Selbständigkeit von den Arbeitslosen. Die Forderung wird in höherer Mission erhoben. Die Zahl der Arbeitslosen soll halbiert, der Staatshaushalt soll entlastet und »verkrustete Strukturen« sollen aufgebrochen werden. Ein in eine Ich-AG verwandelter ehemaliger Arbeitsloser darf 25 000 Euro im Jahr verdienen, ist sozialversicherungspflichtig und führt pauschal zehn Prozent Umsatzsteuer ab. Er erhält vom Arbeitsamt im ersten Jahr monatlich 600 Euro, im zweiten 360 Euro und im dritten und letzten 240 Euro.

Die Reformen sollen die Schwarzarbeit bekämpfen. Aber wie auch andere Bestandteile der Arbeitsmarktreform – die Ausweitung der Leiharbeit und der Minijobs – drängt die Ich-AG die Erwerbslosen und LohnarbeiterInnen mehr und mehr in deregulierte und prekäre Arbeitsverhältnisse. Im Niedriglohnsektor sollen 500 000 neue Stellen entstehen. Das wird Auswirkungen auf den ersten Arbeitsmarkt haben.

Auf dem freien Markt können die Ich-AGs nur bestehen, wenn sie die Konkurrenz unterbieten. Das heißt, die Arbeitslosen müssen sich selbst in niedrig entlohnte, schlechte Jobs manövrieren und alte Sicherheits- und Qualitätsstandards vergessen. Wegen der Kürzung der Arbeitslosenhilfe beziehungsweise der Einführung des »Arbeitslosengeldes 2«, der Verleihung von Arbeitslosen an Zeitarbeitsfirmen und der Verschlechterung der Zumutbarkeitskriterien haben sie jedoch keine andere Wahl.

Um Existenzgründern den Einstieg in Handwerksberufe zu erleichtern, soll die Handwerksordnung gelockert werden. Die Hälfte der Beschäftigten in Handwerks- und Kleinbetrieben könnten zukünftig Ich-AGs sein. Denn die Betriebe werden geradezu eingeladen, einen Teil ihrer Belegschaft zu entlassen und als Ich-AGs wieder zu beschäftigen. So fördert die Einführung der Ich-AGs sowohl die »Scheinselbständigkeit« als auch die Ausweitung des Niedriglohnsektors.

Der gesetzliche Kündigungsschutz und die Tariflöhne werden durch die Arbeitsmarktreformen in zweifacher Hinsicht demontiert: durch die vermehrte Beschäftigung von Leiharbeitern und von »selbständigen« Ich-AGs. Im Handwerk werden Ich-AGs sowohl in Konkurrenz zu den existierenden Betrieben als auch innerhalb der Belegschaften dazu beitragen, dass reguläre Arbeitsplätze in prekäre Arbeitsverhältnisse verwandelt werden.

Wer arbeiten will, soll eine Ich-AG gründen. Die Realität ist, dass Arbeitslose ohne jede Voraussetzung zu unternehmerischer Selbständigkeit »ins kalte Wasser geworfen« werden. Zur Gründung einer selbständigen Existenz braucht man: Kapital, Erfahrung, Ehrgeiz, Marketing, Kenntnisse der Buchhaltung und der EDV, Anbieter- und Nehmerqualitäten usw. Selbst wer das alles hat, wird feststellen, dass der Markt übervoll ist und in eine gnadenlose Konkurrenz einsteigen. Die Ich-AGs werden voller Idealismus überlegen, was sie am besten können, sich beraten lassen, sich stärker verschulden, als sie es vorhatten, Kostenvoranschläge schreiben, warten, herumwursteln und früher oder später ihren »Betrieb« wieder dicht machen.

Die Ich-AG ist durch die Merkmale »informeller Ökonomie« gekennzeichnet: Kapitalmangel, eine schlechte technische Ausstattung, niedrige Produktivität und Handarbeit. Mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission wird dem informellen Sektor in widersprüchlicher Weise der Weg in die bestehende Ökonomie geebnet. Privatpersonen können die billigen Helfer auf ihre Einkommenssteuer anrechnen, damit sich die Schwarzarbeit im Haushalt nicht mehr lohnt. Mit den monatlichen Zuwendungen werden die Ich-AGs öffentlich subventioniert. So werden haushaltsnahe Lohntätigkeiten zum Teil legalisiert. Aber wenn man den offiziellen Arbeitsmarkt insgesamt betrachtet, wird eine Umstrukturierung stattfinden, hin zu prekären Tätigkeiten, mit denen die Arbeitenden kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Wer essen will, soll auch arbeiten, lautet die Philosophie der Arbeitsgesellschaft. Im postfordistischen Arbeitsregime hat, wer arbeitet, jedoch nicht unbedingt genug zu essen. Manche Segmente der Lohnarbeit sind vermehrt von Arbeitszeitregelungen und Tariflöhnen abgekoppelt, und die Höhe der Löhne wird willkürlicher als zuvor festgelegt. Das ist die Konsequenz kapitalistischer Wirtschaftsweise. So sehr ein garantiertes Mindesteinkommen für alle angesichts des gesellschaftlichen Reichtums möglich und wünschenswert wäre, so unvereinbar ist diese Vorstellung mit dem herrschenden Primat der Konkurrenz. Wer aus dem regulären Arbeitsmarkt herausfällt, muss ihn als Ich-AG erneut untergraben.

Die Arbeitsmarktreform reaktiviert auch den »Klassenkampf« von oben. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Wolfgang Wiegard, erklärt: »Wir brauchen in Deutschland mehr soziale Ungleichheit, um zu mehr Beschäftigung zu kommen.« Tatsächlich ist die Debatte um die Arbeitslosen von einem rechtspopulistischen Diskurs begleitet, der sich von den Armen aggressiv entsolidarisiert und in Ideen wie der Ich-AG ein Heilmittel sieht.

Derweil steigt die Zahl der Erwerbslosen auf 4,2 Millionen Menschen. Kein Wunder, ein Betrieb wird mit jeder Entlassung profitabler. Dennoch bleibt der Lebensunterhalt in der kapitalistischen Gesellschaft an seine Beteiligung an der Produktion geknüpft.

Während es in der industriellen Revolution immenser Gewalt bedurfte, um die Fabrikdisziplin durchzusetzen, »kennt diese Gesellschaft kaum noch vom Hörensagen die höheren und sinnvolleren Tätigkeiten, um derentwillen die Befreiung sich lohnen würde«. Hannah Arendt leitet mit diesem Satz in »Vita activa« zu der Frage über, ob der eigentlich erfreuliche Verlust der Arbeit nicht beängstigend sein muss in einer Arbeitsgesellschaft, die sich auf keine andere Tätigkeit mehr versteht.

Die Schlussfolgerung daraus sollte sein, angesichts der Verschärfung des Arbeitsregimes durch die aktuellen Arbeitsmarktreformen nicht bei einer Kritik stehen zu bleiben, die lediglich eine Schadensbegrenzung zum Ziel hat. So werden selbst vom Anti-Hartz-Bündnis nur die Auswirkungen der Reformen angeprangert. Die strukturelle Grundlage des Arbeitsmarktes ist und bleibt jedoch das isolierte Gewinnstreben der Individuen. Deshalb gilt es, die »Über-Ich-AG«, die »Arbeitsgesellschaft«, in die Kritik zurückzuführen. Die Auswirkungen der Arbeitsmarktreform könnten der Anlass dafür sein.