In aller Freundschaft

Zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages präsentieren Schröder und Chirac einen ehrgeizigen Vorschlag für eine Verfassung der EU. von anton landgraf

Manchmal bekommen sogar hart gesottene Politiker feuchte Augen. Das Treffen in Paris sei »ein ganz, ganz wichtiges Symbol für die Freundschaft unserer Völker«, schwärmte Außenminister Joseph Fischer in der vergangenen Woche und lobte das Dokument als »eine der wichtigsten Grundlagen für Versöhnung und Frieden auf dem europäischen Kontinent«. Am 22. Januar 1963 hatten die damaligen Regierungschefs Konrad Adenauer und Charles de Gaulle den Elysée-Vertrag über die Freundschaft der beiden Länder abgeschlossen. Zum 40. Jahrestag der Unterzeichnung am Mittwoch dieser Woche fliegen alle Abgeordneten des Bundestages zu einer Feierstunde des französischen Parlaments ins Schloss von Versailles bei Paris.

Das Jubiläum nahmen der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Staatspräsident Jacques Chirac am Mittwoch der vergangenen Woche auch zum Anlass, um einen gemeinsamen Vorschlag für den EU-Konvent zu präsentieren. Ihrer Meinung nach sollen künftig zwei Präsidenten die Union führen. Die doppelte Spitze bestünde demnach aus dem Ratspräsidenten, der fünf Jahre lang amtiert und von den Regierungschefs der Mitgliedsstaaten gewählt wird, und dem Kommissionspräsidenten, den das europäische Parlament in Strasbourg bestimmt.

Jahrelang hatten sich die beiden Regierungen gestritten, welches Prinzip in einer erweiterten Union gelten solle. Während Frankreich ein präsidiales System favorisierte, bevorzugte man in Berlin ein föderales Modell, das dem Parlament mehr Einfluss einräumt. Der Konvent hat nun die Aufgabe, bis zum Sommer einen Entwurf für eine gemeinsame europäische Verfassung vorzustellen.

Ob die Entscheidung von Schröder und Chirac die Rivalitäten tatsächlich beenden kann, darf bezweifelt werden. Vermutlich würde die Konkurrenz nur eine Etage höher ausgetragen. Gut möglich, dass sich künftig anstatt der jeweiligen nationalen Regierungsvertreter zwei europäische Präsidenten in den Haaren liegen werden.

Wenig beeindruckt von dem Vorschlag zeigte sich in der vergangenen Woche daher auch der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt. »Ich glaube, dass der Ausdruck ›Deutsch-französische Freundschaft‹ eine große Übertreibung ist«, sagte er in der ARD. Die beschworene Übereinstimmung zwischen Schröder und Chirac sei »bestenfalls eine Absichtserklärung«.

Auch andere warnten sogleich vor einem neuen Machtkonflikt. »Wir müssen aufpassen, dass ein solcher stärkerer Ratspräsident nicht der heimliche Präsident Europas wird«, sagte die Fraktionsvorsitzende der Union, Angela Merkel.

Heftige Kritik kam vor allem von den Vertretern des Europäischen Parlaments. Das Papier sei kein Kompromiss, sondern ein »Tauschhandel«, der desaströse Folgen haben könnte, wetterte Andrew Duff, der Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Strasbourger Parlament. »Wir glauben nicht, dass wir in Brüssel zwei Behörden mit zwei Bürokratien brauchen, die am Ende miteinander im Wettstreit stehen«, meinte auch der EU-Kommissionssprecher Jonathan Faull am vergangenen Donnerstag.

Außer dem dänischen Ministerpräsidenten unterstützt bislang nur der britische Staatssekretär für Europa, Denis Mac Shane, ausdrücklich den Vorschlag aus Berlin und Paris. Damit sei die Furcht, dass Deutschland einen übermächtigen Politiker an die Spitze der EU setzen wolle, endlich vom Tisch, freute er sich.

Doch zumindest in einem anderen Punkt dürfen Chirac und Schröder auf mehr Zustimmung hoffen. So soll es ihrer Ansicht nach künftig einen europäischen Außenminister geben, der sowohl den Rat als auch die EU-Kommission vertritt. Zugleich kündigten sie an, künftig »in internationalen Gremien, einschließlich des Sicherheitsrats, gemeinsame Standpunkte zu vertreten und abgestimmte Strategien gegenüber Drittländern festzulegen«. Neben einer gemeinsamen Verteidigungspolitik wollen die beiden Staaten auch eine europäische Staatsanwaltschaft und eine Grenzpolizei, »die erlauben wird, effizient gegen die heimliche Einwanderung vorzugehen«.

Die plötzliche Betriebsamkeit in der Außenpolitik ist ohne die aktuelle Irakkrise kaum zu erklären. Denn während beide Staaten noch um die Führungsrolle in Europa konkurrieren, müssen sie gleichzeitig eine gemeinsame Haltung gegenüber einem »Drittland«, den USA nämlich, einnehmen. Bereits im vergangenen November, kurz nach dem Nato-Gipfel in Prag, sprachen sich Chirac und Schröder für eine einheitliche europäische Verteidigungspolitik aus. Damals wurde offensichtlich, dass die EU-Staaten militärisch wenig zu melden haben und die strategischen Projekte der USA, wie etwa die Aufstellung der so genannten Nato Response Force, den europäischen Interessen zuwiderlaufen.

Selbst Javier Solana, der EU-Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik, äußerte sich Anfang des Jahres in ungewöhnlich scharfen Worten zum transatlantischen Verhältnis. Unter der Präsidentschaft George W. Bushs, erklärte er in der Financial Times, wachse der »religiöse Einfluss« auf die »unilaterale US-Politik«. Deshalb zeichne sich trotz der Rhetorik über gemeinsame Werte eine »kulturelle Spaltung« zwischen Europa und den Vereinigten Staaten ab, so Solana weiter.

Eine Meinung, die viele in Europa teilen. So sind derzeit rund 80 Prozent der Franzosen nach einer aktuellen Umfrage des Pariser Meinungsforschungsinstituts CSA gegen einen Militäreinsatz, 75 Prozent wollen ihn durch ein französisches Veto im Sicherheitsrat verhindern. In Deutschland liegt die Quote nach einer aktuellen Forsa-Untersuchung sogar bei rund 80 Prozent.

Die deutsche Bundesregierung schloss es mittlerweile aus, im Falle einer weiteren Irak-Resolution im UN-Sicherheitsrat für eine mögliche Intervention zu stimmen. Nun kann sich Schröder zwar weiter als europäischer Gegenspieler der USA präsentieren und eine Position einnehmen, die früher die Grande Nation für sich in Anspruch nahm. Gleichzeitig wäre er aber international weitgehend isoliert und könnte kaum noch Einfluss auf den weiteren Gang der Ereignisse nehmen.

Die Bundesregierung ist daher auf die Unterstützung aus Paris angewiesen, wo man trotz aller Vorbehalte gegen die Pläne der USA eine mögliche Beteiligung an einem Irakkrieg nicht ausschließen will. Wenn die Regierung im Falle einer Intervention »ihr Veto ausspricht oder militärische Unterstützung verweigert«, kommentierte Le Monde am vergangenen Samstag, wäre Frankreich marginalisiert. Es sei nicht ausgeschlossen, dass dann die »Neustrukturierung der Region« ausschließlich in den »Händen der Anglo-Amerikaner« läge, die dann auch die irakischen Ölreserven monopolisieren könnten.

Sollte es demnächst tatsächlich einen europäischen Außenminister geben, könnten beide Staaten davon profitieren. Deutschland wäre in der Lage, seinen Konfrontationskurs gegenüber den USA beizubehalten, ohne sich weiter zu isolieren. Paris könnte sich in Washington als kleineres Übel darstellen und einen höheren Preis für seine Kooperation verlangen. Es ist also kein Zufall, dass sich Schröder und Chirac bei den Feierlichkeiten in dieser Woche besonders gerne an Charles de Gaulle erinnern, den Mann, der den Freundschaftsvertrag mit Deutschland unterzeichnete und Frankreich aus der Nato führte. Am Tag nach den Feierlichkeiten in Paris wollen sie gemeinsam in Berlin ein Denkmal für ihn einweihen.