Ein Organ wird gespendet

Nachdem ein verwirrter Student mit seinem Motorsegler stundenlang über Frankfurt am Main kreisen konnte, fordert Verteidigungsminister Struck den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. von jan süselbeck

Eine klare Rechtsgrundlage« bräuchten deutsche Bundeswehrpiloten, forderte kürzlich die neue Vorsitzende der Grünen, Angelika Beer. Und was eine Verfassungsänderung betrifft, um die Möglichkeiten für Einsätze der Bundeswehr im Inneren zu erweitern, so sagte sie: »Wenn sie nötig werden sollte, hätte ich damit kein Problem.«

Beer stärkte mit diesem Bekenntnis den Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD), der zuvor auf eine verfassungsrechtliche Klärung des Problems gedrängt hatte. In der Zeitschrift Europäische Sicherheit (Ausgabe 1/03) meinte Struck: »Unterscheidungen zwischen äußerer und innerer Sicherheit verschwimmen. Der Kampf gegen äußere Gefährdungen muss auch im Innern geführt werden.«

Was war geschehen? Ein psychisch verwirrter Student hatte Anfang des Jahres einen Motorsegler gekapert, die Bankenhochhäuser von Frankfurt am Main in gefährlicher Nähe umkreist und damit die Angst vor möglichen Angriffen wie am 11. September 2001 in den USA abermals geschürt. Das Flugzeug wurde von zwei Kampfjets der Luftwaffe verfolgt, bis der Mann aufgab. Auch wenn am Ende alles gut ging, war die Aufregung groß.

Nach dem Artikel 35 des Grundgesetzes darf die Bundeswehr nur im Spannungs- oder Verteidigungsfall, zur Amtshilfe für die Bundesländer, bei Naturkatastrophen oder bei besonders schweren Unglücksfällen im Inneren eingesetzt werden. Ein Bundeswehreinsatz in Fällen wie dem in Frankfurt ist nirgends rechtlich erläutert. Struck sagte im WDR: »Mir scheint, dass die Definition des Grundgesetzes, das entweder von einer Katastrophe ausgeht, an deren Beseitigung dann die Bundeswehr beteiligt werden kann, oder von einem Unfall, eine solche Situation, wie wir sie jetzt hatten, nicht betrifft.«

Unzweideutig machte der Minister klar, wer künftig die Entscheidungsbefugnis in solchen Fälle haben sollte: »Ich bin in der Lage zu entscheiden, ob man auch militärisch gegen ein solches Flugzeug vorgeht, aber ich habe den Eindruck, dass es dafür nicht die geeignete Rechtsgrundlage gibt. Und ich lege schon Wert auf Klarheit in dieser Frage. Nicht wegen meines eigenen Interesses, sondern im Interesse unserer Verfassungslage.«

Freuen konnte sich über diesen Vorstoß Strucks vor allem die CDU. Mit ihrer Forderung nach Klarheit in der betreffenden Rechtslage übernahmen Struck und Beer ein Anliegen des stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Schäuble. Die Union wolle seit zehn Jahren eine Gesetzesänderung in dieser Frage, sagte Schäuble im »Morgenmagazin« der ARD. »Und wenn die Regierung jetzt auf den Weg der Vernunft einschwenkt, begrüßen wir das.«

Dem Bundeskanzler Gerhard Schröder schien diese Nähe nicht zu gefallen. Er sei gegen eine Grundgesetzänderung für Einsätze der Bundeswehr im Innern, betonte er. Entsprechende Äußerungen Strucks seien ein »Ausfluss« der Flugzeugentführung in Frankfurt am Main gewesen und nicht der Appell für einen möglichen Inlandseinsatz der Bundeswehr. »Nach meiner Auffassung kann man das auch jenseits einer Grundgesetzänderung regeln. Man braucht sie dazu nicht«, sagte Schröder.

Ähnliches hörte man aus dem Bundesinnenministerium. Die Ereignisse in Frankfurt seien kein Argument für die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung, erklärte ein Sprecher des Ministeriums am Montag der vorigen Woche, »weil jede, auch die ultimative militärische Maßnahme, vom Grundgesetz gedeckt gewesen wäre«.

Auch die FDP zeigte sich gegenüber den neu erhobenen Forderungen »außerordentlich skeptisch«. »Wir wollen nicht eine Bundeswehr als Hilfspolizei bekommen«, sagte ihr Vorsitzender Guido Westerwelle. Anders als Beer blieb er der Tradition seiner Partei treu. Denn als am 30. Mai 1968 der Deutsche Bundestag in Bonn die Notstandsgesetze beschloss, die heute in der Folge des 11. September 2001 womöglich verschärft werden könnten, stimmten 46 Abgeordnete der FDP dagegen. Die Partei war damals, zur Zeit der großen Koalition unter dem Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) und dem Vizekanzler und Außenminister Willy Brandt (SPD), die einzige parlamentarische Opposition.

Sie hatte aber keinen Erfolg. Denn schon damals schien die Legislative verinnerlicht zu haben, was der ehemalige Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU) im Zusammenhang mit einer Abhöraffäre spöttisch betonte: Man könne ja nicht dauernd das Grundgesetz unterm Arm tragen. Kritiker dieser innenpolitischen Reformen fühlten sich an den Artikel 48 in der Weimarer Verfassung erinnert, der es dem Präsidenten und der Exekutive ermöglichte, durch Notverordnungen am Parlament vorbei zu regieren. Mit den bekannten Folgen.

Doch nach dem Vorfall in Frankfurt wird nun die Frage wieder leidenschaftlicher diskutiert, ob es sich Deutschland zukünftig wegen der »asymmetrischen Bedrohung« des internationalen Terrors, wie Struck sie bezeichnet, überhaupt noch länger leisten könne, im Falle eines seinem Ziel entgegenrasenden gekidnappten Flugzeuges erst einmal in aller Ruhe das Gesetzesblatt zu studieren. Solche Szenarien kommen Schäuble und seinen neuen Verbündeten in der rot-grünen Koalition zugute. Trotz der beiden so genannten Sicherheitspakete des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD), die im vergangenen Jahr verabschiedet wurden, steht schon wieder eine Debatte über die innere Sicherheit bevor.

Nach der Einschätzung vieler Juristen können die Notstandsgesetze für einen Einsatz der Bundeswehr bei einem drohenden Terrorangriff aus der Luft kaum herangezogen werden. Zwar ermöglicht der Artikel 87a einen Einsatz im Innern, aber nur unter der Voraussetzung, dass der Bestand eines Bundeslandes oder der Bundesrepublik Deutschland bedroht sei.

Umstritten ist unter den Juristen auch, wer in einem solchen Fall das Kommando habe. Bei der überregionalen Gefahrenabwehr gibt eindeutig der Bund die Befehle. Was aber geschähe, so wird etwa gefragt, wenn ein Land Streitkräfte zur Unterstützung anforderte? Im Grundgesetzkommentar Maunz, Dürig, Herzog ist hier von einer so genannten »Organleihe« die Rede. Die Einsatzleitung bliebe bei der Bundeswehr, also bei Struck.

Der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) will sich dieses Organ jedenfalls auf Dauer »leihen«. »Der Rhein-Main-Flughafen als Luftdrehkreuz in Europa ist besonders gefährdet«, sagte er der Bild-Zeitung und forderte Aufklärungsflüge von Tornados der Bundeswehr zum Schutz des Flughafens. Und auch die »einzigartige Hochhauskulisse« Frankfurts sei schließlich ein Anreiz für Terroristen.