Reise zu den Sternen

Die EU setzt in Bosnien-Herzegowina zum ersten Mal 500 Polizeibeamte im Rahmen ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ein.

Wegen des Schnees in der Stadt trug Javier Solana dick gefütterte schwarze Schuhe. In den Tagen zuvor war in Sarajevo zweimal der Strom ausgefallen, die frostigen Minusgrade sorgten für rutschige Eisteppiche auf den Straßen und Gehwegen.

Schlechte Bedingungen für die vom Stab des außenpolitischen Koordinators der EU so glanzvoll geplante Premiere. Gemeinsam mit dem amtierenden Ratsvorsitzenden der EU, dem griechischen Außenminister Georgius Papandreou, war Solana in der vergangenen Woche in die von dichtem Nebel verhangene bosnische Hauptstadt geflogen, um dort die bereits seit Anfang Januar operierende EU-Polizeimission (EUPM) offiziell zu eröffnen. Die für drei Jahre in dem Nachkriegsland stationierte, 500 Mann starke Polizeitruppe ist die erste Einheit, mit der die Union im Rahmen ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp) außerhalb des EU-Territoriums tätig ist.

Nebel hing auch vor den Fenstern des bosnischen Präsidentenpalastes, als Solana am Mittwochmorgen mit müden Schritten in den großen Saal des bosnischen Präsidentenpalastes stapfte. »Die Europäische Union ist hier, um gemeinsam mit Bosnien die Reise nach Europa anzutreten«, verkündete der nach dem Kosovokrieg als Hoher Repräsentant für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik installierte, damals »Mr. Gasp« getaufte EU-Außenminister routiniert, während sich hinter seinem Rücken der bosnische Präsident Mirko Sarovic gelangweilt die Augen rieb.

Die Ablösung der viel geschmähten Uno-Mitarbeiter mit den weißen Jeeps durch die blau lackierten VW-Passat der EU-Polizeimission und ihre aus den 15 Mitglieds- sowie 18 weiteren Ländern zusammengewürfelten Besatzungen schien Solana nicht wirklich zu interessieren. »Ich bin sehr zufrieden zu sehen, dass sich die Dinge in Bosnien bewegen, dass Sie bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen«, lobte er die Bemühungen der dreieinhalb Millionen Einwohner und ihrer politischen Führung, eines Tages die Bedingungen der EU für den Beginn der Beitrittsverhandlungen zu erfüllen.

Doch immer wieder schielte der serbische Vorsitzende des dreiköpfigen Staatspräsidiums, das seit den Wahlen im vergangenen Oktober von Mitgliedern der drei großen nationalistischen Parteien besetzt ist, hoch an die mit Stuck versetzte Decke.

Sarovic gehört der 1990 von Radovan Karadzic gegründeten Serbischen Demokratischen Partei (SDS) an. Wie für Sulejman Tihic von der muslimisch-nationalistischen Partei der Demokratischen Aktion (SDA) und Dragan Covic, den kroatischen Repräsentanten im Staatspräsidium, der der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) angehört, wird für ihn die Politik weiterhin vor allem von Kategorien der Vergangenheit geprägt und nicht von den wohlfeilen Worthülsen »der gemeinsamen Zukunft in Europa« oder der »baldigen Integration in die Stukturen der Union«, die Solana, Papandreou und der Hohe Repräsentant der EU in Bosnien-Herzegowina, Paddy Ashdown, bei der feierlichen Übernahme der Polizeimission immer wieder gebrauchten.

Noch im vergangenen Jahr pries Sarovic den vom Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen Völkermordes gesuchten Karadzic als »Symbol des Friedens«, und auch der kroatische Vertreter im Präsidium, Covic, fühlt sich den nationalistischen Ideen des vor zwei Jahren verstorbenen HDZ-Gründers und kroatischen Kriegspräsidenten, Franjo Tudjman, mehr verbunden als denen des Leiters der Protektoratsbehörde.

Zwar beherrschen alle drei Präsidenten die von Ashdowns Amt vorgegebene EU-Integrationsrhetorik, doch beim Empfang im hohen Saal des Staatspräsidiums ernteten Solana und Ashdown außer Sarovis Gähnen nur Schweigen für ihre hohl klingenden Verheißungen.

Wie sich die Zeiten ändern können! Für helle Aufregung unter den im hohen Saal des Präsidentenpalastes versammelten Reportern hatte im Winter vor zehn Jahren noch der in Sarajevo sehnsüchtig erwartete Uno-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali gesorgt. 12 000 Menschen waren seit dem Beginn des Krieges in der früheren jugoslawischen Teilrepublik bereits ums Leben gekommen, doch die Bewohner der bosnischen Hauptstadt hatten ihre Hoffnung auf Hilfe von der so genannten internationalen Gemeinschaft nach acht Monaten Belagerung immer noch nicht aufgegeben.

Mit der Ankunft Boutros-Ghalis, der am Silvestermittag 1992 in kugelsicherer Weste das von Granateinschlägen übersäte Gebäude betrat, änderte sich das abrupt. Binnen einer halben Minute verspielte der höchste Uno-Vertreter allen Kredit, den er sich im selben Jahr mit seinen »Agenda for Peace« betitelten Vorschlägen für ein von den Vereinten Nationen geregeltes Zeitalter ziviler Konfliktschlichtung in aller Welt erworben hatte.

»Sie sind in einer Lage, die besser ist als an zehn anderen Plätzen in der ganzen Welt«, versicherte Boutros-Ghali den zahlreich versammelten, fassungslosen Vertretern der Fernsehsender und der internationalen Presseagenturen. Augenblicklich schwadronierte sich der Hoffnungsträger via Bildschirm um die Herzen Tausender Bosnierinnen und Bosnier. »Ich kann Ihnen eine Liste geben von zehn Plätzen, wo sie mehr Probleme haben als in Sarajevo.«

Das blanke Entsetzen der Journalisten im Präsidentenpalast und der Zuschauer zuhause steht stellvertretend für das Misstrauen, das sich die Vereinten Nationen mit ihrer gescheiterten Schutzzonenpolitik während des Krieges erwarben. Hinter den verachteten Repräsentanten der Weltorganisation rangierten höchstens noch die Staats- und Regierungschefs der EU, die aus bosnischer Sicht alles taten, um ihre im Dezember 1991 in Maastricht feierlich besiegelten Prinzipien einer gemeinsamen, an Menschenrechten und friedlicher Konfltikschlichtung ausgerichten Außenpolitik zu verraten.

Wie die Uno scheiterte die EU schon Anfang der neunziger Jahre mit ihrem selbst gesetzten Anspruch, George Bushs nach dem Ende des zweiten Golfkrieges geäußertem Wunsch nach einer »neuen Weltordnung« eigenständige, zivilgesellschaftlich angehauchte Entwürfe entgegenzusetzen. Ohne das diplomatische und militärische Eingreifen der Weltmacht Nummer eins wäre der Bosnienkrieg wohl kaum im Jahr 1995 beendet worden.

Vielleicht ist die Angst vor einer allzu mächtigen EU auch der Grund, weshalb alle Appelle Ashdowns, Solonas und Papandreous nicht geeignet waren, den drei bosnischen Präsidenten am vergangenen Mittwoch das Gefühl zu geben, als gleichberechtigte Partner bei der vorsichtigen Integration in die europäischen Strukturen behandelt zu werden. Auf dem abschließenden Empfang im EUPM-Hauptquartier jedenfalls blieben die Gäste aus Brüssel und ihre in Sarajevo stationieten Polizeibeamten unter sich, während Sarovic, Tihic und Covic den Festakt schnell wieder verließen.

Und noch einer wollte die Gäste lieber früher als später allein lassen: William Ward, der US-amerikanische Oberkommandierende der Bosnien-Schutztruppe Sfor. Möglicherweise wird nämlich schon sein Nachfolger statt der Stars and Stripes die EU-Sterne an den Schultern tragen. Der Wechsel an der Spitze des Sfor-Kommandos als nächster Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Verteidigungspolitik ist seit dem Gipfel in Kopenhagen beschlossene Sache.