Beben auf Beben

Mit ihrer Entscheidung, eine weitere UN-Resolution zuzulassen, dürften die USA die Antikriegsfront im Sicherheitsrat aufbrechen. Russland, das bislang als sicherer Veto-Kandidat galt, ist unsicher geworden. von martin schwarz, wien

Tatsächlich erschütternde Argumente gegen einen Militärschlag gegen den Irak hat ein Wissenschaftler nunmehr in Russland ausgebuddelt. Ein Krieg erhöhe die Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens in der angrenzenden Region. »Die Erde schluckt die enormen Erschütterungen, die durch den Abwurf von Bomben hervorgerufen werden, und gibt sie erst Monate oder Jahre später wieder frei«, meinte Aleksej Nikolajew, ein Seismologe an der Russischen Akademie der Wissenschaften, kürzlich. Ein Irakkrieg habe angesichts des zu erwartenden Militärschlages wohl enorme Folgen für die Unversehrtheit der Erdkruste.

Spürbar weniger erschüttert von solchen Enthüllungen dürfte die russische Regierung sein, auf deren Veto gegen einen Militärschlag im UN-Sicherheitsrat nicht nur Saddam Hussein hofft. Wahrscheinlich vergebens. »Russland ist das schwächste Glied in der Reihe der Staaten im Sicherheitsrat, die gegen einen Militärschlag sind«, sagte der aus Russland stammende politische Experte Victor Gobarev der Jungle World.

Russlands Präsident Wladimir Putin nämlich dürfte jene strategische Inszenierung wiederholen, die sein Vorgänger Boris Jelzin bereits im Kosovo erfolgreich durchstand: zuerst opponieren, dann intervenieren, vor allem zum eigenen Nutzen.

Während eines Besuches in Kiew meinte Putin, die Welt müsse sich »neue Lösungen« überlegen, wenn sich herausstellen sollte, dass »Saddam Hussein die Arbeit der Inspektoren hintertreibt«. Einen noch deutlicheren Hinweis auf das Nachgeben der russischen Regierung im Sicherheitsrat lieferte in der vergangenen Woche Putins Sprecher Sergej Yastrzhembsky. Russland benötige nicht unbedingt eine »smoking gun«, um von einem Veto im Sicherheitsrat abzusehen, eine »gun« alleine täte es auch schon. Die Hemmschwelle in Moskau fällt, die Wahrscheinlichkeit eines Krieges wird also größer.

Dass sich der britische Premierminister Tony Blair und US-Präsident George W. Bush bei ihrem Treffen in der vergangenen Woche zu einer zweiten UN-Resolution durchrangen, die Saddam Hussein nun die allerletzte Chance geben soll, ist indes nicht ohne russisches Zutun passiert. Putin, so sehen es Diplomaten, habe genau darauf gedrängt, um auch seiner eigenen Argumentation treu bleiben zu können, nämlich den Inspektoren noch etwas Zeit zu geben. »Putin bereitet sich auf einen sanften Kurswechsel vor, und der wird vor allem dadurch bestimmt, was er seinem eigenen Volk verkaufen kann«, sagt ein Berater der Regierung Bush.

Ein Verkaufsargument versucht derzeit US-Außenminister Colin Powell für seine russischen Kollegen zu finden, während er sich auf die Präsentation mutmaßlicher Schandtaten der Irakis im UN-Sicherheitsrat vorbereitet: eine direkte Verbindung von Saddam Husseins Regime zu al-Qaida und zu tschetschenischen Rebellen ausfindig zu machen. »Wir sammeln Beweise dafür, dass al-Qaida im Irak operiert und es auch direkte Verbindungen zu tschetschenischen Terroristen gibt. Ich denke, dass das Terrorismusargument im Kreml mehr zieht als alles, was mit Massenvernichtungswaffen zu tun hat«, so der Berater.

Um Russland auf die amerikanische Seite zu ziehen, wird Putin im Laufe des Februar gar mit einer Präsentation amerikanischer Terrorexperten im Kreml bedacht werden. Die Übung könnte gelingen: »Wenn es tatsächlich Beweise für Terrorismus gibt, dann wird das die russische Position ändern«, sagt Michail Margelov, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Duma.

Noch dazu lassen die Statuten des UN-Sicherheitsrates Russland einen durchaus bequemen Ausweg. Statt ein Veto einzulegen oder eine Militäraktion zu befürworten, reicht auch eine Stimmenthaltung aus, um einen entsprechenden US-amerikanischen Antrag auf einen völkerrechtlich halbwegs gedeckten Krieg durchgehen zu lassen.

Freilich haben die US-Amerikaner auch schwierigere Gegner im UN-Sicherheitsrat. »Es gibt in diesem Gremium zwei oder drei Nationen, die Saddam Hussein sogar glauben würden, wenn ihnen Colin Powell eine irakische Chemiewaffe auf den Tisch legt, die US-Spezialeinheiten vorher aus dem Irak mitgebracht hätten«, lästert Admiral Stephen Baker, im ersten Golfkrieg Kommandeur der US Navy im Persischen Golf und nun Militärberater am Washingtoner Center for Defense Information, im Gespräch mit der Jungle World.

Einer dieser aus US-amerikanischer Sicht autistischen Staaten ist zweifellos Syrien. Der Nachbarstaat Iraks ist strikt gegen jede Militärintervention, steht andererseits aber unter dem Druck der USA, weil nach der Jungle World vorliegenden Informationen die Regierung Bush noch immer Hinweisen nachgeht, nach denen der Irak Teile seines mutmaßlichen illegalen Arsenals an Massenvernichtungswaffen im vergangenen Jahr nach Syrien ausgelagert haben soll; eine Behauptung, die bereits Israels Premier Ariel Sharon am Ende des letzten Jahres aufstellte.

Nun ist Syrien um Schadensbegrenzung bemüht. Vor einigen Tagen empfing Syriens Präsident Bashar al-Assad den US-amerikanischen Unterstaatssekretär William Burns, um ihm erneut zu versichern, wie »frustriert« Syrien wegen der Kriegsvorbereitungen sei. Zwar wird Syrien gegen einen Angriff stimmen, was aber letztlich unwichtig ist, weil das Land als nicht ständiges Mitglied kein Vetorecht hat.

Auch die Planungen für den »Tag danach« dürften derzeit ganz nach dem Geschmack der Vereinigten Staaten verlaufen. Die irakische Opposition scheint sich endgültig von ihrer sektiererischen Zerstrittenheit verabschiedet zu haben. »Was uns trennt, sind einfach politische Meinungsverschiedenheiten, wie es sie in jedem anderen Land gibt. Bei uns existieren eben auch Liberale, Nationalisten, Sozialisten. Das ist normal«, sagte der ehemalige irakische Außenminister und nunmehrige Oppositionelle Adnan Pachachi am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos.

Dort nämlich hatte sich die Prominenz der noch nicht Mächtigen Iraks zusammengefunden, um schon mal Bande zu politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern des Westens zu knüpfen. Selbst eine üppig ausgestattete Cocktailparty schmissen die Herren – und ordneten auch gleich das Ölgeschäft im Irak neu. »Natürlich wollen wir Vertreter der Ölindustrie treffen, aber natürlich nicht konkret verhandeln. Wir wollen aber nach dem Sturz Saddam Husseins alle Ölverträge der letzten zehn Jahre durchsehen und auf ihre Gültigkeit überprüfen«, kündigte Adil Abdul Mahdi an. Er ist der Präsident des schiitischen »Obersten Rates der Islamischen Revolution«.

Eines steht jetzt schon fest. Die Opposition möchte die Ölreserven Iraks neu verteilen. Auch Frankreich, Russland und China sollen mit neuen Verträgen bedacht werden, nicht nur die USA. Womit die Front der Vereinten Nationen endgültig aufzubrechen verspricht. Öl, das stellt sich nun heraus, ist nicht der entscheidende Grund für einen US-amerikanischen Militärschlag, aber wahrscheinlich ein guter Grund für die Zustimmung anderer Staaten.