Billig und weit weg

Türkische Flüchtlingscamps von boris kanzleiter

Wenn es um die erwarteten Flüchtlinge aus dem Irak geht, sind sich die Regierungen in der EU trotz aller politischen Zerwürfnisse einig. Sogar mit dem ungeliebten Beitrittskandidaten Türkei. Menschen, die aus Gebieten flüchten, die bombardiert werden, sollen möglichst noch vor der türkischen Grenze in der kurdischen Autonomiezone im Nordirak gestoppt werden. Falls nötig, auch mit militärischer Gewalt.

Nach einem Treffen mit dem griechischen Außenminister Giorgos Papandreou erklärte sein türkischer Amtskollege Yasar Yakis in der vergangenen Woche, »türkische Truppen« könnten »mit humanitären Absichten in den Irak gehen, um das Eindringen von Flüchtlingen zu verhindern«.

Die Vorbereitungen dafür haben schon begonnen. Die Hilfsorganisation Red Crescent errichtet nach eigenen Angaben im kurdischen Nordirak derzeit elf Camps, die von der türkischen Regierung ausgestattet werden. Die türkischen Behörden hätten außerdem ein System zur »Identifikation und Einquartierung« der Flüchtlinge entwickelt. Falls es einigen Irakern dennoch gelingen sollte, die Grenze zu überqueren, warten auch auf türkischer Seite bewachte Camps.

Das türkisch-irakische Grenzgebiet könnte so zu einem riesigen Versuchsgelände für das seit dem Kosovokrieg in der EU diskutierte Konzept einer »vorverlagerten Flüchtlingsabwehr« werden. Statt die Flüchtlinge bis in die EU kommen zu lassen, sollen sie gemeinsam von humanitären Organisationen und dem Militär möglichst nahe am Krisenort festgesetzt werden. Von dort aus können sie dann weitaus billiger und schneller in ihre verwüsteten Herkunftsorte zurücktransportiert werden, als wenn sie bereits die Grenze zu den Mitgliedsländern der EU überquert hätten.

Günstig sind die Bedingungen zur »vorverlagerten Flüchtlingsabwehr« vor allem deshalb, weil die türkische Regierung ein außerordentliches Interesse daran hat, die halbe Million flüchtender Iraker, die erwartet wird, zu kontrollieren. Sie fürchtet, dass mit den Flüchtlingen auch Mitglieder der ungeliebten kurdischen Organisationen die Grenze überqueren könnten.

Unklar ist, wie das Flüchtlingselend diesmal in den Medien verarbeitet wird. Kommt es zu einer Neuauflage des TV-Flüchtlingsdramas von 1999, als das wochenlang zelebrierte Leiden aus dem Kosovo fliehender albanischer Frauen und Kinder den Deutschen die Tränen in die Augen trieb, bevor die Abschiebungen fortgesetzt wurden? Oder dürfen die irakischen Flüchtlinge nur ein paar Tage auf der Mattscheibe erscheinen, wie mehrere Millionen flüchtender Afghanen, von denen man seither nichts mehr hörte? Hunderttausend Flüchtlinge, die es in die EU geschafft haben, sollen in den nächsten Monaten abgeschoben werden.

Falls es wieder zu TV-Galas zu Gunsten von Flüchtlingen kommen sollte, wäre die Spendenbereitschaft wahrscheinlich am größten, wenn man den Zuschauern klipp und klar erklärte, dass ihr Geld für die militärische Bewachung von Flüchtlingscamps verwendet wird, damit deren Insassen nicht in die EU kommen. So kann die Genugtuung der Zuschauer, geholfen zu haben, mit der Verteidigung Europas gegen Kriegsflüchtlinge zusammengebracht werden. Auf diese Weise könnte der Irakkrieg trotz aller Zerwürfnisse vor seinem Beginn vielleicht doch noch eine »europäische Verteidigungsidentität« stiften.