Dabei sein ist nicht alles

Nur eine knappe Mehrheit der Polen ist für den Beitritt des Landes zur EU. von martin schwarz, wien

Manchmal kann man sich seine Freunde nicht aussuchen. Weil ihn das »alte Europa«, also Frankreich und Deutschland, in den letzten Wochen bitter enttäuschte, wandte sich US-Präsident George W. Bush Mitte Januar demonstrativ den künftigen Mitgliedern der EU im östlichen Europa zu.

Als der polnische Präsident Alexander Kwasniewski in Washington zu Gast war, begrüßte Bush ihn sogar mit den Worten, Polen sei »der beste Freund, den wir in Europa haben«. Immerhin unterstützt Polen bedingungslos einen Angriff der USA auf den Irak und steht der britischen Regierung, die sich an einem Militärschlag gegen Saddam Hussein beteiligen will, um nichts nach.

Im Weißen Haus scheint man sich an die neuen EU-Mitgliedsstaaten zu halten, wenn es darum geht, die eigenen Interessen auch gegen den Willen des »alten« Europa durchzusetzen. Für die EU bedeutet das, dass sie sich bei künftigen Konflikten eventuell nicht auf eine einheitliche außenpolitische Position festlegen kann.

Dabei spielt Polen als größtes der künftigen EU-Mitglieder eine besondere Rolle, und die Regierung in Warschau weiß auch um ihren Einfluss in der Gruppe der zehn Staaten, die im nächsten Jahr der Union beitreten werden.

»Wenn sich die Polen beim Referendum im Juni 2003 gegen einen Beitritt entscheiden oder die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent fällt, wird das auch das Stimmungsbild in anderen Staaten verändern«, sagt Helle Hagenau, die Generalsekretärin der norwegischen Anti-EU-Bewegung, der Jungle World.

Eine Woche nach dem polnischen Referendum am 8. Juni werden sich auch die Tschechen für oder gegen einen Beitritt entscheiden müssen. Der Ausgang dieser Abstimmung ist alles andere als sicher. Nur 51 Prozent der Bevölkerung sind nach neuesten Umfragen dafür.

Polen hat sich in den letzten Monaten als harter Verhandlungspartner gegenüber der EU erwiesen. Insbesondere möchte die Regierung in Warschau den moralischen Verfall aufhalten, der nach der Meinung vieler Polen aus dem Westen zu kommen droht. So gestalten sich derzeit die Beitrittsverhandlungen vor allem wegen der Frage des Abtreibungsrechts sehr schwierig.

In dem katholischen Land sind Abtreibungen im Gegensatz zur liberaleren Rechtslage der meisten EU-Staaten nur gestattet, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist oder das ungeborene Kind mit schweren körperlichen oder geistigen Schäden zur Welt kommen würde.

Das soll auch im Falle eines EU-Beitrittes so bleiben, das nationale soll in diesem Fall über das europäische Recht gestellt werden. Auf diese Weise versucht die Regierung, für den Beitritt zu werben. Ein solcher Vorstoß »wird es unmöglich machen, viele Polen mit der Vorstellung irrezuführen, ein EU-Beitritt könnte auch Fragen der Moral und des Schutzes des Lebens berühren«, meinte ein Sprecher der polnischen Regierung.

Im Warschauer Sejm, dem Unterhaus des polnischen Parlaments, fordern einige Parteien sogar, eine Art moralische Entwicklungshilfe für den Westen zu leisten. Die oppositionelle rechte Partei für Recht und Gesetz (PiS), die in der Hauptstadt immerhin den Bürgermeister stellt, empfahl vor kurzem ihren Wählern, für den Beitritt zu stimmen. »Polen sollte nach einem Beitritt zur EU eine neue europäische Politik begründen, die auf christlichen Werten basiert«, meinte der Parteivorsitzende, Jaroslaw Kaczynski.

Andere Parteifunktionäre der PiS fürchten hingegen eine »kulturelle Homogenisierung«, die zu einer »Dechristianisierung« des Landes führen könnte.

Solche Überlegungen stimmen auch die katholische Kirche skeptisch. Von allen Berufsgruppen ist unter den katholischen Priestern die Ablehnung des EU-Beitritts am weitesten verbreitet. Vor vier Jahren waren noch 84 Prozent der Geistlichen dafür, jetzt sind es nur noch 59 Prozent.

Das katholische Kirchenoberhaupt Polens, Kardinal Jozef Glemp, wiederum weigert sich bis heute, eine Empfehlung auszusprechen. Die Union sei schließlich nur eine »technische Bezeichnung«, gleichwohl befürworte die Kirche aber die »europäische Integration im Allgemeinen«. In den Wochen vor dem Referendum im Juni werden die Priester die Stimmung in der Bevölkerung wesentlich beeinflussen. Was sie von den Kanzeln predigen, ist für viele Polen immer noch verbindlich.

Zu diesen Konflikten kommen noch die enormen Probleme im Agrarbereich. Jeder fünfte Pole arbeitet zwar in der Landwirtschaft, doch im Bruttoinlandsprodukt schlägt sich dieser große Anteil kaum nieder, nur fünf Prozent werden hier erwirtschaftet. Die EU-Kommission schlug nun dem polnischen Premierminister Leszek Miller vor, Subventionen an landwirtschaftliche Betriebe von deren Produktivität abhängig zu machen.

Miller kann und darf das nicht dulden, denn wenn er diesem Vorschlag zustimmt, ist er seinen Koalitionspartner, die polnische Bauernpartei (PSL), los. Die Partei kündigte an, die Koalition zu verlassen, wenn Miller die Vorschläge aus Brüssel akzeptiere und die polnischen Bauern zu »Landwirten zweiter Klasse« degradiere.

Ein Ausstieg der Bauernpartei aus der Koalition würde den Beitrittsgegnern vermutlich die nötige Unterstützung bringen, um das Referendum scheitern zu lassen. In den ländlichen Regionen ist die Mehrheit bereits jetzt gegen einen Beitritt. Während sich auf dem Land nur 27,5 Prozent für die EU aussprechen, sind es in den Städten derzeit 83,8 Prozent.

In Polen gibt es das größte Stadt-Land-Gefälle unter allen zehn neuen EU-Mitgliedern. Die Meinungsforscher rechnen zwar mit einem knappen Ja für den Beitritt. Aber dafür wird die Union einen hohen wirtschaftlichen und politischen Preis zahlen müssen.