Friede den Kinosälen

Die Berliner Filmfestspiele 2003 beginnen. Das Kino soll repolitisiert werden. von jürgen kiontke

Dieses Jahr werden die Berliner Filmfestspiele politisch. Mit dem Festival-Slogan »Towards Tolerance«, hin zur Toleranz, will man vom 6. bis zum 16. Februar zeigen, dass »ein Wettbewerb mit Künstlern aus aller Welt friedlich ablaufen kann«, so der Leiter der Berlinale, Dieter Kosslick. Und weiter: »Wir halten das für eine Alternative zu anderen Methoden, wie man sich auf der Welt durchsetzen kann.« Eine weitere Weisheit kam dann letzte Woche anlässlich der öffentlichen Präsentation des Programms noch hinterher (geschossen): »Schieße Filme, nicht Menschen!«

Dass man bei einem internationalen Kultur-Event heutzutage nicht mehr davon ausgeht, dass die Leute sich nicht gegenseitig umbringen und deswegen Love-Parade-artige Parolen zu benötigen glaubt, sagt ja allerhand darüber aus, wo wir stehen. Vielleicht steckt dahinter die Ahnung, dass der Film im Zusammenhang mit dem Krieg heute eine Sonderstellung einnimmt. Denn nicht wenige Medienkritiker fragen sich, welche Rolle bitte schön einer Kulturtechnik zukommt, deren Dramaturgie, Erzähllogik und suspense-Struktur Kriege beeinflussen und deren Verlauf zu bestimmen scheinen.

Dass sich die maßgeblichen Kräfte in den USA und in verbündeten Staaten bei der Vorbereitung kriegerischer Handlungen bzw. der Berichterstattung bei bereits stattfindenden Einsätzen am Hollywood-Kino orientieren, ist spätestens seit dem Kosovokrieg offenkundig. Das Medium der Gefühle ist aufs Engste mit den Strategemen der Macht verbunden.

Und nicht nur das. Auch die offiziellen Feinde haben das Medium zu schätzen gelernt. Einer der erfolgreichsten Darsteller des Spartenmediums Video ist bekanntlich Usama bin Laden, der wiederum bereits einen Gastauftritt in einem Videoclip des Rappers Eminem hatte.

Nicht nur Prominente, sondern auch Schüler mit Tendenzen zum Amoklauf wie Robert Steinhäuser sollen sich an Filmgut kriegsmäßig geschult haben. Aktuellster Fall: In den USA haben zwei Brüder nach Angaben der Polizei gestanden, ihre Mutter getötet und die Leiche nach dem Vorbild einer Episode der Fernsehserie »Die Sopranos« zerstückelt zu haben. »Die Leiche ihrer 41jährigen Mutter war bereits Mitte Januar mit abgetrenntem Kopf und abgetrennten Armen am Rande einer Straße gefunden worden. Die Leichenteile wurden in der Wohnung der Frau in Riverside bei Los Angeles gefunden. Die Mafia-Serie ›Die Sopranos‹ läuft in den USA mit sehr großem Erfolg«, verkündet uns eine Nachrichtenagentur.

Wie wichtig also das Medium Film mittlerweile auch im Erziehungssektor ist, wird hier deutlich. Kosslick tut also gut daran, sein Filmfest zu repolitisieren, schließlich soll es eine friedliche Berlinale werden.

Doch gemach: Beim Thema Politik stehen in diesem Jahr erst mal Hans Eichel, der Vertrag von Maastricht über die jährliche Neuverschuldung nicht über drei Prozent sowie der Senat der Filmstadt Berlin Pate. Denn die Berlinale muss auch sparen.

Das Filmfest ist einen, eigentlich zwei Tage kürzer und im Vergleich zum letzten Jahr werden 80 Filme weniger gezeigt. Die allgemeine Flaute schlägt sich auch hier nieder. Man bräuchte eigentlich die Privatwirtschaft, aber sie hat auch erst mal kein Geld. Wenn sie sich wider Erwarten doch als spendabel erweist, ist sie natürlich fleißig zu preisen. So nahm die Aufzählung der insgesamt 28 Sponsoren bei der Pressekonferenz zur diesjährigen Berlinale wahrscheinlich mehr Zeit in Anspruch als die Präsentation des gesamten Programms.

Von 300 in diesem Jahr gezeigten Filmen kommen 59 aus Deutschland. Heinz Badewitz, Leiter der Sparte German Cinema, meint: »So viele wie nie zuvor!« Das hat er letztes Jahr auch gesagt, da waren es 61. Badewitz weiter: »Der deutsche Film muss nach vorne und die Welt erobern!« Das ist nun eine echt politische Aussage, und man ist gespannt, wie denn das neue Welteroberungsprogramm aussehen wird.

Ein paar Neuerungen gibt es auch. So findet im Haus der Kulturen der Welt ein »Talent Campus« statt, ein gehegtes Projekt des ehemaligen Filmförderers Kosslick. Junge Filmschaffende treffen alte Filmschaffende, hauptsächlich im Bereich der Mini DV-Technik. Außerdem fahren die Stars jetzt Phaeton von VW und nicht mehr Benz, die Berlinale schreibt sich jetzt mit »!« hinter dem e, der schwullesbische Teddy Award heißt jetzt »schwul-lesbisch-transidentischer Filmpreis«, damit auch keiner vergessen wird.

Kosslick legt neben deutschen Produkten Wert aufs Migrantenkino und aufs Thema Völkermord, es geht also um die, die man nicht sieht. »Babi Jar«, ein ambitioniertes Projekt des Produzenten Artur Brauner über den Massenmord an 30 000 Juden, sowie »Ararat« des Jury-Präsidenten Atom Egoyan über die Vertreibung der Armenier durch die Türken, stehen auf dem Programm.

Samt dem üblichen Kleinkram wie die »Die Kinder von Golzow«-Film-Dauerwürste von Winfried und Barbara Junge; Doris Dörrie; der lustige Film »Good bye, Lenin« von Wolfgang Becker, in dem die Mama die Wende verschlafen hat, und der voll »mit köstlichem Witz und zum Schreien komisch« (Bild) ist. The same as every year also, viel russisches Kino, die kluge Doku über die Familie des Martial-Arts-Stars Jackie Chan, und etwas linke Filmgeschichte: Oliver Stone, der alte Haudegen, war für 90 Minuten Filmmaterial beim alten Haudegen Fidel Castro und bringt das Ergebnis mit nach Berlin.

Obwohl gespart wurde, gibt es von einer Sache mehr denn je: rote Teppiche. Deren werden drei ausgelegt. Kein Wunder, im Wettbewerb knallt es richtig. Clooney kommt und gibt sein Regiedebüt mit »Confessions of a Dangerous Mind«. Außerdem ist er als Hauptdarsteller in Steven Soderberghs Science-Fiction-Film »Solaris« zu sehen. In »Adaptation« von Spike Jonze spielen Nicolas Cage und Meryl Streep mit und als Eröffnungsfilm wird das außer Konkurrenz laufende amerikanische Musical »Chicago« mit – du lieber Gott! – Richard Gere, Catherine Zeta-Jones und Renee Zellweger gezeigt, die alle auch persönlich anwesend sein wollen. Als Rausschmeißer kommt dann noch Martin Scorseses neues Werk »Gangs of New York«, bestes Migrationskino und ein Kriegsfilm, der mit einem Aufs-Maul-Faktor von zehn dem Festivalmotto Hohn und Spott zollt.

Leinwandsterne wie Dustin Hoffman und Macauley Culkin, der schreckliche Kevin, kommen ebenfalls und machen weitere Auslegeware notwendig. Ein roter Teppich liegt sogar wieder vor dem Zoopalast. Das ist dann wieder wie vor 1989, als die Berlinale noch ein westliches Instrument in der Konfrontation der Blöcke war. Und schon fühlte sich Kosslick während seiner Pressekonferenz in Gedanken an den 24. Parteitag der KPdSU erinnert. So langweilig ging es zumindest bei ihm zu.

Ist das alles bereits ein Anzeichen für eine Sehnsucht nach einer neuen, alten Ordnung? Wo die USA ja auch wie früher wieder mit Atomwaffen drohen, wie weiland, als die Mauer noch stand.