Wer solche Freunde hat

Nach der Solidaritätsadresse acht europäischer Regierungschefs an die USA ist der Konflikt um die transatlantische Allianz in der EU offen ausgebrochen. von anton landgraf

Wenn der polnische Ministerpräsident Leszek Miller am Mittwoch dieser Woche in Washington den US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush trifft, könnte er ein zweifelhaftes Angebot erhalten. Die Regierung der USA überlege derzeit, berichtete in der vergangenen Woche die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita aus Warschau, einige ihrer militärischen Stützpunkte aus Deutschland nach Osten zu verlegen. Diese Überlegung gebe es zwar schon seit längerem, schrieb auch die linksliberale Gazeta Wyborca. Doch nachdem der Konflikt zwischen den USA und Deutschland eskalierte, werde sie wieder aktuell.

Dass der polnische Ministerpräsident derzeit die besondere Gunst Washingtons genießt, liegt vor allem an einem Appell, den Miller in der vergangenen Woche gemeinsam mit sieben weiteren europäischen Regierungschefs zur Unterstützung der USA und ihrer Irakpolitik veröffentlichte. »Europa und Amerika müssen zusammenstehen«, fordern die Ministerpräsidenten José María Aznar (Spanien), Silvio Berlusconi (Italien) und Tony Blair (Großbritannien). Aber auch die Regierungen von Portugal, Dänemark, Tschechien und Ungarn unterstützen den Aufruf, der unter anderem im Wall Street Journal und in der Times erschien.

»Das irakische Regime und seine Massenvernichtungswaffen sind eine klare Bedrohung für die Weltsicherheit«, heißt es darin weiter. »Gemeinsam müssen wir darauf bestehen, dass sein Regime entwaffnet wird.« Am vergangenen Freitag schlossen sich auch Slowenien und die Slowakei den Unterzeichnern an.

Mit dem Appell, der von Blair und Aznar initiiert wurde, habe man »keine Spaltung der EU beabsichtigt«, entgegnete der britische Regierungssprecher Alistair Campbell auf den Vorwurf, dass die Unterzeichner die Regierungen in Paris und Berlin nicht vorher informiert hatten.

Seine Einschätzung teilen allerdings nicht alle in der Union. Es sei »in höchstem Maße bedauerlich, skandalös und unsolidarisch«, dass nicht einmal die griechische EU-Ratspräsidentschaft von den »übereifrigen Briefeschreibern« informiert worden sei, meinte der luxemburgische Ministerpräsident Jean Claude Juncker. In seinem Eifer vergaß er allerdings zu erwähnen, dass bislang vor allem der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder als Spezialist für Alleingänge galt.

So sprach sich Schröder bereits Mitte Janur in einer Wahlkampfrede unmissverständlich gegen eine Intervention aus, unabhängig davon, was der UN-Sicherheitsrat beschließe. Abgesehen von Frankreich, hatte er zuvor die anderen EU-Staaten nicht konsultiert. Selbst der sozialdemokratische Außenpolitiker Hans Ulrich Klose räumte ein, dass das Vorgehen der Bundesregierung eine solche Reaktion herausgefordert habe. Auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler meinte, der offene Brief sei als »Warnsignal« und als »Retourkutsche für den Alleingang Deutschlands und Frankreichs in der Irakfrage« zu verstehen.

Im »alten Europa« ist man daher bemüht, die Bedeutung des Aufrufs herunterzuspielen. Während Frankreich darauf verweist, dass ihn nur eine Minderheit der EU-Staaten unterstütze, betonte ausgerechnet ein Sprecher in Berlin, dass sich die deutsche Regierung mit den Unterzeichnern in vielen Punkten einig sei. Den Umstand, dass wohl noch nie in der Geschichte der Union ein politischer Konflikt in Form von Zeitungsanzeigen ausgetrage wurde, übergingen beide geflissentlich.

Die griechische Regierung hat für Mitte Februar ein Treffen der EU-Außenminister vorgeschlagen, an dem auch die Nachbarstaaten des Irak teilnehmen sollen. Das Treffen könnte die letzte Chance sein, eine gemeinsame Position gegenüber einer möglichen militärischen Intervention zu finden.

Bevor sich die Minister darauf verständigen, müssen sie allerdings eine andere Frage klären. Denn in der Debatte geht es weniger um einen möglichen Krieg als um das Verhältnis zwischen den Europäern und den USA. Und spätestens seitdem Bundeskanzler Gerhard Schröder und Staatspräsident Jacques Chirac einen gemeinsamen Vorschlag für eine EU-Verfassung präsentierten, fürchten viele der kleineren Mitgliedsstaaten, von einem deutsch-französischen Kerneuropa dominiert zu werden.

Die östlichen Beitrittsstaaten sehen daher in ihrer Unterstützung für die USA das beste Mittel, um sowohl mögliche Ambitionen der alten Hegemonialmacht Russland wie auch einen allzu großen deutschen Einfluss abzuwehren. Schließlich hält sich die Begeisterung über Schröders »deutschen Weg« in Polen und in Tschechien in Grenzen.

Auch die südlichen Länder wie Spanien, Italien und Portugal sehen ihre Interessen von einer deutsch-französischen Vormacht bedroht. Neben einem Kerneuropa, das sowohl ökonomisch wie demografisch die Union dominierte, hätten diese Staaten künftig nicht mehr viel zu melden. Die Solidaritätsadressen an die USA dienen daher vor allem dazu, mit deren Hilfe ein Gegengewicht zur Achse Berlin–Paris zu bilden.

Dabei ist die Frage, wie die Europäer zu den Amerikanern stehen, so alt wie die Union. Bereits in den fünfziger Jahren stritten sich Gaullisten und Atlantiker darüber. Die französische Regierung forderte damals, dass sich Europa als »dritte Kraft« neben den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion etabliere, während Deutschland sich an die USA hielt. Um mehr als nur eine »Sonderrolle« in Europa zu spielen, benötigte der französische Staatspräsident Charles de Gaulle die deutsche Unterstützung, die aber bis zum Ende des Kalten Krieges nicht zu haben war. So kam der deutsch-französische Freundschaftsvertrag von 1963 erst zustande, als der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer eine Präambel über die transatlanische Allianz einfügte.

Doch seitdem das vereinte Deutschland seine volle Souverenität erlangte und seine »nationalen Interessen« wieder unbekümmert artikulieren kann, haben sich die Voraussetzungen geändert. Mit dem politischen Schulterschluss zwischen Deutschland und Frankreich anlässlich der Feierlichkeiten zum Elysée-Vertrag (Jungle World, 5/03) vor zwei Wochen ist der alte Dissens wieder aktuell.

Nun tauchen im »alten Europa« auch die alten Ressentiments wieder auf, die jahrzehntelang ohne Bedeutung blieben. »Heute erst fühle ich mich, nach mehreren Amerika-Besuchen, wieder als frisch gebackener Europäer«, schrieb der deutsche Büchner-Preisträger Durs Grünbein in der vergangenen Woche im Spiegel. »So geht einem die Lieblichkeit der Lagunenstadt Venedig erst so richtig auf, nachdem man etwa Las Vegas gesehen hat, die aufgedonnerte Hure unter den Städten der Neuen Welt.«

Während sich deutsche Intellektuelle schon für den kommenden transatlantischen Kulturkampf rüsten, betrachten die Verbündeten in Paris den Konflikt deutlich nüchterner. »Man kann nicht ausschließen, dass das Regime von Saddam Hussein militärisch beseitigt wird«, sagte der französische Außenminister Dominique de Villepin in der vergangenen Woche und deutete damit an, dass sich sein Land alle Optionen offen hält.

»Wenn Frankreich am Ende ›Ja‹ sagt im Sicherheitsrat«, in dem Deutschland seit dem vergangenen Wochenende den Vorsitz übernommen hat, »dann stimmen dort nur Syrien und Deutschland mit ›Nein‹«, kommentiert Le Monde. »Das ist jetzt Schröders Alptraum.« Der französische Flugzeugträger »Charles de Gaulle« steht jedenfalls für einen Einsatz schon bereit.