Der Sonnenkönig des Fernsehens

Der italienische Premierminister bestimmt über die öffentlich-rechtlichen Kanäle. Das ist eine große Hilfe für seine Privatsender. von wibke bergemann

Etwa eine Million Italiener gingen in Rom am vergangenen Samstag gegen den drohenden Irakkrieg auf die Straße. Doch die Kundgebung war im italienischen Fernsehen nur in den Nachrichtensendungen zu sehen. Eine Programmänderung für eine umfangreiche Berichterstattung über die Demonstration, wie sie Friedensaktivisten mit Unterschriftenlisten und auch einige Chefredakteure gefordert hatten, gab es nicht. Zur Begründung erklärte der Generaldirektor des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Agostino Saccà, im Parlament finde gleichzeitig eine Abstimmung über einen möglichen Irakkrieg statt. Man wolle jede Art von Druck auf die Abgeordneten vermeiden.

So viel Rücksichtnahme auf die Politik ist bei der öffentlich-rechtlichen Radiotelevisione Italiana (Rai) fast schon zur Normalität geworden, seit vor einem Jahr der Verwaltungsrat ausgewechselt wurde. Das vierjährige Mandat des obersten Aufsichtsgremiums lief im Februar 2002 aus und wurde wie üblich mit fünf neuen Mitgliedern – drei aus dem Regierungslager und zwei aus der Opposition – besetzt. Außerdem wechselten die Programmdirektoren, und viele neue Chefredakteure wurden eingesetzt.

Die Parteibuchwirtschaft ging so weit, dass mit der Programmleitung von Rai-Uno und Rai-Tre zwei ehemalige Abgeordnete der Forza Italia bzw. der Lega Nord betraut wurden. Der neue Generaldirektor Agostino Saccà verkündete vorsichtshalber gleich zu seinem Amtsantritt, dass nicht nur er, sondern sogar seine ganze Familie die Forza Italia von Premierminister Silvio Berlusconi wählt. Dennoch sei sein einziges Ziel der Erfolg der Rai. Auch der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Antonio Baldassarre, behauptete damals, dass er sich niemals dem politischen Druck beugen oder womöglich im Interesse von Berlusconis Medienunternehmen Mediaset arbeiten würde.

Dennoch sind seit ihrem Amtsantritt bereits drei unbequeme politische Sendungen aus dem Programm gestrichen worden: der tägliche politische Kommentar »Il Fatto« des 82jährigen Enzo Biagi, eines Urgesteins des italienischen Journalismus, mit manchmal acht Millionen Zuschauern, so die wöchentliche Dokumentations-Serie »Sciuscià« von Michele Santoro sowie Daniele Luttazzis Satiresendung »Satyricon«. Angeregt zu diesem Schritt hatte der Premierminister persönlich. Auf einer Pressekonferenz erklärte er, die drei Serien hätten das öffentlich-rechtliche Fernsehen auf kriminelle Weise missbraucht. Der neue Verwaltungsrat müsse verhindern, dass dies weiterhin geschehe.

Lediglich einige Monate brauchten die Verantwortlichen, um der Forderung des Regierungschefs nachzukommen. Für den Redakteur Santoro ist »die Rai zu einer hierarchischen Struktur verkommen, die direkt vom Premierminister abhängt«. Das Angebot der Rai, seine Sendung unter der Bedingung fortzusetzen, sich nicht mehr mit aktuellen Themen zu beschäftigen, lehnte er ab.

Wie sehr der neue Generaldirektor ein Vasall des Premierministers ist, zeigte sich spätestens, als er im Oktober die Ausstrahlung von vier Teilen der allabendlichen Satiresendung »Blob« verhinderte, die ausschließlich Berlusconi gewidmet waren. Eine inhaltliche Erklärung für seine Entscheidung gab Saccà nicht, er ließ lediglich wissen: »Das ist keine Zensur.«

Wen der Generaldirektor nicht entlässt, den sucht er einzuschüchtern. So wurde der Autor einer Satiresendung im Dezember für drei Tage suspendiert. Mit einer Parodie auf Wirtschaftsminister Giulio Tremonti habe er eine Klage gegen den Sender riskiert, lautete die Begründung. Anfang des Monats wurde das Videoband einer weiteren Satiresendung beschlagnahmt, die ein montiertes Interview mit Berlusconi gezeigt hatte, in das die Fragen nachträglich hineingeschnitten worden waren. Der linken Tageszeitung il manifesto zufolge soll sich Berlusconi persönlich bei Saccà beschwert haben. Über das weitere Vorgehen gegen die Autoren will der Verwaltungsrat entscheiden.

Dass der Premierminister versucht, die öffentlich-rechtlichen Fernsehkanäle vollständig unter seine Kontrolle zu bekommen und zu einer Art Außenstelle der Regierung auszubauen, ist nicht neu. Das haben auch einige seiner Vorgänger wie Bettino Craxi und Giulio Andreotti versucht. Doch derzeit besteht in der italienischen Medienlandschaft eine unvergleichliche Ausnahmesituation. Denn nun ist es der Eigentümer der größten privaten Konkurrenz, der das Sagen über die öffentlich-rechtlichen Sender hat.

Seit dem Führungswechsel geht es mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen bergab. Kontinuierlich verliert die Rai Zuschauer an Berlusconis drei Privatsender. Ihr Quotenvorsprung vor dem größten der drei Sender, Canale 5, ist nur noch gering. Das gilt ebenso für die so beliebten Varietee-Shows wie für politische Sendungen. Selbst die traditionell wichtigen 20-Uhr-Nachrichten im ersten Rai-Programm liegen mittlerweile mit einem Marktanteil von rund 32 Prozent knapp hinter den Berlusconi-Nachrichten Tg5 mit 34 Prozent.

Was sich seit dem vergangenen Jahr bei der Rai abspielt, gleicht eher einer langsamen Demontage als einem Weg zu neuen Quoten. Für die Rai Fiction wurde ein Produktionsstopp verhängt. Seit dem vergangenem Sommer wurden keine neuen Aufträge mehr vergeben. Die Werbeabteilung war monatelang ohne Führung. Neue Marketing-Chefin ist nun Deborah Bergamini, die ehemalige persönliche Assistentin Berlusconis. Was eine Kommentatorin in der liberalen Tageszeitung La Repubblica zu dem Vergleich bewegte, das sei, als betraue man die Sekretärin von Bill Gates mit der Werbestrategie von Apple.

Die Rai wird zum Opfer des Interessenkonflikts, der mit der Wahl des Unternehmers und Medienmagnaten Berlusconi zum Regierungschef entstanden ist. In seinen Händen konzentriert sich seitdem eine politische, ökonomische und mediale Macht, die mit der Idee der Demokratie nichts mehr zu tun haben dürfte. Nach seiner Wahl im Mai 2001 versprach Berlusconi, dieses »kleine Problem« innerhalb der ersten hundert Tage zu lösen.

Inzwischen scheint diese Frage völlig vergessen. Die Regierung kümmert sich um Berlusconis private Schwierigkeiten mit der Justiz, die Opposition schweigt. Eine Gesetzesvorlage, nach der eine Aufsichtsbehörde dafür sorgen soll, dass der Regierungschef nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse handelt, verstaubt in der Schublade. Doch auch dieses Gesetz wäre nur eine Scheinlösung. Sollte die Kontrollbehörde einen Verstoß beobachten, hätte das Parlament über Konsequenzen zu entscheiden – in dem wiederum Berlusconis Regierungslager die Mehrheit bildet.

Und während der Interessenkonflikt langsam in Vergessenheit gerät oder zur Normalität wird, an die sich die Italiener langsam zu gewöhnen scheinen, erweisen sich die schlimmsten Befürchtungen als berechtigt. Die Regierung erlässt ein dubioses Gesetz nach dem anderen, die vor allem einem zugute kommen: dem »Cavaliere« höchstpersönlich. Erst im Dezember profitierte Mediaset von einem Steuererlass. Schätzungsweise 80 bis 100 Millionen Euro aus Steuerhinterziehungen wurden Berlusconis Medienunternehmen erlassen.

Bei der Rai zogen mittlerweile die beiden Verwaltungsratsmitglieder der Opposition, Luigi Zanda und Carmine Donzelli, die Konsequenzen aus den Vorgängen und traten von ihren Posten zurück. Allerdings sind die verbliebenen regierungstreuen Mitglieder in der vergangenen Woche möglicherweise zu weit gegangen. Die Ablehnung der Liveübertragung der Anti-Kriegsdemonstration vom Samstag könnte der entscheidende Anlass für die Ablösung des Aufsichtsgremiums gewesen sein. Denn mit seiner Entscheidung hat er alle gegen sich aufgebracht. Saccàs Begründung, man müsse »Druck vermeiden« kommentierte der Parlamentspräsident Pierferdinando Casini: »Wir sind erwachsene Menschen. Wir lassen uns nicht von irgendeiner TV-Berichterstattung beeindrucken.« Dafür erhielt er Beifall im gesamten Parlament, von der Opposition ebenso wie vom Regierungslager.