Die Macht der Stifter

NS-Zwangsarbeiter, die nicht bald als solche anerkannt werden, bekommen auch künftig kein Geld. Die zuständige Bundesstiftung setzt alles daran, um die Zahl der Entschädigten möglichst klein zu halten. von rolf surmann

Isaac Singer, der Präsident des World Jewish Congress, besuchte Anfang Februar Berlin, um mit Bundesfinanzminister Hans Eichel über »einige tausend Zwangsarbeiter zu reden, deren Existenz erst jetzt bekannt geworden ist«. Deshalb hatten sie bislang keinen Anspruch auf Zahlungen der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft.

Der Zeitpunkt von Singers Reise war mit Bedacht gewählt. Denn in der zweiten Hälfte dieses Jahres soll mit der Auszahlung der zweiten Rate jener »humanitären Leistungen« begonnen werden, die im Jahr 2000 im Stiftungsgesetz zugestanden werden mussten. Dann hat also festzustehen, wie viel Geld für die sich vermutlich bis 2005 hinziehende zweite Zahlung noch übrig ist. Denn die insgesamt zu verteilende Summe steht fest, und die deutsche Seite hat nachdrücklich erklärt, keinen einzigen Cent mehr zuschießen zu wollen. Die letzten Ausschlussentscheidungen werden also jetzt gefasst, und wer Gehör finden will, muss in diesen Wochen in Berlin vorsprechen.

Damit wird zugleich das Strukturproblem der Stiftung deutlich. Die Opfer haben keine garantierten Rechte, sondern müssen sich den zugestandenen Gesamtbetrag in irgendeiner Form teilen. Zwar wurden Maximalbeträge vertraglich vereinbart – etwa 15 000 Mark für Zwangsarbeit bei gleichzeitiger KZ-Haft, 5 000 Mark für Zwangsarbeit unter anderen Haftbedingungen –, doch ist die zur Verteilung bestimmte Summe so klein, dass die Beträge in der Regel viel geringer sein werden. Und je mehr Menschen noch eine erste Rate ausgezahlt bekommen, desto geringer wird die zweite für alle.

Dieses Prinzip hatten die Bundesregierung und Wirtschaftvertreter bei den Verhandlungen durchgesetzt. Sie weigerten sich zum Beispiel hartnäckig, Landarbeiterinnen und Landarbeitern Leistungen zuzugestehen. Der schäbige Kompromiss war eine Öffnungsklausel: Zwar können die Partnerorganisationen in den jeweiligen Ländern diesen Personenkreis berücksichtigen, müssen aber trotzdem mit den Mitteln auskommen, die ihnen für »entschädigungsberechtigte« NS-Opfer zur Verfügung gestellt werden. Wie erfolgreich die deutschen Stifter bei ihren Bemühungen waren, den Opfern ihre Rechte zu verweigern, zeigt sich an dem Umstand, dass es nach ersten Erhebungen in manchen Ländern mehr Antragsteller nach den Kriterien der Öffnungsklausel gibt als so genannte Leistungsberechtigte.

Mag es auf den ersten Blick so scheinen, als könne der Stiftung die Zahl der »Leistungsberechtigten« gleichgültig sein, so hat sie dennoch gute Gründe, über das Anerkennungsverfahren zu wachen. Vor allem will sie nicht den Eindruck entstehen lassen, zwischen den im Stiftungsvertrag genannten Maximalbeträgen und den tatsächlich ausgezahlten Beträgen gebe es eine zu große Kluft. Dies könnte aber nach den vorliegenden Zahlen durchaus passieren. So muss die Stiftung jetzt von 160 000 jüdischen Antragstellern ausgehen, während bei der Planung nur 135 000 berücksichtigt wurden. Große Teile der deutschen Öffentlichkeit erklärten sich schon die zuerst angenommene Zahl im Übrigen – Stichwort »Holocaust-Industrie« – mit »jüdischer Geldgier«. Insgesamt sind bisher 2,4 Millionen Anträge eingegangen. 1,8 bis 1,9 Millionen werden nach aktuellen Schätzungen anerkannt werden müssen. Bei den Verhandlungen war man von lediglich 1,5 Millionen ausgegangen.

Die Diskrepanz zwischen Antragstellern und »Leistungsberechtigten« könnte sich dadurch noch vergrößern, dass Opfer, die nach dem Stiftungsgesetz nur Anspruch auf eine geringe Entschädigung haben, bei einer zu großen Zahl von Anträgen ganz leer ausgehen. In einem Bericht der Bundesregierung wurde über Menschen mit »sonstigen Personenschäden« bereits festgestellt, dass zwar Opfer der »ersten Kategorie« berücksichtigt werden können, für die in die Kategorien zwei und drei sortierten Menschen die finanziellen Mittel aber nicht ausreichen.

Diese Situation ist der Stiftung deshalb nicht gleichgültig, weil die Sicherheit deutscher Konzerne vor Klagen in den USA wesentlich davon abhängt, dass die Gerichte dort auf die Stiftungszahlungen als Weg der außergerichtlichen Klärung verweisen können. Hinzu kommt das spezielle Problem, dass die deutsche Wirtschaft nur einen Bruchteil der durch ihre verspätete Einzahlung erzielten Zinsen zur Verfügung stellt, den Großteil jedoch dafür verwendet hat, ihr Beitragsdefizit zu decken. Der Streit hierüber ist nach wie vor nicht beigelegt. Je geringer die Stiftungsleistungen sein werden, desto eher muss die deutsche Wirtschaft mit der Wiederaufnahme von derzeit zurückgestellten Klagen rechnen.

So erklärt es sich, dass es zur Stiftungspolitik gehört, den Kreis der Entschädigungsberechtigten so klein wie möglich zu halten. Beispielhaft hierfür ist das Verhalten gegenüber sowjetischen und italienischen Zwangsarbeitern mit Kriegsgefangenenstatus, denen trotz ihres besonderen Leidensweges Stiftungsleistungen verwehrt wurden. An dieser Vorgehensweise zeigt sich nicht nur erneut die bereits über Jahrzehnte praktizierte Weigerung, die deutschen Verbrechen einzugestehen. Offensichtlich wird auch, wie perfide die Stiftung argumentiert, um ihre Interessen durchzusetzen. Im Falle der italienischen Zwangsarbeiter erklärte sie etwa, die Betroffenen seien zwar als ursprüngliche Kriegsgefangene vom NS-Regime in den Zivilstatus überführt worden – und wären damit anspruchsberechtigt –, doch habe man damit gegen ihre Rechte als Kriegsgefangene verstoßen, die heute aber wieder anerkennt würden. Damit gelten sie doch als Kriegsgefangene und haben keinen Anspruch auf Leistungen der Stiftung.

Vor diesem Hintergrund ist es beinahe unfassbar, dass eine solche Einrichtung nicht unter Rechtfertigungsdruck steht, sondern selbst als Kontrollinstanz auftritt. Die Stiftung spricht gern von ihrer Aufgabe, die Partnerorganisationen zu »überwachen«. Prüfteams kontrollieren die Entscheidungen einzelner Länder. Ihr Ziel ist es, Abweichungen von den in Berlin aufgestellten Regeln aufzuspüren. Ein nennenswerter Konflikt ergab sich bisher nur mit Tschechien, wo nach Berliner Vorstellungen zu vielen »Unberechtigten« Leistungen zugestanden worden waren.

Ist die Stiftung mal gezwungen, ihren Kurs ein wenig zu ändern, so präsentiert sie dies der deutschen Öffentlichkeit als Geste der Großzügigkeit. Zum Beispiel berichtete die Frankfurter Rundschau, nach einem Gespräch mit der Jewish Claims Conference habe man Lager als Konzentrationslager anerkannt, die bisher nicht als solche gegolten hätten. Verschwiegen wurde dabei zweierlei: Erstens ist es, seit das Bundesentschädigungsgesetz in den fünfziger Jahren in Kraft trat, eine gängige Praxis, die Rechte der Opfer durch die restriktive Klassifizierung von Lagern einzuschränken. Zweitens hat die Stiftung selbst NS-Opfern Ablehnungsbescheide zugestellt, deren Lager bisher als KZ oder KZ-ähnlich im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt worden waren.

Die Stiftung steht damit in der Tradition deutscher Institutionen, die mit der »Wiedergutmachung« zu tun hatten. Ihre Zahlungspraxis war immer Ausdruck eines grundsätzlichen Unwillens zur Entschädigung. Es wundert daher nicht, dass unter Verfolgtenorganisationen in Russland ein Papier kursierte, das zum Verzicht auf einen Antrag und zum Boykott der Stiftung aufrief.