Geschnipselte Ökonomie

Die bargeldlosen Tauschringe in Argentinien brechen reihenweise zusammen, seit massenhaft Gutscheine gefälscht werden. von hilmar poganatz

Nach einem siebenjährigen Siegeszug durch das krisengeschüttelte Argentinien gehen die bargeldlosen Tauschringe, genannt Trueques, offenbar ihrem Ende entgegen. Die insbesondere auf dem letztjährigen Höhepunkt der Wirtschaftskrise von vielen gefeierten Tauschmärkte, von denen es im ganzen Land zeitweilig 8 000 gegeben hat, sind zum Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. Wertmarkenfälscher, der Mangel an Grundnahrungsmitteln, eine leichte Erholung der Gesamtwirtschaft und die geballte Nachfrage von sechs Millionen Personen haben dazu geführt, dass die nach Angaben der Organisatoren »größte soziale Bewegung Argentiniens« in sich zusammenfällt.

Begonnen hat diese Bewegung in dem Küstenort Quilmes südlich von Buenos Aires. Hier gründeten 1995 drei Enthusiasten in einer Garage den ersten Tauschring, der sich bald Red Global, Globales Netz, nennen sollte und die leeren Hallen der gigantischen Textilfabrik La Bernalesa bezog. Noch immer pilgern jeden Samstag Tausende hierhin, in der Mitte des vergangenen Jahres waren es meist über 10 000.

Unter ihnen Rosa, eine 48 Jahre alte Krankenhausköchin aus dem weit entfernten Banfield mit ihren zwei Töchtern. »Hier gibt es einfach alles, auch wenn die Bernalesa viel teurer ist als Banfield«, sagt die füllige, blondierte Frau in ausgelatschten Schlappen und Jogginganzug. Seit fast einem Jahr sei sie arbeitslos. »Wir haben einfach kein Bargeld mehr, und Yesica will nächste Woche ihren 15. Geburtstag feiern.« Man bekomme hier ja nicht nur die Geschenke, erläutert Rosa, während sie die runde Kürbistasse mit Mate-Tee herumgehen lässt und dann stolz eine handgefertigte Lampe aus der Plastiktüte kramt. »Inzwischen gibt es auch Rechtsanwälte, Lehrer, Mechaniker, Psychologen und Ärzte im Tauschsystem.«

Das Tauschsystem des Trueque ist simpel. Wer dem Netzwerk beitreten will, meldet sein Produkt oder seine Dienstleistung an. Doch der Tauschhandel verläuft nicht nach dem Motto »zwei Kilo Reis für einen Liter Milch«, sondern mithilfe kleiner bedruckter Schnipsel, Gutscheine oder »Creditos« genannt. Wer ein Kilo Mehl verkauft, kann dafür zum Beispiel 20 Gutscheine verlangen, für die er wiederum einen 15 creditos teuren Haarschnitt ergattern könnte.

Beim Beitritt kauft ein Neumitglied 50 Einheiten der »Sozialwährung«. Als Richtwert galt anfangs: ein Gutschein entspricht einem Peso, doch die Preise schwanken stark. Zinsträchtig anlegen kann man die Scheine nicht, denn sie sollen ständig zirkulieren und Konsum generieren. »Noch nie gab es ein System wie dieses, um den Menschen ihre Würde wieder zu geben«, meint Red-Global-Sprecher Pablo Covas, der 22 Jahre alte Sohn des Mitbegründers Horacio Covas.

Die Gutscheine verhalfen dem Trueque jedoch nicht nur zu Flexibilität und zu Wachstum. In der Quasi-Währung lag gleichzeitig das große Problem des Systems. Heloísa Primavera von der in Konkurrenz zu Red Global stehenden Tauschring-Organisation Trueque Solidario kritisierte den auf Gutscheinen basierenden Warentausch in der Tageszeitung Clarín: »Es wurden immer mehr Creditos gefälscht, und das war ein schwerer Schlag für das Vertrauen der Menschen.« Seitdem sei der Enthusiasmus verflogen, und die Mittelklasse wende den Tauschmärkten den Rücken zu.

Red Global bestätigte, dass 500 Millionen Gutscheine gefälscht worden seien. Die Mitbegründer Carlos de Sanzo und Rubén Ravera sehen ein groß angelegtes Komplott hinter der Fälscherbande, von der 20 Mitglieder festgenommen wurden: »Der Druck der Gutscheine kostete mehr als den tatsächliche Gegenwert der Fälschungen.« Daher sei es offensichtlich, dass die Fälscher – ihm zufolge »Sympathisanten des Internationalen Währungsfonds« – sich nicht bereichern, sondern das Tauschsystem zerstören wollen. In Folge der Vertrauenskrise ist die Zahl der Tauschmärkte auf rund 1 000 geschrumpft. »Es besteht die Gefahr, dass der Tauschring sich auflöst«, mahnten die Organisatoren in Clarín.

Für Arbeitslose wie die 33 Jahre alte Andrea ist dieser Verfall des Tauschsystems eine schlechte Nachricht. »Ich lebe quasi jeden Tag auf dem Trueque«, sagt Andrea, die Krankenschwester war, bis sie beginnen musste, auf dem Trueque zu verkaufen. »Ich hatte kein Geld mehr, und damit meine ich: noch nicht mal zehn Cents«, sagt die schwarzhaarige Frau mit den indianischen Gesichtszügen. Aber an guten Tagen habe sie alles, was sie zum Leben brauche, auf dem Markt der »Bernalesa« gefunden. Sie streicht mit der Hand über einen violetten Glitzerpullover, der auf ihrem halb leeren Tapeziertisch liegt. Um den Pullover hat sie eine Lederjacke, zwei Paar Stiefel, ein Schleifgerät und eine antiquierte Saftpresse drapiert. Doch nun bleibt selbst an guten Tagen die Hälfte der Tische leer.

Rubén Ravera meint, dass die Einführung einer geringen Sozialhilfe mitverantwortlich sei. Auch die lange gesperrten Konten der Argentinier sind mittlerweile wieder freigegeben, die offizielle Arbeitslosenquote ist von 21,7 Prozent im Mai 2002 unter 18 Prozent gefallen. Doch gleichzeitig hat der oft extrem niedrige Verdienst und der Wertverfall des Peso die Hälfte der Bevölkerung unter die Armutsgrenze fallen lassen, wie die Statistische Behörde Indec dokumentiert. Ein Bedarf an einer bargeldlosen Wirtschaft besteht also weiterhin.

Ein wichtiger Grund für die massive Abkehr vom Trueque könnte es daher sein, dass das aus den Theorien des Ökonomen Alvin Tofflers abgeleitete System der »produzierenden Konsumenten« nur sporadisch funktionierte. »Es gab ein riesiges Angebot an Handwerk, Kleidung, Geräten und Werkzeugen, aber nicht an Nahrungsmitteln«, schreibt der Ökonom Jorge Marchini in der Netzzeitschrift Rebelión. Marchini, der als Professor der Universität von Buenos Aires zur Gruppe Linke Ökonomen (EDI) gehört, fasst zusammen: »Es ist nicht denkbar, dass eine essenziell urbane und hoch komplexe Volkswirtschaft sich über Tauschringe organisieren kann.«