Punktsieg der Tempelwächter

Der Bericht der Waffeninspektoren hat die Position der Kriegsgegner im Sicherheitsrat gestärkt. Für die US-Regierung könnte das der Anlass sein, die Uno künftig zu ignorieren. von martin schwarz, wien

US-Präsident George W. Bush wusste am vergangenen Freitag wohl allzu gut, warum er sich die Sitzung des UN-Sicherheitsrates zu den Inspektionen im Irak besser nicht ansah. Während die beiden UN-Chefinspektoren Hans Blix und Mohamed El Baradei dem anwesenden US-Außenminister Colin Powell mit ihrem neuen Zwischenbericht den einen oder anderen Tiefschlag verpassten, traf sich Bush mit seinem Vizepräsidenten Dick Cheney zum Lunch und hielt im FBI-Hauptquartier in Washington eine nicht weiter bemerkenswerte Rede zur Verquickung des Kampfes gegen den Terror mit jenem gegen Saddam Hussein.

»Es war kein guter Tag für die Vereinigten Staaten und ein guter Tag für Saddam Hussein und Frankreich«, bewertet Dominique Moisi, Vizedirektor des Pariser Instituts für internationale Beziehungen, die Sitzung des Sicherheitsrates. Denn insbesondere Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin hatte mit seiner Rede gegen die Kriegspläne der USA und für das Entscheidungsmonopol des UN-Sicherheitsrates nicht nur Bushs Pathos-Monopol gebrochen, sondern auch die meisten Anwesenden für sich gewinnen können. »In diesem Tempel der Vereinten Nationen sind wir die Wächter eines Ideals, die Wächter des Gewissens. Diese Verantwortung und hohe Ehre muss uns dazu bringen, die Priorität der friedlichen Entwaffnung einzuräumen. Es gibt eine Alternative zum Krieg.« Villepin erntete dafür, eine Seltenheit in der Diplomatie, tosenden Applaus der Zuhörer.

Russlands Außenminister Igor Iwanow wiederum begründete seine Ablehnung eines baldigen Militärschlages mit dem besonderen Datum, an dem diese Sitzung des Sicherheitsrates stattfand: dem Valentinstag. Da nämlich sollten die Menschen an anderes denken als an Krieg. Die blumigen Bemerkungen wurden ebenfalls mit Applaus quittiert. Angesichts dieser Front der verweichlichten europäischen Spitzendiplomaten musste Colin Powell auf sein vorgefertigtes Manuskript verzichten und machte mit seiner frei gehaltenen Rede einen nicht allzu glänzenden Eindruck. In einer Mischung aus Ironie und Sarkasmus meinte Powell, man dürfe es dem Irak »nicht abermals erlauben, davonzukommen«. Er selbst habe in seiner gesamten Karriere als Soldat und Diplomat den Krieg immer als letztes Mittel betrachtet.

Es war eindeutig: Powell warf seine gesamte persönliche Reputation in die Waagschale und wusste wohl, dass er auch innerhalb der Bush-Administration weitgehend verloren hatte. Bislang war seine Rolle eindeutig darauf ausgerichtet, im UN-Sicherheitsrat zumindest einen grundsätzlichen Konsens herzustellen. Jetzt ist er in der eigenen Regierung isoliert. Sowohl Vizepräsident Dick Cheney als auch Verteidigungsminister Donald Rumsfeld halten die Vereinten Nationen ohnehin bloß für einen überflüssigen Debattierklub. Wenn Powell ihn nicht überzeugt, könnte das dazu führen, dass sich in der Bush-Administration der Eindruck verstärkt, eine Militäraktion im Alleingang oder mit ausgewählten Verbündeten sei die günstigste Möglichkeit.

Nach dem Bericht der beiden UN-Inspektoren scheint sich die Front der Kriegsgegner gefestigt zu haben. Sowohl Blix als auch El Baradei lieferten ihnen neue Argumente. So widersprach Hans Blix den Enthüllungen Powells, indem er sagte, man wisse nun, dass die präsentierten Satellitenfotos nicht als Beweis dafür taugten, der Irak habe, kurz vor der Ankunft der Inspektoren, belastendes Material versteckt. Denn sie seien »in einem Zeitraum von rund zwei Wochen aufgenommen worden«. Dass dann auf dem einen oder anderen Foto ein Lastwagen zu sehen ist, kann nicht unbedingt als ungewöhnlich gelten. Einen weiteren Tiefschlag hatte der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien, Mohamed El Baradei, parat: Seine Inspektoren könnten ihren Job auch dann effektiv zu Ende bringen, wenn »der Irak nicht vollständig kooperiert«. Später forderte er weitere sechs Monate Zeit für seine Inspektoren.

Zudem hatte das irakische Regime vor der Präsentation der beiden Waffeninspektoren schlicht die bessere Propagandaarbeit geleistet. Saddam Hussein persönlich dekretierte wenige Stunden vor der Sitzung des UN-Sicherheitsrates ein Verbot der Produktion und des Imports von Massenvernichtungswaffen aller Art und empfing auch einen Abgesandten des Papstes, Kardinal Roger Etchegaray. Währenddessen reiste der einzige Christ in der irakischen Führungsriege, Vizepremier Tariq Aziz, nach Rom, um den Papst selbst zu treffen.

Gebetet wurde einen Tag später am Grab des heiligen Franz von Assisi. Der spirituelle Höhepunkt der Pilgerreise bestand darin, das Friedenslicht für einige Minuten zu halten. Schönere Bilder kann es für die Friedensbewegten auf der Welt gar nicht geben. Noch dazu demonstrierte das Regime Saddam Husseins Distanz zum islamischen Fundamentalismus und suggerierte, dass im Falle eines Krieges wohl auch Christen gegen Christen kämpfen würden. Die Ökumene lebt – sogar zwischen Basra und Bagdad.

Die Punktsiege der Kriegsgegner innerhalb und außerhalb des Sicherheitsrates aber werden aller Wahrscheinlichkeit nach eine kontraproduktive Wirkung haben. Den USA ist durchaus klar, dass sie den Propagandafeldzug vorerst verloren haben. Ihr Drang zu einem Showdown wird spürbar stärker. Sie würden notfalls auch ganz ohne weitere UN-Legitimation losschlagen, denn innerhalb des Sicherheitsrates können sie nicht mehr mit einer für sie befriedigenden Lösung rechnen. Ohnehin hat die US-Regierung schon erklärt, dass sie in der derzeit gültigen UN-Resolution 1441 eine ausreichende Legitimation für eine militärische Attacke sieht.

Allerdings muss Bush auf Tony Blair Rücksicht nehmen. In der Labour-Partei wird jetzt schon an Blairs Sturz gearbeitet, und so könnte es sein, dass es die politische Karriere des Ehren-Amerikaners in Downing Street 10 ist, die das erste Opfer eines Krieges wird. Blair braucht dringend eine neuerliche UN-Resolution, um politisch zu überleben. »Ich möchte den Konflikt über die Vereinten Nationen lösen«, meinte er am vergangenen Samstag in Glasgow. Also arbeiten Amerikaner und Briten an einer weiteren UN-Resolution, die schon in dieser Woche eingebracht werden könnte, Saddam Hussein und den UN-Inspektoren eine kurze Frist einräumt und bei Nichtkooperation wieder »ernsthafte Konsequenzen« androht.

»In wenigen Tagen wird es eine Entscheidung für eine schnelle Resolution in Washington geben«, sagt ein Mitarbeiter der Bush-Administration. Freilich, wirklich hoffnungsfroh können die USA derzeit nicht sein, dass diese neue zur Rettung Tony Blairs eingebrachte Resolution nicht durch ein Veto Frankreichs oder Russlands blockiert wird. Andererseits aber können Frankreich, Deutschland, Russland und China auch nicht annehmen, dass eine von ihnen geplante Gegenresolution von Briten und Amerikanern angenommen werden wird, wenn sie in ihrem Papier mehr UN-Inspektoren fordern. »Es geht nicht um Inspektoren, sondern um Entwaffnung«, ließ Colin Powell bereits ausrichten.

Der Sicherheitsrat dürfte also in den kommenden Wochen noch zum Schauplatz spannender Veto-Exerzitien werden und sich dann, wie bereits bei vielen anderen Konflikten, aus dem weltpolitischen Business zurückziehen müssen. Die Sitzung am vergangenen Freitag hat schon den Weg gewiesen.