Ruhe in Landsberg

Auf dem Landsberger Friedhof sind nationalsozialistische Kriegsverbrecher neben Zwangsarbeitern bestattet. Über seine Gestaltung streiten nun die bayerische Staatsregierung und die Stadt. von normann bierbaum

Im bayerischen Landsberg am Lech nahe München befinden sich neben der örtlichen Justizvollzugsanstalt die katholische Kapelle St. Ulrich und der dazugehörige Friedhof. Über dreihundert einheitliche Holzkreuze stehen dort, auf vielen der Gräber finden sich Kerzen und Gebinde. Bis vor zwei Wochen war auf den ersten Blick nicht zu erkennen, um welche Art von Friedhof es sich handelt.

Am 22. Januar ließ dann das bayerische Justizministerium eine Tafel an der Kapelle anbringen, die über die Geschichte des Ortes informiert. Denn auf dem Friedhof liegen etwa 140 Opfer des Nationalsozialismus gemeinsam mit derselben Zahl nationalsozialistischer Kriegsverbrecher.

Zwischen 1945 und 1958 war das Gefängnis Landsberg ein War Criminal Prison. 1 543 von US-amerikanischen Militärgerichten verurteilte Häftlinge waren dort in dieser Zeit wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen an der Menschheit und Mitgliedschaft in kriminellen Organisationen inhaftiert. Bis ins Jahr 1951 wurden 308 Personen hingerichtet. Die Häftlinge, die nach ihrem Tod nicht überführt wurden, beerdigte man auf dem Gefängnisfriedhof. Es ist übrigens dasselbe Gefängnis, in dem 1924 Adolf Hitler saß und »Mein Kampf« schrieb.

Unter den auf diesem Friedhof Bestatteten finden sich auch Oswald Pohl, der Leiter des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes der SS; Martin Weiss, der Leiter des Konzentrationslagers Dachau; Otto Moll, der Hauptscharführer der SS, der zuständig für die Krematorien in Auschwitz war und später das Dachauer Außenlager Kaufering zwei leitete und für die Todesmärsche im April 1945 verantwortlich zeichnete; Wolfram Sievers, der Leiter der SS-Forschungs- und Lehrgemeinschaft Ahnenerbe und Verantwortliche für die Menschenversuche im KZ Dachau; Erich Naumann, der Leiter der Einsatzgruppe B in Russland, eines der Mordkommandos hinter der Front, und viele andere.

Das bayerische Justizministerium plant nun seit dem Herbst 2002 die Entfernung der Kreuze und die Aufhebung des individuellen Totengedenkens auf dem Friedhof. Am 22. Januar erklärte der Minister Manfred Weiß (CSU): »Diese Änderungen sind nicht nur deshalb erforderlich, weil die Ruhezeiten, die 25 Jahre betragen, längst abgelaufen sind und die letzte Bestattung lange zurückliegt, sondern insbesondere auch, weil es an diesem Ort bedauerlicherweise immer noch zu Solidaritätsaktionen ›Ewiggestriger‹ kommt.«

Tatsächlich dient der Friedhof seit längerem als Wallfahrtsort für Neonazis. Und nicht nur die Kränze und Kerzen auf den Gräbern der Kriegsverbrecher sorgten für Befremden, sagte Weiß, sondern auch, dass die Grabpflege aus Staatsgeldern finanziert werde.

Seither regt sich Widerstand im beschaulichen Landsberg. Im Landsberger Tagblatt erhoben verschiedene Verteidiger des Friedhofs ihre Stimme. »Der Spöttinger Friedhof ist schon wegen seiner einmaligen Vielfalt eines der beeindruckendsten Denkmale unserer Zeitgeschichte, daher einzigartig und steht unter Denkmalschutz«, schrieb Heinrich Pflanz, der Betreiber des Landsberger Schuhmuseums. »Selten ist der Widersinn des Krieges so spürbar wie auf diesem Friedhof. Wenn Angehörige und Freunde Blumen oder Kerzen an den Gräbern niederlegen, ist das wohl eines der friedlichsten Dinge, die überall in der Welt üblich sind.«

Ganz so unbedarft wie er tut, ist Pflanz allerdings nicht. Schon seit längerem kämpft er gegen die »amerikanische Siegerjustiz«, und seine Schrift über das US-amerikanische Kriegsgefangenenlager Moosburg ist im Onlinekatalog der National-Zeitung zu bestellen.

Nachdem sich auch noch eine Interessengruppe Spöttinger Friedhof gebildet hatte, sprach sich der Landsberger Stadtrat am 29. Januar für den Erhalt des Friedhofs in seiner jetzigen Form aus. Den Sinneswandel im Justizministerium mochte man noch nicht nachvollziehen, waren doch erst für den 7. Juni des Jahres 2001, den 50. Jahrestag der letzten Hinrichtungen im War Criminal Prison, die Grabkreuze in den Werkstätten der Justizvollzugsanstalt Landsberg erneuert und mit einem schützenden Kupferdach versehen worden.

Der Stadtrat bewahrte damit seine Tradition: Bereits 1955 beauftragte man den Landsberger Oberbürgermeister damit, sich »für die Freilassung aller politischen Gefangenen einzusetzen«.

Die Hinrichtungen am 7. Juni 1951 waren die letzten auf westdeutschem Boden überhaupt. Unter den letzten Delinquenten befanden sich Erich Naumann und Oswald Pohl. Pohl war ein direkter Untergebener Heinrich Himmlers und einer der Organisatoren der Vernichtung der europäischen Juden. Er leitete das Wirtschaftsimperium der SS und war für die Koordination der Zwangsarbeit und für den Ausbau des Vernichtungslagers Auschwitz zuständig.

Pohl wurde erst ein Jahr nach dem Kriegsende in Hamburg verhaftet. Während seiner Haft in Landsberg konvertierte er zum Katholizismus und verfasste ein Glaubensbekenntnis, das 1952 bei der katholischen Schriftenmission erschien. Darin erklärte er, er habe nie einen Menschen getötet, schuldig sah er sich nur insofern, als er der geistlichen Aushöhlung Deutschlands unter dem Nationalsozialismus zugesehen habe.

Während die Pflege seines Grabs vom bayerischen Staat bezahlt wird, befinden sich in Landsberg dort, wo jüdische Zwangsarbeiter zu Tode gequält und anschließend verscharrt wurden, heute eine Laubenkolonie und eine Kiesgrube. Im Rüstungsprojekt »Ringeltaube« wurden in den letzten Kriegsjahren jüdische KZ-Häftlinge in Landsberg und Kaufering in Außenlagern des KZ Dachau dazu eingesetzt, gewaltige Bunker zu bauen, in denen vor Bombenangriffen sichere Rüstungsbetriebe eingerichtet werden sollten. Einer dieser Bunker wurde fertig gestellt, heute benutzt ihn die Bundeswehr.

Der schroffe Gegensatz zwischen der Ehrung der Täter und der Missachtung der Opfer des Nationalsozialismus beschäftigt die Mitglieder der »Bürgerinitiative Landsberg im 20. Jahrhundert« schon seit Jahren. Für sie werde auf dem Friedhof die »Mär von der amerikanischen Siegerjustiz« gepflegt. Von den Befürwortern des Spöttinger Friedhofs wird die Bürgerinitiative diffamiert. »Es ist geradezu kurios, dass diejenigen, die ständig fordern, sich zu erinnern, solche Erinnerungsstätten entfernen wollen«, meint Heinrich Pflanz.

Ob die Kreuze nun abgebaut würden, sei noch nicht klar, sagte der Regierungsdirektor Michael Gremel vom bayerischen Justizministerium. Demnächst solle es ein Gespräch geben zwischen Vertretern des Justizministeriums, dem zuständigen Landrat, dem Landsberger Oberbürgermeister und dem CSU-Generalsekretär Thomas Goppel, der seinen Wahlkreis in Landsberg hat.