Jenseits des großen Teichs

Der Konflikt zwischen den Transatlantikern und den Anhängern des »deutschen Wegs« beschäftigt die Parteien. Wie ist das deutsche Interesse am besten zu verwirklichen? von stefan wirner

In dem Western »High Noon« mit Gary Cooper versucht ein Sheriff, den Widerstand der Bürger in der kleinen Stadt Hadleyville gegen eine Bande von Gangstern zu organisieren, die Angst und Schrecken verbreitet. Doch die Bürger zaudern, und der Sheriff geht allein gegen die Banditen vor. »Verhalten wir Europäer uns nicht ein wenig so wie die Bürger von Hadleyville?« fragte der außenpolitische Sprecher der CDU, Friedbert Pflüger, im vergangenen Jahr in einem Essay in der Welt.

Pflüger würde an der Seite des Sheriffs in den Krieg ziehen oder ihm zumindest ein paar Cowboys zur Verfügung stellen. Er wird nicht müde, die Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder zu kritisieren. »Deutsche Wege führen mit Sicherheit ins Unglück«, davon ist Pflüger überzeugt.

Die Transatlantiker in der CDU, die nach dem Vorbild Großbritanniens die nationalen Interessen lieber im Bündnis mit den USA verwirklichen wollen, wurden in der vergangenen Woche gestärkt. Denn vor ihrer Reise in die USA veröffentlichte die Parteivorsitzende Angela Merkel in der Washington Post eine Abrechnung mit Schröders Außenpolitik.

Unter der Überschrift »Schröder spricht nicht für alle Deutschen« übte sie harte Kritik am Bundeskanzler. Ein »aus Wahlkampfmotiven von der deutschen Bundesregierung eingeschlagener deutscher Sonderweg« wische die »wichtigste Lehre deutscher Politik – nie wieder Sonderweg – scheinbar mühelos beiseite«.

Die Reaktionen auf diesen Coup Merkels, Schröder in einer US-amerikanischen Zeitung anzugreifen, zeigten, dass in der SPD nicht die Transatlantiker den Ton angeben, sondern die Deutschnationalen. Der Generalsekretär der SPD, Olaf Scholz, sagte, Merkel schade dem »Ansehen Deutschlands« und verstoße gegen die Regel, die eigene Regierung im Ausland »nicht madig zu machen«. Merkel falle Hunderttausenden von Friedensdemonstranten in den Rücken.

Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Franz Müntefering, meinte, Merkel bereite mit ihrer Reise in die USA einen »Bückling gegenüber der US-Administration vor«. »Ihr seid schöne Patrioten«, hieß es in seiner Mitteilung. Friedbert Pflüger hingegen war glücklich und verteidigte seine Parteivorsitzende. Die Regierung Schröder werde »das alte Vertrauen zu den USA nicht wieder herstellen können«.

Ein paar christdemokratische Bürger scheint es in Hadleyville also zu geben, die dem Sheriff zur Hilfe eilen oder sich, wie im Falle Merkels, Hilfe von ihm erhoffen. Doch auch in der Union finden sich Politiker, die immer schärfer die USA kritisieren.

Der frühere Staatsekretär im Verteidigungsministerium, Willy Wimmer (CDU) etwa. Als nach der Bundestagswahl in der Union die Diskussion über die Gründe für die Niederlage begann, griff er Pflüger und auch Wolfgang Schäuble scharf an. Sie hätten sich »amerikanischer als die Amerikaner selbst« verhalten. Die Union habe sich zu wenig von den USA distanziert und Schröder damit ein leichtes Spiel beschert.

In der CSU sind es Norbert Geis und vor allem Peter Gauweiler, die gegen einen Irakkrieg argumentieren und die USA kritisieren. Am Samstag vor einer Woche veröffentlichte der Tagesspiegel ein Gespräch mit Gauweiler und Christoph Bautz von Attac. Zwischen dem möglichen Minister von morgen und dem bayerischen Umwelttminister von gestern gab es in der Irakfrage kaum Meinungsverschiedenheiten.

Ähnlich wie Oskar Lafontaine versuchte Gauweiler, in der Umgebung von Attac auf Stimmenfang zu gehen, und Bautz ließ sich den Annäherungsversuch gerne gefallen. Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte die Entwicklung in der Union vor kurzem: »Wenn selbst die CDU/CSU in der Irakpolitik pazifistische Volten schlägt, um in der Wählergunst besser anzukommen, ist die Entwicklung weit gediehen.«

Zweifellos bereitet Schröders außenpolitische Haltung der Union große Schwierigkeiten, denn eine Mehrheit der Deutschen unterstützt den Kanzler auf seinem deutschen Weg. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschrieb das Dilemma der Union so: »Ihr Atlantizismus wirkt gegenüber der regierungsamtlichen Amerika-Skepsis hölzern und wenig attraktiv.«

Dabei gab es auch schon Zeiten, in denen sich die deutschen Konservativen gegen Amerika wandten. Schließlich betreiben auch sie ihre Politik nicht aus Liebe zu den USA, sondern aus Liebe zu Deutschland. Die von Konrad Adenauer nach dem Krieg begründete Westbindung der Bundesrepublik hatte vor allem mit seinem Antikommunismus und der Hoffnung zu tun, dadurch schneller die deutsche Souveränität zurückerlangen zu können.

Zu Verstimmungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis kam es bereits im Januar 1963, als Adenauer und der französische Präsident Charles de Gaulle den deutsch-französischen Vertrag unterzeichneten. Die »Gaullisten« in der CDU setzten damals vor allem auf das deutsch-französische Bündnis.

Auch in der Diskussion um den Atomwaffensperrvertrag liebäugelte die CDU am Ende der sechziger Jahre mit einem deutschen Sonderweg. Der damalige Bundeskanzler und Altnazi Kurt Georg Kiesinger (CDU) zögerte mit der Unterschrift unter den Vertrag, weil man sich den Bau einer deutschen Atombombe vorbehalten wollte. Franz Josef Strauß nannte den Atomwaffensperrvertrag »ein neues Versailles«.

Genau betrachtet, hat die Union den Kurs, den Schröder nun eingeschlagen hat, sogar vorbereitet. Die so genannte Normalisierung Deutschlands und das Vorhaben, mehr »Verantwortung« in der Welt zu übernehmen, war eine konservative Herzenssache. Wie man diese »Verantwortung« interpretierte, zeigte die Bundesregierung unter Helmut Kohl, die 1991 ohne Rücksprache mit den europäischen Partnern Kroatien und Slowenien als unabhängige Staaten anerkannte und den separatistischen Bestrebungen auf dem Balkan so richtig Schwung gab.

Das Konzept eines so genannten Kerneuropa, in dem vor allem Deutschland und Frankreich das Sagen haben sollten, wurde im Jahr 1994 von den Christdemokraten Karl Lamers und Wolfgang Schäuble vorgestellt. Ihm lag der Gedanke zugrunde, dass deutsche Interessen als europäische verwirklicht werden sollten.

Diesen Weg gehen die Sozialdemokraten und die Grünen nun auf ihre Weise weiter. Um die sozialdemokratischen Transatlantiker ist es derweil schlecht bestellt. Dem einst als Verteidigungsminister gehandelten früheren Fraktionsvorsitzenden Hans-Ulrich Klose kostete seine Anhänglichkeit an die USA sogar den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss. Auf der Fraktionssitzung der SPD in der vorvergangenen Woche kam es zum offenen Streit zwischen Klose und Schröder. Klose sagte nach Informationen des Spiegel: »Ich stelle ein hohes Maß an handwerklicher Fehlerhaftigkeit in der Außenpolitik fest – vor allem aus dem Bundeskanzleramt.«

Doch es sind nicht nur handwerkliche Fehler. Schröders Außenpolitik ist unberechenbar. So schien es zu Beginn seiner Amtszeit, als würde das deutsch-französische Verhältnis geschwächt. Schröder galt als Freund der Briten, seine erste Reise als Kanzler führte nach London, nicht nach Paris.

Mit dem britischen Premierminister Tony Blair legte er im Jahr 1999 das so genannte Schröder-Blair-Papier vor, in dem sie sich zu einer neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik bekannten. Von dieser Freundschaft ist momentan nicht mehr viel zu spüren. Schröder hat sich dafür entschieden, die deutschen Interessen zusammen mit Frankreich zu betreiben.

Schlimm ist das alles für Joschka Fischer. Der gemäßigte Transatlantiker, der zugleich auf Europa baut und den Kontinent schlicht als »Westasien« bezeichnet, wäre vielleicht eines Tages der Nachfolger Roman Prodis als Präsident der EU-Kommission geworden, vielleicht sogar Generalsekretär der Uno. Jetzt aber ist er nur noch der Außenminister eines Schurkenstaats. Zumindest aus der Sicht des Sheriffs.