Kontrolle ist besser

Den Streik der Ölarbeiter hat die nigerianische Regierung durch Zugeständnisse schnell beendet. Doch der Streit um die Verteilung der Öleinnahmen geht weiter. von alex veit
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Ein Ölarbeiterstreik war nicht die allerbeste Voraussetzung für den beginnenden Wahlkampf des nigerianischen Präsidenten Olusegun Obasanjo. Denn schon bevor er eigentlich begonnen hatte, bildeten sich an den Tankstellen des Landes lange Schlangen. Schnell war die Erinnerung an die chronische Benzinknappheit wieder da, die bis vor einigen Jahren ein Bestandteil des Alltagslebens der Bewohner eines Landes war, das täglich etwa zwei Millionen Barrel Rohöl exportiert. Zu Beginn der letzten Woche, als der angekündigte Streik schließlich begann, gab es in mehreren Städten kein Benzin mehr, sodass in Ibadan sogar der Wagen eines nigerianischen Ministers mit leerem Tank liegen blieb.

Doch diese Unannehmlichkeiten dürften nicht der Grund für die überraschend schnelle Einigung zwischen Regierung und Gewerkschaften gewesen sein, die am Freitag nach sieben Tagen zur Beendigung des Streiks führte. Denn bis dahin war von dem Streik nur die Exportindustrie betroffen, während die inländische Verteilung des Öls nicht behindert wurde. Offenbar nutzten Geschäftemacher die unübersichtliche Situation, um den Preis durch Verknappung des Angebots in die Höhe zu treiben.

Trotzdem gab sich die Regierung Obasanjo versöhnlich und versprach die schnelle Auszahlung von Gehältern und Sonderzulagen für die Ölarbeiter, die das Department of Petroleum Resources (DPR) seinen Angestellten zum Teil seit dem letzten Jahr schuldig ist. Darüber hinaus ging sie auch auf die zweite Forderung der Gewerkschaften Pengassan und Nupeng ein. Bereits 1997 war die Restrukturierung des DPR beschlossen worden, einer Schlüsselinstitution des nigerianischen Staates, die die Rohölexporte des Landes gemeinsam mit den im Land tätigen Ölmultis regelt. In ihrem Streikaufruf hatte die Gewerkschaft Pengassan beklagt, dass diese Regulationsbehörde das »weinende Kind« der Ölindustrie »zum Vorteil der Multinationalen und der wenigen privilegierten Nigerianer« geblieben ist.

Damit das Kind erwachsen wird, soll die lange geplante Unabhängigkeit des Amtes von der Regierung endlich verwirklicht werden. Die Gewerkschaften versprechen sich davon, dass die Gewinne aus dem Rohölexport in Zukunft nicht mehr sofort im Dickicht des Staatshaushalts verschwinden, sondern zunächst zur Auszahlung der Gehälter verwendet werden.

Der Ölsektor erwirtschaftet 90 Prozent der Deviseneinnahmen und 80 Prozent der Staatseinkünfte. Erst kürzlich hatte die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (Opec) die Exportquote Nigerias sogar erhöht. Aufgrund des Streiks in Venezuela und der Irakkrise ist der Weltmarktpreis für Rohöl in der letzten Woche zeitweise auf 37 US-Dollar gestiegen, auf den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahren. Die Hälfte des nigerianischen Öls wird in die USA exportiert. Doch weder ein Anruf aus Washington noch die Gelegenheit zum Absahnen der hohen Weltmarktpreise dürften der Grund für das Entgegenkommen der Regierung gegenüber der Streikenden sein, sondern vor allem der gerade beginnende Wahlkampf, in dem die Verteilung des Öleinkommens ein wesentliches Thema wird.

Präsident Olusegun Obasanjo, der im April wieder gewählt werden möchte, versuchte, sich bei seinem Wahlkampfauftakt in Port Harcourt, der Metropole des ölreichen Nigerdeltas, als treuer Verwalter zu präsentieren. »Ihr kontrolliert die Ressourcen, während ich sie zum Wohl des gesamten Landes manage«, erklärte er vor 30 000 Anhängern seiner Peoples Democratic Party (PDP).

»Ressourcenkontrolle« ist ein Zauberwort in der Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Regionen des Landes. Denn obwohl fast das gesamte Öl aus dem Nigerdelta stammt, hatte die Region bislang vor allem die ökologischen Folgen der Förderung zu tragen, während die Gewinne bei der Regierung und den internationalen Ölkonzernen landeten. Mitte der neunziger Jahre erlangte das Movement for the Survival of the Ogoni People internationale Berühmtheit, als sein Anführer Ken Saro-Wiwa und acht weitere Aktivisten wegen ihrer Proteste gegen die Verelendung in der Region gehängt wurden. Damals war Nigeria noch eine Diktatur, in der neuen demokratischen Verfassung erhielten die Bundesstaaten im Delta mehr Mitspracherechte bei der »Ressourcenkontrolle«.

Doch seit vor der Küste der Region weitere Ölfelder entdeckt wurden, ist ein neuer Streit um die Verteilung entbrannt. Die Bundesstaaten des Deltas beharren auf einer Beteiligung. Die Zentralregierung argumentiert hingegen, dass das Öl in der Tiefsee dem nigerianischen Staat allein gehört. Seit Monaten dominiert der Streit zwischen den Regionen, dem Präsidenten und dem Parlament die politische Auseinandersetzung. Die Gräben sind dabei so tief, dass manche Beobachter sogar von einem drohenden Auseinanderbrechen des Staates sprechen.

Beim Wahlkampf in Port Harcourt verkündete Obasanjo überraschend, dass er sich bei einem Treffen mit den Gouverneuren der Delta-Staaten auf einen Kompromiss zur Verteilung des Einnahmen aus der Offshore-Ölförderung geeinigt habe. Anschließend mahnte er die Anwesenden: »Gott machte keinen Fehler, als er das Öl in diese Region gebracht hat. Er machte auch keinen Fehler, als er euch sagte, es mit euren Brüdern zu teilen. Er wollte nur, dass wir als Brüder leben und ihr ein bisschen von dem gebt, was ihr habt, denn sonst gibt es mehr Ungleichheit, die mehr Probleme verursachen wird.«

Einige Gouverneure dementierten allerdings eine Einigung mit der Zentralregierung. Auch der Gewerkschaftsverband NLC rief das Parlament auf, gegen den Gesetzentwurf Obasanjos zur Verteilung der Offshore-Öleinnahmen zu stimmen. »Die Nationalversammlung muss fest auf ihrer Position bestehen und die Interessen der Menschen im Nigerdelta schützen«, erklärte Ovuozouria Macaulay, der den NLC im Südosten des Landes vertritt.

Durch den Übergang zur Zivilherrschaft hat sich für die lokale Bevölkerung des Deltas bislang wenig geändert, die Proteste gegen die Ölkonzerne gehen weiter. Vergangene Woche drohten Bewohner der Kleinstadt Ugborodo Chevron damit, ein neues Gasprojekt zu verhindern, falls der Konzern nicht endlich ökologische Schäden der Ölförderung aus den achtziger Jahren repariere.

Allerdings kam es auch immer wieder zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Milizen. So erholt sich nach Angaben des Ugborodo Community Trust die Stadt noch immer von einer Invasion bewaffneter Jugendmilizen vor knapp vier Jahren. Der lokale Abgeordnete Elemchukwu Ogbowu forderte die Ölkonzerne, die inzwischen einen Teil der Einnahmen in Community-Projekte investieren müssen, dazu auf, solche Gruppierungen nicht länger zu finanzieren: »Wir sagen, dass die Multinationalen in Infrastruktur und Bildung investieren und nicht länger direkt Geld an die Jugendorganisationen auszahlen sollten.«

Ideologien und selbst Parteizugehörigkeiten spielen bei diesen Verteilungskämpfen nur eine untergeordnete Rolle. Etwa 20 Menschen kamen vergangene Woche in der Ölstadt Warri bei einem Streit um Landrechte, Parteinominierungen und Fördermittel ums Leben. Die Kontrahenten waren lokale Fraktionen der Regierungspartei PDP.