Größter legaler Geist

Der serbische Neofaschist Vojislav Seselj hat sich freiwillig dem Uno-Tribual in Den Haag gestellt.

Der Mann hat gute Chancen, Slobodan Milosevic nun auch auf internationaler Bühne den Rang abzulaufen. »Ich verstehe diese Sprache nicht, ich verstehe nur Serbisch«, blaffte Vojislav Seselj vergangene Woche im großen Gerichtssaal des Uno-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag – und meinte damit keineswegs das Englisch des deutschen Richters Wolfgang Schomburg, sondern die serbokroatische Übersetzung der vierzehn gegen ihn erhobenen Anklagepunkte. Weil immer wieder Worte auftauchten, die in Serbien oder Montenegro von jedem verstanden, vor allem aber in Kroatien verwendet werden, tobte der Vorsitzende der Radikalen Partei Serbiens (SRS), wie es an diesem Ort sonst nur sein politischer Verbündeter Milosevic zu tun pflegt.

Um »die westlichen Anschuldigungen gegen das serbische Volk« zu widerlegen und »das Haager Gericht zu bekämpfen«, hatte Seselj sich Anfang der vergangenen Woche freiwillig dem Tribunal gestellt, das ihm in sechs Punkten Kriegsverbrechen und in acht Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwirft. Leicht wird er sein Ziel nicht erreichen. Nur wenige Tage nach seiner Ankunft verurteilte das Gericht am vergangenen Donnerstag als bisher ranghöchste Politkerin aus dem ehemaligen Jugoslawien die frühere bosnisch-serbische Präsidentin Biljana Plavsic zu elf Jahren Haft.

Vor dem Abflug nach Den Haag hatte Seselj noch von Tausenden begeisterten Anhängern in Belgrad öffentlich Abschied genommen. Ganz im Stile des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten bezeichnete er die von Uno-Chefanklägerin Carla del Ponte Mitte Februar unterzeichnete Anklageschrift als »pure Konstruktion«, die einzig der »Verunglimpfung des serbischen Volkes« diene. »Mit ihren dummen Vorwürfen gegen mich haben sie den größten legal lebenden serbischen Geist gegen sich aufgebracht«, tönte Seselj, der wegen seiner Rolle als Führer der paramilitärischen Tschetnik-Milizen während der Kriege in Kroatien und in Bosnien zwischen 1991 und 1993 angeklagt ist. »Ich werde sie kurz und klein schlagen.«

Man muss kein Freund der internationalen Justiz in Den Haag sein, um eine klammheimliche Freude über die lange Zeit unter Verschluss gehaltene Anklage gegen den neofaschistischen Politiker zu empfinden. Schon 1985, ein Jahr vor Veröffentlichung des berüchtigten nationalistischen Memorandums der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, hatte Seselj Pläne zur Auflösung von Titos sozialistischem Jugoslawien propagiert. Bosnien sollte demnach zwischen Kroatien und Serbien aufgeteilt werden.

Jahre später vom Spiegel befragt, was in einem solchen Fall mit den bosnischen Muslimen geschehen solle, antwortete er: »Wir werden sie nach Anatolien schicken.« Und die vom bosnisch-serbischen Kriegspräsidenten Radovan Karadzic geforderte Spaltung Sarajevos in einen großen serbischen und einen kleinen muslimischen Sektor begründete Seselj Anfang der neunziger Jahre rassistisch: Die Anhänger Allahs seien es doch gewohnt, auf engem Raum zu hausen. Derweil ließ Milosevic auf den Anhöhen rund um die bosnische Hauptstadt bereits Panzer eingraben. Die Truppen der Jugoslawischen Volksarmee bereiteten sich ab Oktober 1991 aktiv auf die Belagerung Sarajevos vor.

Wie so oft in den anderthalb Jahrzehnten, in denen der serbische Scharfmacher und Milosevic in wechselnden Bündnissen gemeinsam Politik machten, war Seselj seinem Ziehvater in Sachen Nationalismus meistens einen Schritt voraus. Milosevics Wende vom farblosen staatssozialistischen Apparatschik zum hemmungslosen Verteidiger der von ihm stets als jugoslawisch verbrämten nationalen Interessen Serbiens etwa fand erst Ende der achtziger Jahre statt.

Spätestens mit Beginn des kroatischen Sezessionskrieges im Frühjahr 1991 aber sollte sich zeigen, wie ideal die Rollenverteilung der beiden bei der territorialen Neuordnung Jugoslawiens funktionierte. Während Milosevic auf den von der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinten Nationen geleiteten internationalen Konferenzen zur Beendigung des Konflikts als Bewahrer Gesamtjugoslawiens und scharfer Kritiker des Zagreber Unabhängigkeitskurses auftrat, schufen Seseljs Freiwilligenverbände gemeinsam mit anderen paramilitärischen Einheiten auf dem Boden Fakten.

So wird ihm in der Anklageschrift unter anderem vorgeworfen, seine Tschetniks im November 1991 zur Hinrichtung von 250 aus einem Krankenhaus in Vukovar entführten Menschen angestiftet zu haben. Im Mai desselben Jahres lobte er seine Männer im serbischen Fernsehen dafür, beim Massaker an kroatischen Polizisten im ostslawonischen Örtchen Borovo Selo ganze Arbeit geleistet zu haben.

Wie der frühere Bodyguard Milosevics, Zeljko Raznatovic alias Arkan, erhielt auch Seselj während des Krieges in Kroatien finanzielle Unterstützung aus dem serbischen Innenministerium. Erst als im Frühjahr 1992 der Krieg in Bosnien-Herzegowina begann, stellte die Regierung in Belgrad die Zahlungen ein. Profitabel genug blieb das Plündern der Häuser und Wohnungen in den von Seselj und anderen euphemistisch als »befreit« bezeichneten, mehrheitlich muslimisch besiedelten Gebieten im Osten Bosniens dennoch. Mehr als 10 000 Freiwillige schlossen sich bis 1993 den Tschetnik-Einheiten an, um für den Anschluss der bosnisch-serbischen Gebiete an Serbien zu kämpfen.

Schon Wochen vor dem Ausbruch des Krieges im April 1992 hatten sich Seseljs Milizen in den ostbosnischen Orten Zvornik, Bijeljina und Visegrad niedergelassen und auf den Belgrader Angriffsbefehl gewartet. Gemeinsam mit anderen berüchtigten Einheiten wie Arkans Tigern, den Weißen Adlern Mirko Jovics und den Monarchisten Mihailo Mladenovics sorgten sie dafür, dass innerhalb weniger Monate zwei Drittel Bosniens von serbischen Truppen besetzt waren.

Dieses Vorgehen war ganz im Sinne Milosevics, der es sich nach der internationalen Anerkennung des Landes im April 1992 nicht mehr leisten konnte, die Jugoslawische Volksarmee offen zum Einsatz kommen zu lassen. Über die von Seselj schon 1985 vorgeschlagene Aufteilung Bosniens hatte sich Milosevic sechs Jahre später mit dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman geeinigt – ausgerechnet in Titos ehemaligem Landhaus in Karadjordjevo.

Mehr als ein Jahrzehnt nach Beginn des Zerfalls von Titos Jugoslawien könnte Seseljs Propagandashow in Den Haag die letzte Runde der territorialen Neuordnung des früheren Vielvölkerstaates einleiten. Um nationalistische Argumente gegen die von Serbiens Premierminister Zoran Djindjic Anfang Februar ins Spiel gebrachte Aufteilung des Kosovo braucht sich Seselj wirklich keine Sorgen zu machen. Notfalls verteidigt er die »heilige serbische Erde« eben im Gefängnis in Den Haag. Milosevic hat es schließlich vorgemacht.