Radikal auf dem Holzweg

Friedens- und Antikriegsbewegung von carlos kunze

Die Berliner Zeitung hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse interviewt. Die Journalisten haben messerscharf den zentralen Widerspruch in dessen Argumentation analysiert: »Wolfgang Thierse ist gegen den Irak-Krieg. Trotzdem will er der US-Armee die Überflugrechte lassen.« So sieht er aus, der deutsche Staatspazifismus: Öffentlich macht er auf Frieden, insgeheim kungelt er mit den US-Imperialisten, um endlich den Irakkrieg führen zu können.

Das ist die Lesart des eskalierenden Konflikts zwischen Deutschland und Frankreich einerseits und den USA und Großbritannien andererseits, wie sie auch von großen Teilen der deutschen Friedensbewegung vertreten wird.

Deshalb fängt jetzt die heiße Friedensphase an. Am 22. Februar fand »die größte Blockade der Friedensbewegung seit den achtziger Jahren« statt, wie es in einem auf der Attac-Website veröffentlichten E-Mail triumphalistisch heißt – vor der Rhein/Main-Airbase.

Das Objekt der Begierde der Friedensbewegung ist die militärische Infrastruktur der USA in Deutschland: die Rhein/Main-Airbase, das European Command in Stuttgart oder die Nato-Basis in Geilenkirchen. Hieß es doch schon immer in der radikaleren Antikriegsbewegung: »Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland.«

Bedauerlicherweise haben sich aber die internationalen Rahmenbedingungen etwas verändert. In den achtziger Jahren war im Westen noch eine weitgehende Kongruenz der US-amerikanischen und der deutschen Außenpolitik zu verzeichnen, die durch den Kalten Krieg vermittelt war. Das ist heute anders. An der Frage des Irakkriegs brechen die Interessenskonflikte zwischen Kerneuropa und den USA offen aus. In den vergangenen zwei Monaten wurden von beiden Seiten mit wachsender Begeisterung die Uno, die Nato, die EU-Integration, die gesamte Nachkriegsordnung in Frage gestellt.

Doch Thierse sichert den USA die Überflugrechte nicht zu, weil der deutsche Staat und das deutsche Kapital insgeheim auf den Irakkrieg setzen, sondern weil er befürchtet: »Wenn wir den Amerikanern die Überflug- und Landerechte verweigerten, würden wir das Verhältnis zu den USA vollständig zerrütten und die Nato in eine schwere Krise stürzen.« So weit will das deutsche Establishment noch nicht gehen: »Radikale Konsequenz an dieser Stelle wäre politisch hochgefährlich.«

Radikale Konsequenz aber war immer die Sache der Radikalen. Während Attac die Bundesregierung auffordert, standhaft in ihrer Ablehnung des Irakkriegs zu sein, schrauben »Autonome Antikriegsgruppen« in ihrem Aufruf zu der Demonstration vom 15. Februar die mittlerweile rivalisierenden Blöcke umstandslos wieder zusammen. »Die imperialistischen Konkurrenten der USA in Westeuropa – Großbritannien, Deutschland und die anderen EU-Staaten – unterstützen die Pläne der militärisch weit überlegenen USA, um bei der zu erwartenden Verteilung der Kriegsbeute berücksichtigt zu werden.«

Das ist zwar Blech, sichert aber radikale Handlungsfähigkeit auf dem gleichen Holzweg, auf dem die deutsche Friedensbewegung wandelt.

Angesichts der bevorstehenden Aktionen drängt sich eine Modifizierung alter Demoparolen geradezu auf. Wie wäre es mit: »Aufruhr, Widerstand, Yankees raus aus unserem Land«? Und da von Blockaden deutscher Firmen, die den Irak aufrüsteten, nichts bekannt ist, man aber die Aufhebung des Irakembargos fordert, gleich noch eine weitere: »Deutsche Waffen, deutsches Geld, bringen Frieden in die Welt!«