Waffen, Schurken und Agenten

Die Fronten im UN-Sicherheitsrat verhärten sich trotz steigenden Drucks der USA: Frankreich droht mit einem Veto gegen eine neue Irakresolution, Russland sendet widersprüchliche Signale. von martin schwarz, wien

Ein wenig erinnert die Angelegenheit an die Watergate-Affäre, die zu Beginn der siebziger Jahre den damaligen US-Präsidenten Richard »Tricky Dick« Nixon aus dem Amt fegte. Doch diesmal geht es weniger um das Schicksal des gegenwärtigen Chefs des Weißen Hauses, sondern schlicht um Krieg oder Frieden. Was der britische Observer in seiner aktuellen Ausgabe nämlich aufdeckte, könnte ein weiterer in der Reihe US-amerikanischer Fehler bei dem Versuch gewesen sein, die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates auf die eigene Position im Irak-Konflikt einzuschwören.

Dem Observer zufolge nämlich sorgte der US-amerikanische Geheimdienst NSA dafür, dass die UN-Delegationen im Sicherheitsrat mit allen Mitteln moderner elektronischer Aufklärung ausspioniert wurden, damit es hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens keine Überraschungen gab. Nur die USA und Großbritannien sollten »natürlich« von den Abhörmaßnahmen ausgespart bleiben, schreibt der ranghohe NSA-Mitarbeiter Frank Koza in einer E-Mail, die sowohl innerhalb der NSA zirkulierte als auch an »befreundete« Geheimdienste versandt wurde. Vielleicht war das Mitteilungsbedürfnis Kozas ein Fehler, denn einer dieser Freunde hat wahrscheinlich die inkriminierende E-Mail an den Observer weitergeleitet.

Sollten sich die Anschuldigungen des Observer als wahr herausstellen, zeugten sie nicht nur von einem eklatanten Versagen der US-amerikanischen Geheimdienstler, sondern auch von einer gewissen Orientierungslosigkeit der US-amerikanischen und der britischen Regierung, die in den letzten Wochen wenig unternehmen konnten, um die Mitglieder des Sicherheitsrates zu überzeugen, eine neue, indirekt den Krieg legitimierende Resolution zu unterstützen.

»Besonders Tony Blair hat die reine Panik erfasst«, beschreibt Glen Rangwala, Politologe an der renommierten Cambridge University, der Jungle World die Stimmungslage in der Downing Street. »In gewisser Weise ist den USA und Großbritannien alles außer Kontrolle geraten.«

Dabei ist es nicht nur die Widerspenstigkeit von Russland, Frankreich, China, Deutschland und Syrien im Sicherheitsrat, die George W. Bush und Tony Blair Sorgen bereitet, sondern auch die trickreiche Vorgehensweise der Iraker. »Tony Blair hat sich komplett verkalkuliert«, erklärt Rangwala. »Er dachte im September, der Irak würde genauso verhalten mit den UN-Inspektoren kooperieren, wie er es in den Jahren 1991 bis 1998 getan hat, doch gerade in den wichtigen Bereichen gibt es eine sehr gute Kooperation. In gewisser Weise hat der Irak mit den Inspektoren eine Allianz gebildet, und damit hat insbesondere Blair nicht gerechnet.«

Daher haben sich auch viele der Vorwürfe, die von den USA und Großbritannien frühzeitig erhoben wurden, im Nachhinein als falsch herausgestellt.

Dass der Irak bis zu einem gewissen Maße mit den Inspektoren kooperiert und sie vor allem qualitativ gute Ergebnisse liefern, zeigt sich auch im neuen Bericht des Leiters von Unmovic, Hans Blix. Darin heißt es, die Inspektionen waren »überaus hilfreich, die Wissenslücke zu schließen, die in den Jahren 1998 bis 2002 entstanden ist«. Besonders seit »Mitte Januar« sei der Irak auf die Wünsche nach »substanzieller Zusammenarbeit« eingegangen. Gleichzeitig aber kritisiert der neue Blix-Report jenes Dekret Saddam Husseins, mit dem der Diktator Mitte Februar Massenvernichtungswaffen verbieten ließ: »Dieses Dekret ist nicht ausreichend.« Zum ersten Mal hat Hans Blix, ansonsten vom Erfolg seiner eigenen Mission nicht so recht überzeugt, indirekt die Verlängerung der Inspektionen angemahnt. Man habe »mehr Kapazitäten als ursprünglich geplant«. Zugleich aber heißt es: »Es ist schwer verständlich, warum eine Anzahl von Maßnahmen, die nun durchgeführt werden, nicht früher hätten initiiert werden können.«

Nachdem der Irak nun am vergangenen Wochenende begonnen hat, jene Al-Samoud II-Raketen zu verschrotten, die bei einigen Tests eine Reichweite von mehr als den erlaubten 150 Kilometern aufwiesen, haben sich die Fronten im Sicherheitsrat erneut verhärtet. Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin hat sich am Wochenende deutlich wie nie zuvor gegen eine neue von US-Amerikanern und Briten eingebrachte UN-Resolution gestellt: Die Waffeninspektionen sollten weitergehen, bis »wir uns in einer Sackgasse befinden. Befinden wir uns in einer solchen Situation? Nein. Brauchen wir eine zweite Resolution? Nein. Werden wir uns einer zweiten Resolution widersetzen? Ja, wie die Russen und mehrere andere Staaten.«

Doch gerade aus Moskau kommen widersprüchliche Signale, Linientreue kann man zurzeit von Wladimir Putin nicht erwarten. »Ich gebe keinen Pfennig darauf, dass die Russen bei ihrer derzeitigen Position bleiben«, meint auch Glen Rangwala. Wladimir Putins Kabinettschef, Alexander Voloschin, der die Annäherung der russischen Regierung an die USA nach dem 11. September 2001 betrieben haben soll, reiste in der vergangenen Woche nach Washington, um dort mit der Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice zu verhandeln. Auch der Präsident schaute laut Agenturberichten »bei diesem Treffen vorbei«.

Obgleich die US-Amerikaner in diesen Gesprächen keine »Änderung der Position Russlands« entdecken konnten, scheint Voloschins Reise einer Doppelstrategie des Kreml zu dienen. Putin möchte weiterhin im Spiel bleiben, seine derzeitige Friedenspolitik scheint ihm vor allem von Militärs und einigen Parlamentariern aufgezwungen worden zu sein. Ein Indiz für den möglichen präsidialen Separatfrieden mit Washington könnte auch die Tatsache sein, dass Voloschin noch nie für einen solchen Auslandseinsatz engagiert worden war, also vermutlich auf persönlichen Wunsch des russischen Präsidenten reiste. Gleichzeitig plant Russland nach der Jungle World vorliegenden Informationen die Evakuierung seiner diplomatischen Vertretung und seiner Staatsbürger im Irak für den 14. März – ebenfalls ein Indiz für die Unvermeidlichkeit eines Militärschlages.

Denn spätestens seit Präsident Bush ein neues Motiv für einen Militärschlag gefunden hat – die Demokratisierung des Irak, anschließend des ganzen Mittleren Ostens und schließlich die damit verbundene Möglichkeit, einen Palästinenserstaat zu errichten – ist klar, dass Massenvernichtungswaffen und der Erfolg oder Misserfolg der Inspektionen an politischer Bedeutung verlieren. Tony Blair hatte diese Richtung schon in seiner Rede im schottischen Glasgow vor zwei Wochen vorgegeben. »Da war kaum mehr die Rede von Saddams Arsenal, es ging um neue gute Gründe für einen Militärschlag«, sagt der Politologe Rangwala.

Immerhin hätte der plötzliche dringende Wunsch, den Nahen Osten zu einer Oase der Demokratie zu machen, auch den Vorteil, die quälenden Verhandlungen im Sicherheitsrat auch beenden zu können. Denn um Demokratie geht es in keiner der einschlägigen Resolutionen zum Irak.

Der vollständige Text des Blix-Reports lässt sich unter www.stories-texte.tk lesen.