Der Marder

Beruhigend: In der Tierwelt geht’s auch nicht besser zu als bei den Menschen. von peter frost

Viele kennen den Panzer, nur wenige das Tier. Allein Jürgen von der Lippe, lebender Beweis dafür, dass man es mit einem Germanistik-, Philosophie- und Linguistikstudium doch zu was bringen kann, nennt Schumm, den Edelmarder des Bergwalds, in seinem präventiv ausgefüllten Proust-Fragebogen, einen seiner liebsten Romanhelden.

Der Edelmarder, so glaubt man leichtfertig, lebe oben im Wald, bewohne im Baum ein schmuckes, zweckmäßig eingerichtetes Apartment mit Südbalkon und gehe von dort seinem geregelten Beruf nach. Angestellt sei er bei der Natur als Prädator erster Klasse: ist also jemand, der die schädlichen Herbivoren kurz hält, ein Gesundheitspolizist im mittleren Beamtendienst. Seinerseits müsse der Marder nur die vorgesetzten Prädatoren zweiter Klasse fürchten, die aber meist auf dem Gipfel der Nahrungspyramide thronen und mit größeren hygienischen Aufgaben beschäftigt sind.

Die Zweitwohnung des Marders sei der bestens auf seine kargen Bedürfnisse eingerichtete Eichhornkobel. Aus Fairness, so die Bestimmungsliteratur, nehme er nur verlassene. Sonst sei es seine Hauptaufgabe, dem kecken Eichkater nachzustellen. Das mag gemein klingen, aber einer muss es ja tun. In einem fairen Kampf jagten sie durchs Geäst, Eichhorn und Marder, in einem Kampf, der kaum entschieden werden kann.

Jedem taktischen Zug des Marders stellte die gütige Evolution mit dem Eichhorn eine Gegenmaßnahme zur Seite. Wo der Marder mit Kraft kommt, kontert das Eichhorn mit Geschick. So weit der Mythos. Räuber gegen Beute, böser Carnivor gegen niedlichen Vegetarier? Ein Ammenmärchen!

Kinderbuch, Jägerlatein und Reformhausökologie: aus diesen drei Quellen speist sich das Bild vom Edel- oder Baummarder. Tatsächlich wäre, wenn man die Vermenschlichung ernsthaft betriebe, der Baummarder ein eigenbrötlerischer Penner, ein ungeselliger Obdachloser. Er verschläft den Tag im Baum, einen festen Wohnsitz hat er erst recht nicht. Das Weibchen zieht sich zur Jungenaufzucht in einen vor Witterungseinflüssen und Feinden halbwegs geschützten Raum zurück, den ihr der fleißige Schwarzspecht gezimmert hat.

Die faulen Männchen haben überhaupt kein Interesse, sich dem Stress einer geregelten Arbeit, der aufwändigen Eichhornjagd hinzugeben. Eine Maus ist da schon praktikabler und macht genauso satt. Außerdem muss man da nicht so viel klettern. Höchstens im Winter, wenn die unerfahrenen einjährigen Eichhörner eingeschlafen sind, da überrascht er sie im kuscheligen Bett, tötet sie brutal und frisst sie auf. Von der fetten Beute gibt der Mardermann seiner Frau natürlich nichts ab, denn außer einem One-Night-Stand lief da ja eh nichts.

Die Fähen sind sowieso allesamt allein erziehende Schlampen, die eigentlich unter permanente sozialpädagogische Aufsicht gestellt werden müssten. Kinderschändung kommt in diesen Familien aus Problemlebensräumen häufiger vor, als man wahrhaben möchte. Wenn die Fähen zur Ranz ihre gerade zweijährigen Töchter mitbringen, dann werden die schon mal Opfer von sexuellen Übergriffen. Und das geht nicht ohne massive Gewalt ab. Rabiate Bisse in der Nackengegend kann man allen Baummarder-Fähen in der Paarungszeit attestieren.

Treu sind die Rüden schon gar nicht, im Gegenteil: Zwei bis drei Geliebte macht sich der Mardermann gewohnheitsmäßig mit Gewalt gefügig. Die Söhne werden, sobald der Marder sie sieht, vermöbelt und aus dem Wald gejagt, sie folgen fortan dem schlechten Beispiel ihres Erziehungsberechtigten. Mal was Neues anzufangen, wie es andre Tiere machen, die Blaumeisen beispielsweise, die sich nach einer Umschulung in Großbritannien statt von Würmern aus Milchflaschen ernähren, das kommt dem Marder nicht in den Sinn. Da müsste er sich ja zu sehr anstrengen.

Die Verwandtschaft ist übrigens keinen Deut besser: Der Vetter des Baummarders, der Steinmarder, ist ein schlimmer Quartalssäufer. Beim Randalieren in den warmen Motorräumen, die es mittlerweile an jeder Straße gibt, säuft er den billigen Fusel, den Glykol-Kühlwasser-Cocktail, bis er tot umfällt. Der Veterinär kann in solchen Fällen als Todesursache nur noch Oxalat-Nekrose in der Leber feststellen.

Gehören solche Tiere in ein Kinderbuch? Nein!

Und Menschenfreunde, die mit ihrem und für ihr Tier auf die Barrikaden gehen, können empört fragen: Darf man über so ein aggressives Tier überhaupt forschen? Wird damit nicht die Gewalt gegenüber Schwächeren legitimiert? Wird nicht die Täter-Opfer-Grenze überschritten? Verschleiert die Zoologie mit ihren Begriffen die tatsächlichen repressiven Zusammenhänge? Ist es ein Zufall, dass die deutsche Marderforschung auf Arbeiten aus dem Jahr 1943 zurückgeht? Im Sinne des Kreislaufgedankens ist es also nur gerecht, dass all diese Prädatoren, Richter und Henker in Personalunion, nach ihrem Tod, von den Bakterien und Pilzen, dem Lumpenproletariat der Natur, und den Schurkenstaaten bildenden Insekten, zu handlichen Nährstoffen recycelt werden, die nur den guten Pflanzen zugute kommen. Denn es darf nichts verloren gehen in der großen, von der lebensspendenden Sonne angetriebenen Ökologie, die eine Art alternativer Otto-Motor ist, nur mit höherem Wirkungsgrad.

Alles hat seinen Sinn, auch wenn er nur wenigen Eingeweihten des ecological engineering bekannt ist. Nur zwei Prinzipien seien verraten: 1. Alles dreht sich im Kreis. Ewige Rotation. 2. Es gibt keine Produktion, sondern nur Transformation.

Die Natur ist irgendwo da draußen.

Der Autor spricht sich nachdrücklich gegen die Verwendung von Pelzen in der Textilbranche aus. Insbesondere gegen die Applizierung von Marder-, Nerz- und Zobel-Pelzen an Vintage-Jeansjacken.