Erbsen zählen

Nick Hornby ist was für Leute, die von der Schrankwand mit integriertem CD-Regal träumen. von andreas hartmann

Why 31 songs?« fragt die englische Musikzeitschrift Wire in ihrem Editorial zur Märzausgabe, das einen Kurzverriss zum neuen Buch von Nick Hornby liefert. Und die Frage ist berechtigt. An keiner Stelle des Buchs geht Hornby darauf ein, warum er sich nicht etwa 23, 30 oder 611, sondern ausgerechnet 31 Songs ausgesucht hat, die ihm als Meditationsobjekte für seine Welterklärungsversuche dienen. Wahrscheinlich sind es jedoch ähnliche Gründe wie die, die den Musikjournalisten Karl Bruckmaier dazu veranlassten, sein Listenbuch »Soundcheck« mit dem Untertitel »Die 101 wichtigsten Platten der Popgeschichte« zu versehen. In beiden Fällen soll die Eins suggerieren, dass die gewählte Anzahl an Popsongs eine beliebige ist, irgendwo musste jedoch eine Grenze gezogen werden, dabei gäbe es natürlich noch unendlich mehr wichtige Platten und Songs.

»31 Songs« ist ein Buch über die Lieblingssongs Nick Hornbys. Aus ganz unterschiedlichen außermusikalischen Gründen bedeuten ihm die ausgewählten Gassenhauer etwas. Doch schreiben wollte Hornby weniger über die Gründe, warum er ein Stück mag, als vielmehr über die Musik selbst. Seine Essays sind reine Popmusikbetrachtungen, etwas ausführlichere Plattenkritiken, in denen gerne auch mal gehörig schwadroniert wird. So muss man etwa lesen:

»Musik zu erschaffen – jede Art von Kunst zu erschaffen – bedeutet, etwas aus dem Nichts zu erzeugen, etwas dorthin zu stellen, wo vorher nichts war.« Diese Kunstdefinition, die Hornby an einer Stelle aufstellt, ist bereits absurd genug, wenn man bedenkt, dass der Geniekult, dem hier das Wort geredet wird, noch nie etwas mit der Realität zu tun hatte. Kunst wurde noch nie einfach aus sich selbst heraus geschaffen, dies war schon immer ein Mythos, alles verweist auf irgendetwas, einen Ursprung, ein Nichts gibt es nicht.

Doch klar, wir lesen Nick Hornby natürlich auch nicht, weil wir uns von ihm schlaue Beiträge zum Popdiskurs auf akademisch abgesichertem Niveau versprechen, sondern weil wir gut unterhalten werden und keine Erbsen zählen wollen und weil zu Hause eine Plattensammlung darauf wartet, mal wieder vom Staub befreit zu werden. Doch wenn Hornby schon mal krude Kunstdefinitionen aufstellt, wäre es wenigstens schön, wenn er diese nicht auf der nächsten Seite schon wieder relativieren würde. Denn ein paar Zeilen weiter muss man plötzlich lesen, dass in der Kunst, in der Popmusik nur hemmungslos genug auf bereits Dagewesenes zurückgegriffen werden muss, so wie es etwa die australischen Sample-Wizzards The Avalanches tun, die in ihrer Musik klauen wie die Raben, und schon bescheinigt ihnen Nick Hornby, damit »effektiv etwas Neues aus dem Nichts« erschaffen zu haben.

Man kämpft sich bei Nick Hornby andauernd durch ähnlich halbgare Behauptungen, die an anderer Stelle schon wieder nichts zählen. Nie zuvor war ein Büchlein von Hornby so autobiografisch, nie zuvor schien er sich selbst so wenig darum zu kümmern, was ihm gerade so aus der Feder floss. An manchen Stellen ist es Hornby wichtig festzustellen, dass sich ein guter Popsong dadurch auszeichnet, möglichst schundig zu sein, aber bestens zum Mitpfeifen unter der Dusche geeignet sein sollte, im nächsten Moment sucht er jedoch schon wieder beinahe verzweifelt nach Parametern, die einen gelungenen Song als gelungen im Sinne von Kunst kennzeichnen sollen. Hornby wurstelt sich so durch seine verlängerten Plattenbesprechungen, ohne dass man als Leser großartig schmunzeln könnte oder sich vom Fantum des Autors angesteckt fühlen würde. Es ist einfach zu erschreckend, wie einfach gestrickt die Welt des Nick Hornby ist. 31 Songs, 31 Dreieinhalb-Minuten-Liedchen, Beatles, Rod Stewart, Jackson Browne. Von Sound, abstrakter Popmusik und Musik jenseits des Songformats scheint Hornby nie etwas gehört zu haben.

Die Wire kürte Nick Hornby zum Repräsentanten der »Sadsacks«, worunter das Magazin solche Spießer versteht, die jedes Produkt doppelt kaufen, um eines davon in der Schutzfolie belassen zu können. Dazu muss man wissen, dass die Wire als international gelesenes Magazin, das monatlich »adventures in modern music« verspricht, für all das steht, für das sich Nick Hornby bereitwillig als zu borniert erklärt. Avantgarde, Improv, Free Jazz, Noise, Geräuschkunst, all das, was nicht in radiotauglichem Format stattfindet, dafür fühlt sich Hornby zu alt. Und er betont eigentlich alle zweieinhalb Seiten, wie alt er inzwischen ist, und dass er keine Haare mehr hat, das scheint ihn geradezu mit Stolz zu erfüllen.

Die Wire blättert der selbsterklärte Musiksüchtige auf der Suche nach neuem Stoff für seine Listen also nicht durch, dafür lässt er sich lieber durch »einen Aufkleber mit einem Zitat aus einer Rezension in Mojo oder im Feuilleton« becircen. Mojo, muss man wissen, ist die offizielle Lieblingszeitung all der musikinteressierten Sadsacks vom Schlage Hornbys, also von Typen, die auf Plattenbörsen nach tschechischen Rolling-Stones-Bootlegs fahnden, obwohl sie zu Hause bereits über 300 Stones-Bootlegs herumstehen haben. Mojo-Leser würden auch den Satz, der bei Hornby irgendwann fällt, »dass das goldene Zeitalter auf jeden Fall 35 Jahre zurückliegt und seit damals kaum irgendwas von Wert entstanden ist«, mit ihrem Blut unterschreiben.

Nun könnte man vielleicht einwenden, dass jemand wie Hornby, der immerhin Acts wie Röyksopp oder Soulwax kennt und sich gar positiv über diese äußert, doch noch besser sei als Dylanisten, Schlagerfans, selbst beim Schlafen lederbehoste Led-Zeppelin-Fans kurz vor der Rente oder der Musikgeschmack der eigenen Eltern. Ja, über dieses Argument lässt sich tatsächlich reden. Doch wenn nun Nick Hornby immer noch als Speerspitze der internationalen Popliteratur wahrgenommen wird, als einer, der gekonnt gegen den grassierenden Hochkultursnobismus in den Feuilletons polemisiert, muss man leider abwinken. Das Spießertum von Popmusikfreund Hornby ist kaum besser als das eines Joachim Kaiser, der Wagner in Bayreuth knorke findet und wahrscheinlich stolz darauf ist, dass er Michael Jackson immer mit Jesse Jackson verwechselt.

Mit Hornby ist das Gleiche passiert wie mit Hanif Kureishi. Mit Hornbys »High Fidelity« und Kureishis »Buddha aus der Vorstadt« liegen zwei Bücher vor, die in ihrer Beschäftigung mit Pop den Nerv trafen und andere Schreiber dazu anregten, ähnlich unverkrampft über einen von Popmusik geprägten Alltag zu schreiben. Doch inzwischen schreibt Kureishi über Eheprobleme, und in Hornbys letztem Roman »About a boy« ging es um einen Kerl, der gerne endlich auch Eheprobleme hätte. Rock’n’Roll ist da weit weg, Befund in beiden Fällen: langweilig.

Mit Hornby ist genau das passiert, was Kritiker ihm vorwerfen; seine Arbeiten sind »über Nacht von ›erfrischend und originell‹ in ›klischeehaft und alles schon mal dagewesen‹« umgeschlagen. Womit es ihm kaum anders ergangen sei als Bruce Springsteen, tröstet Hornby sich selbst. Springsteen wird trotz Kritikertadel jedoch immer noch gehört, und Hornby wird auch dieses Mal wieder gerne gelesen. Doch eben nur noch von Leuten, die sich demnächst eine Eichenschrankwand mit integriertem CD-Regal wünschen, in dem all die original verschweißten Zweit-CDs gestapelt werden sollen, die die eigenen Kinder dann nur mit gewaschenen Händen anfassen dürfen.

Nick Hornby: 31 Songs. Kiwi, Köln 2003, 159 S., 14,90 Euro